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"Anschnallen nicht vergessen!" erinnert meine Mom uns und fährt los. Grinsend lege ich mir den Gurt um und schaue rüber zu Ashley. Wir sind heute seit genau fünf Monaten zusammen. Heimlich.
Für die anderen sind wir nur beste Freundinnen - in Wirklichkeit sind wir viel mehr als das. Manchmal kann ich kaum glauben, dass noch niemand es gemerkt hat, man müsste nur eins und eins zusammenzählen und es wäre mehr als offensichtlich. Es gibt Situationen, da sind wir es einfach nurnoch leid uns zu verstellen. Wir hatten bereits endlose Diskussionen, die nicht selten in Tränen endeten. Als wir uns kennenlernten war es noch nicht allzu schwer, hier eine kleine Ausrede, da ein Referat für die Schule, das bis tief in die Nacht vorbereitet werden muss, doch mit der Zeit ist der Vorrat an Lügen erschöpft und ehe man sich versieht, ist alles was man sagt und vorgibt zu sein, eine Lüge. Man verwickelt sich immer mehr in den Ausreden, vertraut sich seinen Mitmenschen immer weniger an, um nicht versehentlich etwas preiszugeben. Schnell wurde uns klar, früher oder später werden wir es unseren Eltern und Freunden sagen müssen, doch die Gründe die dafür sprechen sind mindestens genauso gut, wie die Gegenargumente. Wir wohnen noch zuhause, wir sind gewissermaßen auf unsere Eltern angewiesen und dazu kommt, dass Ashs Familie stark religiös ist. Außerdem gehen wir noch in die Schule. Es unseren Freunden zu sagen bedeutet auch zu riskieren, dass die ganze Schule es erfährt. Die Lehrer. Alle. Gerüchte sind in der Schule so schnell wie ein Lauffeuer. Ich seufze und werfe Ash einen erschöpften Blick zu, doch anstatt sich von mir runterreißen zu lassen zieht sie eine Grimasse und ich kann nicht anders als zu grinsen. Sie ist der einzige Mensch, der mich selbst in den schwierigsten Situationen noch zum Lachen bringen kann. Die einzige, die alles über mich weiß und mich so akzeptiert wie ich bin. Solange sie bei mir ist, scheint die Welt heile zu sein.

Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster und denke über die letzten fünf Monate nach. Mir war schon davor klar, dass ich anders bin als meine Freundinnen. Nicht unbedingt auf eine schlechte Weise, aber mir ist früh aufgefallen, dass ich nicht so ticke wie sie. Wenn sie über Jungs redeten, konnte ich nie etwas damit anfangen. Zu Beginn war es schwer für mich zu verstehen, was mit mir los war. Warum ich mich so unzugehörig fühlte, was mir fehlte. Ich konnte und wollte nicht akzeptieren, das ich andere Gefühle hatte, als meine Freunde. Gefühle, die ich ja selbst nicht einmal verstand. Die ich damals noch garnicht benennen konnte. Allein der Gedanke anders zu sein, hat mir riesige Angst gemacht und es mussten viele Jahre vergehen, bevor ich angefangen habe, mich dafür zu lieben wer ich bin.

Eigentlich traurig, wen man liebt sollte rein gar nichts ändern und doch verändert es so viel. Für manche wird es eine unüberwindbare Hürde, andere wachsen daran, auch wenn es aussichtslos scheint. Doch jeder einzelne hat zu Beginn Angst, da bin ich mir sicher. Angst fallengelassen zu werden, Angst verlassen oder verstoßen zu werden, Angst mit anderen Augen gesehen zu werden. Angst, die im gewissen Maße normal, aber keineswegs gesund ist. Sie lähmt einen, Selbstzweifel kommen auf. Es ist nichts das man fühlen möchte, doch die düsteren Gedanken ließen sich irgendwann kaum noch aus meinem Kopf vertreiben. Ash hat mich aus diesem Loch geholt und mich wieder aufgebaut. Dank ihr konnte ich mich selbst akzeptieren und lernen mich dafür zu lieben, wer ich bin. Und sie - ein Mädchen - zu lieben, ohne das Gefühl zu haben, mich dafür entschuldigen zu müssen.

Es ist verdammt schwer damit klarzukommen, dass du bei den meisten Menschen auf Unverständnis und Hass treffen wirst, wobei du selbst auch nie eine Wahl hattest. Du bist wer du bist, du wurdest so geboren und entweder du belügst dich selbst ein Leben lang, oder du fängst an es anzunehmen. Es als deinen Schutzschild zu tragen und stolz darauf zu sein, wer du bist, denn ändern kannst du es nicht, das weiß ich mittlerweile.
Lächelnd verschränke ich meine Finger so mit Ashs, dass meine Mom es im Rückspiegel nicht sehen kann und drücke sanft ihre Hand, während ich versuche mir nicht weiter meinen Kopf über alte Zeiten zu zerbrechen. Ash erwiedert den Händedruck und ich wende mich zu ihr. Ihre Augen leuchten mir warm entgegen. Sie bedeutet die Welt für mich und auch wenn wir uns vor allen verstecken müssen, teilen wir unser kleines Geheimnis miteinander, sodass die Last nicht mehr so groß ist.
"Erzählt mal ihr zwei. Habt ihr schon Pläne für heute?" reißt Mom mich aus meinen Gedanken. Sie hält an einer roten Ampel und dreht sich mit fragendem Blick zu uns um. Sofort lasse ich Ashs Hand los und wir rutschen ein Stück auseinander. Ihre geweiteten Augen sprechen das aus, was ich denke. Das war knapp. Zu knapp.
"Ich weiß nicht." grinse ich und versuche den Schock zu überspielen. "Haben wir etwas besonderes vor, oder steht Netflix und Eis an?"
"Ich hätte nichts dagegen." lacht sie und zwinkert mir zu.
Die Ampel schaltet zurück auf grün und Mom drückt wieder aufs Gas, dabei hat sie ein leichtes Grinsen im Gesicht. Irritiert beobachte ich sie im Spiegel. Eigentlich bin ich mir sicher, dass sie nichts gesehen hat. Oder doch? Mein Magen zieht sich bei dem Gedanken zusammen und fast schäme ich mich dafür, dass es mir noch immer so große Sorgen bereitet. Die restliche Fahrt behalten wir unsere Hände bei uns und unterhalten uns stattdessen über das nächste Wochenende.
"Der Italiener in der Innenstadt soll wirklich gut sein und vorher könnten wir ins Kino, der Film ist gerade angelaufen." schlägt Ashley vor und reicht mir ihr Handy mit der Beschreibung. "Hört sich gut an, wird sicher ein schöner Abend!" freue ich mich und reiche das Handy zurück.
"Kommen nur Dean und Shannon mit, oder sind es mehr geworden?"
Ich werfe einen schnellen Blick zu Ash und antworte: "Nein, nur wir vier."

Dean und Shannon sind unsere erfundenen Freunde, unsere Ausrede wenn wir auf Dates gehen. Am Wochenende wollen wir ausgehen und unsere 5 Monate lange Beziehung nachfeiern, aber da unsere Eltern nichts davon wissen, muss mal wieder eine Ausrede her. Anfangs war das kein Problem, doch in letzter Zeit ist meine Mutter übertrieben neugierig wenn es um Dean und Shannon geht, die sie natürlich noch nie kennengelernt hat.

"Wie wäre es denn, wenn die zwei euch abholen, dann müsst ihr nicht den Bus nehmen." startet sie den nächsten Versuch sie endlich mal zu Gesicht zu bekommen.
"Geht leider nicht, sie kommen selbst erst zum Essen dazu, vorher haben sie keine Zeit." wirft Ash ein und ich weiß ganz genau was sie denkt. Entweder müssen wir irgendwo einen Fake-Dean und eine Fake-Shannon auftreiben, die sich einmal bei uns blicken lassen, oder eine neue Ausrede muss her. Mal wieder.

Forbidden Love || GirlxGirlWhere stories live. Discover now