Erwachen

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Hicks konnte es noch immer nicht fassen. Schon seit über fünf Minuten starrte er auf den Tank, in dem sich der Drache befand.
Die anderen Leute standen ebenso erstaunt da. Nur Alvin nicht. Der schaute etwas grimmig herein. Hicks konnte es aber nicht verstehen, denn eigentlich müsste einem die Kinnlade offen stehen, wenn man gerade Zeuge bei der wohl größten biologischen Entdeckung der Menschheit wurde.
Doch der Schüler machte sich weiter keinen Kopf darüber. Was er jetzt nur dachte war: WOW. Sein Vater hatte es wirklich geschafft einen Drachen genetisch zu rekonstruieren. Man dachte immer, dass es ein Mythos sei, doch hiermit hatte Haudrauf seine bisherigen Erfolge weit in den Schatten gestellt.
Immer noch herrschte Schweigen im Labor. Aber schließlich wurde es unterbrochen, indem einer der Sponsoren von IG anfing zu applaudieren. Es steckte sich an. Schon bald klatschten alle im Raum heftiger und heftiger. Haudrauf lächelte. Er hatte geahnt, dass sein Publikum so regieren würde. Kurz schaute er rüber zu Hicks. Der starrte immer noch gebannt auf den Tank, indem sich der Drache befand. Niemals hätte er gedacht, dass so etwas möglich sei, Ja, dass so etwas überhaupt existierte.
Hicks war einer der Personen gewesen, die die Wahrheit in den Tatsachen suchten und nur an das glaubten, was sie auch wirklich wissenschaftlich messen oder sehen konnten. Er mythisches Wesen, wie ein Drache, wäre für ihn eigentlich nur Hirngespinst gewesen, aber musste er jetzt total umdenken. Das Wesen im Tank hatte etwas anmutiges gehabt. Seine Schuppen waren gänzlich schwarz. Hin und wieder zuckte er leicht.

„Hicks würdest du bitte zu mir herauf kommen, dann können wir gemeinsam. Vater und Sohn den Tank öffnen und dem Nachtschatten ins Leben verhelfen." Ohne weiter zu zögern eile Hicks zu seinem Vater. Der hatte sich inzwischen rechts vom Behälter an ein Steuerpult gesetzt, und leitete erste Maßnahmen zur „Geburt" ein. Als Hicks sich schließlich an seine Seite begab, fragte er noch einmal nach: „Ich dachte es ist ein Drache. Warum sagst du dann Nachtschatten?" - „Mein Junge. Ich konnte mehrere Arten fest stellen und eine von den Drachen war halt der Nachtschatten. Er schien irgendwie der beste von allen zu sein. Außerdem hat mir der Name des Drachen aus den Überlieferungen gefallen. Es klingt irgendwie mystisch." - „Ach so." Hicks wusste, dass sein Vater insgeheim ein Fan von Fantasy Romanen war. Immer kurz vorm Schlafen las er noch einige Kapitel im Bett. Hicks konnte das nicht verstehen, bis jetzt zumindest.
Er dachte immer, dass Drachen oder Kobolde keine wissenschaftliche Bedeutung hätten, da sie eh nur die Erfindung von irgend welchen Leuten waren, die Kinder hätten Angst machen wollen.
„Na dann. Lasst die Show beginnen." Haudrauf schaltete auf Sprachsteuerung. Hicks stand einfach nur daneben. Er starrte lieber weiter auf den Drachen, als seinem Vater zu assistieren. Ihn hatte dieses Wesen förmlich gepackt. Doch nun war sein Vater erst mal dran: „Iniziire Ablassung der Fruchtflüssigkeit. Versorgungsschläuche trennen und den Drachen langsam in eine liegende Position bringen."
Wie in einem Sience Fiction Film wirke das Szenario, was sich den Leuten bot. Die Schläuche, die den Drachen für über vier Monate künstlich ernährt hatten, in der er entstanden war, lösten sich von seinem Körper. Hicks dachte, dass es Wunden geben würde, doch nichts. Da waren keine. Es schien fast so, als ob dieses Wesen über eine enorme Selbstheilung verfügte.
Langsam senkte sich der Pegel des Wassers. Oder man sollte besser sagen, dass es eine Flüssigkeit war, die mit Hicks Hilfe zur Rekonstruktion von Lebewesen konzipiert worden war. Sie ähnelte stark dem Fruchtwasser in der Gebärmutter von Säugetieren.
Immer schneller floss es durch große Öffnungen ab. Der Drache senkte sich mit sinkendem Pegel, bis er schließlich sanft auf dem Boden des Tanks auf kam. Nun war der Behälter frei von der Flüssigkeit und konnte geöffnet werden. „Leite Öffnung ein." Mit einem Heulen eines einfachen Elektromotors hob sich der hohle Zylinder aus Glas an und brachte somit dem Drachen die erste frische Luft, die er jemals atmete. Vorher wurde ihm Sauerstoff durch eine Drenage zu geführt.
Hicks war begeistert. Jetzt wo der Drache endlich frei lag, wollte er ihn das erste mal berühren, doch hielt er sich im Zaum. Das konnte er aber immer noch machen und vor den ganzen Leuten hier wollte er nicht wie ein kleines Kind da stehen, dass alles anfassen musste, um es zu begreifen. Doch interessant wäre es schon gewesen und auch gleichzeitig cool, die erste Person zu sein, die seit vielen hundert Jahren wieder einen Drachen berührt. Einen lebenden echten Drachen.
„Meine Herren. Wir begeben uns nun in den Nebenraum. Dort hat man ein Gehege für das Tier eingerichtet.", forderte Haudrauf die Leute auf. So taten sie es auch und liefen zusammen mit dem Wissenschaftler und Hicks zum seitlichen Raum. Hicks selbst musste sich erst einmal umschauen. Hier stand vor vier Monaten noch nichts. Man hatte es in seiner Abwesenheit gebaut. Und die Bezeichnung Gehege war treffend. Es war ein Raum aus Beton, der ca. zwanzig Meter hoch war und eine Grundfläche von schätzungsweise eintausend Quadratmetern besaß. Hier sollte der Drache also leben. Den Beton hatte man in Felsenoptik gegossen und teilweise mit Kunstrasen besetzt, dass es wirklich so aussah, als ob dieses Wesen hier leben würde. Eine kleine Höhle würde ihm als Rückzugsort gelten. Es gab einen kleinen Teich und auch hatte man einige Baumstämme her geschafft, um eine Waldoptik zu erzeugen. Wenn man das sich nicht artgerecht für einen Drachen vorstellen konnte, dann wusste Haudrauf auch nicht weiter.
„So meine Herren und hier kommt auch schon der Drache." Alle starrten durch die Scheibe aus dickem, feuerfesten Plexiglas, welches das Gehege von außen umgab. Aus einer massiven Stahltür kam schließlich ein Wagen mit dem Drachen gefahren. Hicks hatte sich schon gewundert, wo er ab geblieben war, denn er hatte die Männer nicht hierher begleitet. Der Drache. Doch schon bald stellte sich heraus, dass es sich um die Bodenplatte des Tanks handelte, die ein fahrbares Untergestell zu besitzen schien. Mit sechs Rädern ausgerüstet bahnte sich das Fahrzeug, ferngesteuert durch einen Assistenten, seinen Weg in die Mitte des Geheges. Die Stahltür schloss sich wieder hinter ihm mit einem leisen Quietschen. Das Fahrzeug, welches eher den Anmut hatte, als wäre es von der NASA für irgend eine Planetenerkundung gebaut worden, stoppte schließlich in der Mitte des Raumes.
„Elektroschock einleiten." Hicks schaute seinen Vater an, nachdem er das gesagt hatte. Doch versichernd gab Haudrauf von sich: „Es wird ihm nicht weh tun. Es ist wie der Klaps auf den Hintern, wenn die Babys geboren werden. Er soll nur aufwachen." Dabei lächelte er seinem Sohn zu. Hicks vertraute seinem Vater. Er wusste, dass er so schnell keinem Lebewesen etwas antun würde. Er war nicht die Sorte Forscher, die grausame Experimente an Tieren machten, nur um auf Resultate zu kommen, die dann doch widerlegt wurden. Nein. Er beobachtete lieber die Tiere in einer Natur ähnlichen Umgebung, um dann ihr Vertrauen zu gewinnen. Dann würden sie freiwillig an Untersuchungen mit machen. Diese waren dann meist aber keines Wegs grausam. Einfachen Röntgen, vermessen, nichts besonderes eigentlich. Dann wurden nur noch die Fähigkeiten des Tieres durch beobachten studiert und dann wurde versucht, dies künstlich nach zu machen, um dann eine Erfindung zu erstellen, welche dem Zweck zum Wohle der Menschheit dienen würde. Da war viel dem Zufall überlassen.

Plötzlich durchzog den Nachtschatten ein kräftiger Ruck. Der elektrische Impuls hatte sich entladen. Doch einmal durchzuckte es den Körper. „Aufhören, das reicht." sagte Haudrauf schließlich. Der Assistent drehte die Spannung herunter. Alle starrten gespannt auf den Drachen. Wie würde er erwachen? Würde er überhaupt erwachen? Und falls wenn, wie würde er wohl auf diese Umgebung reagieren? Schließlich war er ja gefangen. Aber das sollte sich ja nicht als Problem erweisen, denn schließlich wurde er in Gefangenschaft geboren. „Vater?" Hicks starrte plötzlich angespannt auf den Drachen. Das Fahrzeug hatte ihn mittlerweile ab geladen und er lag jetzt auf dem Kunstrasen des Geheges. Schließlich öffnete sich die Stahltür wieder, das Fahrzeug huschte schnell durch, verschloss sich wieder und ließ somit den Nachtschatten ganz alleine im Raum.
„Da Vater!" Hicks sah ein Zucken der Ohren, welche nach hinten gerichtet vom Kopf anstanden. Sie waren ziemlich lang und rund, hatte jedoch leicht spitze enden. Die beste Form, um sie fürs erste zu beschreiben, fand Hicks als oval. Aber das war für ihn nicht ganz so passend. Interessanter jedoch war der nächste Moment. Alle Sponsoren drückten sich mittlerweile an der Scheibe die Nase platt. Alle wollten sie sehen, wenn der Drache aufwacht.
Und so war es auch. Urplötzlich zwinkerten seine Augen. Immer wieder zuckten sie kurz, bis sie schließlich offen standen. Große gelbgrüne Augen erkundeten den Raum. Hicks schien fast, als ob der Drache alles ab scannen würde. Schließlich hob er langsam seinen Kopf. Die Bezeichnung für die Form fand Hicks sofort. Schnittig und aerodynamisch.
Dieser Drache musste drauf ausgelegt sein zu fliegen. Nur dass musste der Sinn seines Lebens gewesen sein, dachte sich Hicks. Über den Wolken gleiten und sich auf seine Feinde im schnellen Sturzflug stürzen. Er beachtete gar nicht, wie die Männer sich immer weiter gegen die Scheibe pressen. So etwas hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen.
Der Drache hingegen richtete sich auf. Seine Beine waren kräftig. Sicher konnte diese Art auch ordentlich einen Sprint hinlegen. Seine gigantischen Flügel legte er geordnet an. Kurz steckte er sich und fing dann die Gerüche in dem Raum wahr zu nehmen. Er schnüffelte erst am Boden und fuhr dann mit den Wänden fort. Erst jetzt bemerkte Hicks den langen kräftigen Schwanz des Drachen. An Anfang hatte er ein zweites Paar an Flügeln, die jedoch im Gegensatz zu den riesigen Schwingen eher winzig wirkten. Zur Schwanzspitze hin hatte er noch eine Art Ruder. Damit konnte der Drache sicher richtig gut manövrieren. Wendig musste er also auch sein, dachte sich Hicks.
Schnell bemerkte der Drache jedoch seine Beobachter. Vorsichtig ging er auf die Scheibe zu. Er versuchte die Gerüche der Personen wahr zu nehmen, doch das zwanzig Zentimeter dicke Plexiglas verhinderte das. Er stieß mit der Nase gegen die Scheibe und zuckte erst verwundert zurück. So etwas kannte er nicht. Wie sollte er auch. Noch vor gut einer Stunde hatte er sich noch ein einem Tank auf gehalten. Und jetzt war er hier. Es war sein erstes zu Hause gewesen.
Der Drache legte seinen Kopf schief und betrachtete neugierig die Menschen auf der anderen Seite. Er schien überhaupt keine Aggression zu verspüren. Im Gegenteil. Er wirkte eher freundlich und süß. Noch einige male versuchte er diese Menschen da zu beschnuppern, doch immer wieder verhinderte diese unsichtbare Wand es. Schließlich gab er auf und verkroch sich instinktiv in die künstlich geschaffene Höhle.
Als einer der Männer schließlich sein Handy zückte um Fotos machen zu wollen, griff Haudrauf ein: „Keine Fotos. Ich will nicht, dass das hier an die Öffentlichkeit gelangt. Sie haben eine Urkunde zum Schweigen unterzeichnet. Sie wissen genau, was auf Geheimnisverrat auf internationaler Ebene passiert. Sie werden für den Rest ihres Lebens weggesperrt." Da schluckte der Mann und steckte sein I-Phone wieder weg.
Nach einigen Minuten begaben sich die Leute wieder zurück ins Labor und beredeten geschäftliche Sachen, Hicks blieb aber immer noch an der Scheibe und beobachtete den Drachen, wie er schlief. So kam er sich eigentlich ziemlich dämlich vor, da er einem Tier beim Schlafen zu sah, doch wann sah man denn schon mal einen schlafenden Drachen. Hicks schien richtig von diesem Wesen ergriffen worden zu sein. Seine Faszination stieg um Minute zu Minute. Er beobachtete noch lange den Drachen. Bis zum späten Nachmittag saß er einfach nur da und beobachtete den Nachtschatten, wie er weiter seine neue Umgebung erkundete.
Schließlich brach der Abend an. Hicks hatte lange genug den Drachen beobachtet und so langsam meldete sich sein Magen zu Worte. Als er sich etwas zu essen holen wollte, traf er zufällig auf Alvin, wie er ein gereiztes Telefonat führte. Hicks bekam einige Sätze mit: „Ja was weiß ich denn?! Wegen deines Tippfehlers haben wir jetzt einen Nachtschatten, der mir gar nichts nützt. Den lasse ich hier bei diesem Doktor Haddock. Ich will einen Zipper! Der produziert wenigstens genug Gas für meine Ziele. Also gut Dagur. Ich werde dich noch nicht aus meiner Firma schmeißen, aber noch ein solcher Fehler und du fliegst aus meiner Firmenleitung raus..." Hicks schenkte dem Gespräch nicht weiter jedoch Beachtung. Für ihn war es wichtig, was es noch in der Kantine zu holen gab. Denn seine letzte Mahlzeit war sein Frühstück gewesen.
Nachdem er sich das besorgt hatte, nahm er es sich in sein Zimmer, gleich neben dem Gehege mit und schmiss erst einmal seinen neuen 3D Projektions PC an. Man konnte ihn nur mir Gesten und Gedanken steuern und einen Bildschirm gab es auch nicht. 3D Projektoren brachten ein Bild direkt in die Luft. Hicks fand dieses Spielzeug richtig cool, doch sofort suchte er das Internet auf. Er wollte so viel über diesen Drachen wie möglich erfahren. Den Nachtschatten...

The DragonriderWhere stories live. Discover now