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Die Begegnung mit den Vampiren hat mir den Appetit verdorben. Ich nehme mir zwar etwas vom Buffet, aber ich bekomme nichts herunter. Das Essen sieht trotzdem köstlich aus. Es gibt alles, wirklich alles. Es gibt auch eine Art Punsch, Wein, Wasser und für die Hoheiten ein rotes Getränk, bei dem es mich nicht wundern würde, wenn es Blut wäre. Männliche Vampire können auch normales Blut trinken, aber auf Dauer würde es ihnen trotzdem schaden. Deshalb brauchen sie ja auch eine Blutprinzessin.

In der Schule haben wir viel über Vampire gelernt, dennoch bin ich mir sicher, dass das nicht alles über sie war. Es werden ja schließlich immer die unschönen Dingen verborgen.
Ich bin sechzehn und somit schon aus der Schule raus. In Andala werden die Mädchen zwischen sechzehn und achtzehn verheiratet, ob sie wollen oder nicht. Kyra ist siebzehn und Elvira achtzehn, also sind wir alle im "perfekten" Alter.
Apropos, wo sind sie eigentlich? Haben sie es geschafft? Mein Blick schweift über die anwesenden Leute. In der Mitte des Saals entdecke ich sie schließlich. Kyra unterhält sich mit einem anderen Mädchen und Elvira kichert zusammen mit einer ziemlich hübschen Blondine. Immer wieder sehen sie zu den Prinzen, schmachtend. Zum Glück sind sie hier. Ich stehe hier alleine, aber alle starren mich immer wieder an, wenn sie denken, ich merke es nicht. Und doch. Ich bemerke es. Ihre Blicke sind wie raue Borsten, die über meinen gesamten Körper kratzen.
,,Miss Talbot?", sagt plötzlich jemand hinter mir. Es ist Salazar.
,,Ja?", antworte ich.
,,Kommt bitte einmal mit", meint er bloß und führt mich raus aus dem Ballsaal. In einem Gang bleibt er stehen und sieht mich an.
,,Gibt es ein Problem?", frage ich nervös.
,,Nein, ganz und gar nicht. Der König schickt mich, um Euch ein paar Fragen zu stellen."
,,Warum?"
Er geht nicht darauf ein, sondern beginnt: ,,Versteht Ihr euch gut zuhause? Mit Euren Eltern und Schwestern?"
,,Äh, warum ist das wichtig?"
,,Keine Gegenfragen."
,,Äh...naja, wir sind eine ganz normale Familie." Was soll das?!
Salazar nickt langsam.
,,Seid Ihr das leibliche Kind Eurer Eltern?"
Mir bleibt tatsächlich die Spucke weg. Warum sollten sie das in Frage stellen?
,,Antwortet!", zischt er. Erschrocken über seinen Ausbruch zucke ich zusammen.
,,Ja, ich bin das Kind meiner Eltern", sage ich langsam. Ich bin mir da ja selbst nicht so sicher. Salazar nickt zufrieden und lässt mich wieder in den Ballsaal.

Das Orchester spielt inzwischen Tanzmusik. Viele Pärchen sind mittlerweile auf der Tanzfläche. Ich bin keine sonderlich gute Tänzerin, obwohl ich es in der Schule gelernt habe. Ich sitze abseits auf einem der Sofas an den deckenhohen Fenster. Mein Blick fällt nach draußen in einen riesigen Park. In der Ferne entdecke ich einen kleinen See und ein Labyrinth. Wie gerne würde ich all dem hier entfliehen und draußen über die Parkanlage streifen.
Neben mir sitzen zwei Mädchen, die sich über die Prinzen unterhalten. Die eine ist die, mit der sich Elvira unterhalten hat.
Die Blonde erklärt der Braunhaarigen gerade, wer wer von den Prinzen ist. Vorteil für mich, dass ich alles unauffällig mithören kann: ,,Der jüngste ist Valorac. Der nächst ältere ist Rasvan. Die beiden stehen sich sehr nahe, also gibt es die eher nur im Doppelpack. Dann kommt Aleksandru. Er ist der langweiligste von allen. Er interessiert sich nur für Bücher. Daher ist er nicht die beste Wahl für uns, der Langweiler.
Lucian ist ziemlich heiß, der wird auf jedenfall mein Favourit. Dann kommt Drako, der mit den vielen Muskeln. Er wirkt irgendwie komisch.
Der zweitälteste ist Vlado. Er ist eher uninteressant. Der älteste ist Aladar. Er sieht nicht schlecht aus und ist der einzige mit Locken." Dieser Lucian hat es ihr wohl ziemlich angetan. Im Moment stehen die Prinzen hinter dem Thron ihrer Eltern. Erst um Mitternacht werden sie sich dem Tanzen widmen. So hat es mir Smilla erklärt.
Ich beobachte die Leute. In Andala haben fast alle Menschen blondes oder hellbraunes Haar. Da Andala im Norden liegt, sind die Menschen hier überwiegend vom hellen Typ. Im Süden sind es die dunkleren Typen. Schwarze Haare, dunklere Haut.
Deshalb falle ich hier mit meinen schwarzen Haaren auf.

Eine Glocke kündigt Mitternacht an.
Jetzt ist es soweit. Die Prinzen werden sich jetzt ein Mädchen für den ersten Tanz aussuchen. Die Blutspielerinnen tuscheln und kichern aufgeregt. Ich bleibe ruhig sitzen und bete, dass ich nicht tanzen muss.

Die Blutprinzessin (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt