Schöner Schein

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Als ich am nächsten Morgen wach wurde fühlte ich mich wie gerädert. Vielleicht hätte ich nach dem vierten Glas Wein das Trinken lieber bleiben gelassen, aber ohne Alkohol hätte ich das Geschwafel nicht ausgehalten. Die Sonne schien durch einen schmalen Spalt meiner Rollläden und erinnerte mich daran, dass ich ziemlich lange geschlafen haben musste. Ein Blick auf den Wecker bestätigte meine Vermutung. Es war bereits kurz nach 14 Uhr. Das heißt ich hatte das Frühstück und das heilige sonntägliche Mittagessen verpasst. Ich setzte mich auf, schlug die Decke zurück und schwang die Beine über den Bettrand. Mein Kopf dröhnte und am liebsten wäre ich heute den ganzen Tag im Bett geblieben. Langsam stand ich auf, wankte Richtung Badezimmer. Aus dem Spiegel blickte mir eine rotäugige Wasserleiche mit verlaufener Maskara entgegen. Gott, ich sah schrecklich aus. Schaudernd stellte ich mich unter die Dusche. Das heiße Wasser half beim Wach werden und linderte meine Kopfschmerzen ein bisschen. Nach dem ich den Schaum von meinem Körper und aus meinen Haaren gewaschen hatte, stieg ich aus der Dusche. Ich wickelte mir ein Handtuch um den Kopf und ein großes Badetuch um den Körper. Dann durchforstete ich den erste Hilfe Schrank nach einer Schmerztablette und schluckte sie mit reichlich Wasser. Die Handtücher ließ ich im Bad. Nackt tapste ich zurück in mein Zimmer, schlüpfte in frische Unterwäsche, eine bequemen Leggins und in ein T-Shirt, das ich Jonas letztes Jahr abgeluchst hatte. Ich fuhr mir noch schnell mit meiner Bürste durch meine Locken, dann war ich bereit meinen Eltern entgegen zu treten.

Innerlich hatte ich mich bereits auf eine Standpauke gefasst gemacht, da ich weder zum Frühstück, noch zum Mittagessen erschienen bin. Stattdessen saß meine gesamte Familie gut gelaunt im Garten und unterhielt sich angeregt. Zu meinem Ärger saß auch Jonas im Kreis meiner Familie. Er war in ein Gespräch mit meiner Großmutter vertieft. Ich konnte mir nicht erklären, woher dieser Ärger überhaupt kam und deswegen schluckte ich ihn einfach runter, setzte ein falsches Lächeln auf. „Eli, Schatz. Du bist endlich wach" mein Großmutter bemerkte mich zuerst und deutete auf den Stuhl neben sich. „Setzt dich doch, Liebes. Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen." Da mir wirklich etwas übel war setzte ich mich ohne Wiederrede. „Ja, ja. Unsere Eli hat es gestern wohl doch etwas übertrieben." Meine Mutter schenkte mir einen halb tadelnden, halb aufmunternden Blick. „Aber wir waren ja alle mal jung und solang es nicht zur Gewohnheit wird ist das ja in Ordnung. Jonas hatte ganz schön Mühe dich ins Bett zu bekommen" Ich spürte, wie sich meine Wangen rot verfärbten. Jonas winkte ab „So schlimm war es gar nicht. Eli war nur ein bisschen anhänglich, aber ich hab mich zum Schluss doch von ihr losreisen können." Schallendes Gelächter erklang und die Übelkeit schlich sich höher in meine Kehle. Bemerkte hier eigentlich keiner, dass ich das alles andere als komisch fand und vor allem, dass Jonas Aussage überhaupt nicht der Wahrheit entsprach. Oma schob mir ein Glas Saft hin. „Trink das, Liebling. Das hilft." Ich war mir nicht sicher, ob das gegen die Übelkeit oder gegen das schreckliche Gefühl der Bloßstellung helfen sollte. Trotzdem nahm ich es dankend an und trank einen Schluck. Meine Eltern waren inzwischen dazu übergegangen Jonas über die...Feier gestern auszufragen. Mir war nie bewusst, dass meine Eltern sich für die rechte Szene interessierten. Sie waren konservativ, ja, aber hatten bis jetzt nie so reges Interesse an Jonas Verein gezeigt. Ich fühlte mich zunehmend unwohler und schließlich erhob ich mich. „Ich geh ein bisschen Spazieren. War gestern doch ein bisschen viel und Bewegung tut mir bestimmt gut." Das war noch nicht mal gelogen. „Soll ich mitkommen?" Jonas hatte sich, ganz der Gentleman, schon halb erhoben und machte Anstalten aufzustehen, doch ich bremste ihn. Ich wollte jetzt erst mal alleine sein. „Nein, ist schon gut Schatz" der Kosename kam nur wiederwillig über meine Lippen „ Ich komm schon allein zurecht. Bleib hier" Ich schenkte ihm ein Lächeln. „Ich bin in einer Stunde etwa wieder da." Ich wartete gar nicht auf eine Antwort sondern stand einfach auf.

Die Übelkeit ging langsam zurück je weiter ich mich von meinem Haus entfernte. Noch nie hatte ich mich so unwohl in meinem zu Hause gefühlt und ich konnte noch nicht einmal erklären woran es lag. Tief atmete ich die leicht harzige Luft ein, die vom Wald rüber wehte und fast wie ferngesteuert trugen mich meine Beine auf den Waldrand zu. Als Kind und bevor ich mit Jonas zusammen kam war ich oft hier, hatte mich in das fast 2 m hohe Gras gelegt und einfach vor mich hin geträumt oder die Wolken gezählt, die über mir vorbeizogen. Also ließ ich mich rücklings in das hohe Gras fallen und hing meinen Gedanken nach. Unwillkürlich musste ich wieder an Ginny denken. An ihre wunderschönen, kirschroten Haare und ihre smaragdgrünen Augen. Dann fiel mir meine Reaktion auf den Streifen Haut, den sie mir in der Bibliothek unfreiwillig gezeigt hatte, wieder ein. Ich hatte noch nie wirklich Herzklopfen bekommen wenn ich Jonas nackt beziehungsweiße ohne T-Shirt gesehen hatte. Ginny hatte es mit einem winzigen Streifen ihrer weißen Haut geschafft und es bracht mich ziemlich durcheinander. Vor allem aber wollte, nein, durfte ich nicht so auf sie reagieren. Ich hatte einen Freund, ich war nicht lesbisch, Mädchen waren für mich nicht mehr als Freundinnen. Aber warum sonst reagierte ich so auf Ginny? War sie anders, als andere Mädchen? Hatte ich mir zu wenig Gedanken darüber gemacht, nicht versucht Mädels aus einem anderen Blick zu sehen? Vielleicht war das Ganze auch einfach nur eine Phase und würde vergehen, wenn ich es einfach ignorier würde. Ganz bestimmt war das nur eine Phase. In spätestens drei Wochen würde es vorbei sein. Zumindest redete ich mir das ein.

„Sag mal, Eli, ist alles in Ordnung bei dir?" Sarah sah mich scharf von der Seite an. Ich zuckte die Achseln, wollte ihr nicht sagen, dass meine Berechnungen falsch waren. Es waren drei Wochen vergangen und ich hatte das Gefühl, dass ich mich immer mehr zu Ginny hingezogen fühlte. Vor ein paar Nächten war ich schweißgebadet und erregt aus einem wirren Traum geschreckt, in dem Ginny die Hauptrolle gespielt hatte. Von Jonas hielt ich seit ein paar Tagen auch abstand. „Ach komm schon, du bist meine beste Freundin seit dem Kindergarten. Mir kannst du nichts vormachen, Eli. Mit dir stimmt was nicht. Wirst du krank?" Ich seufzte, legte das Buch vor mir auf den Tisch. Wir saßen in der Bibliothek und eigentlich wollten wir für ein Referat recherchieren. Stattdessen hatte ich ohne groß zu überlegen ein Liebesdrama über ein lesbisches Paar aus dem Regal gezogen. „Nein, Sarah. Es ist wirklich nichts. Mir geht es gut." Sarah sah erst mich an, dann das Buch, das vor mir lag. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. „Jetzt sag bloß du hast dich..." „Nein" unterbrach ich sie scharf. Vielleicht sogar schärfer als beabsichtigt. „Also doch. Hältst du deswegen Abstand zu Jonas?" Genervt sah ich meine beste Freundin an. „Sarah, es ist nichts und ich hab mich auch nicht in ein...ich hab mich auch nicht verliebt. Ich brauch gerade einfach nur ein bisschen Abstand zu Jonas. Das wird mir alles zu eng. Ich hab das mit ihm schon besprochen, er hat es verstanden." Eine Lüge, ich hatte nichts mit ihm besprochen, ich ignorierte ihn einfach hartnäckig. Ich wusste selber, dass dieses Verhalten alles andere als Erwachsen war, aber ich musste einfach nachdenken und Jonas störte. Vielleicht wäre es doch besser sich einfach von ihm zu trennen. „Wenn du meinst. Ich geh dann. Bis morgen." Sarah stand auf und rauschte, ohne ein weiteres Wort, durch den Gang hinunter zum Ausgang. Na toll, jetzt hatte ich auch noch meine beste Freundin vergrault. Und schuld daran war Ginny, die mich einfach so schrecklich durcheinander brachte. Frustriert bettete ich meinen Kopf auf meine Arme und schrie lautlos in die Tischplatte. Irgendwo musste ich ja meinen Frust ablassen. Ich hob schließlich meinen Kopf wieder und atmete tief durch. Da es sich mit dem Recherchieren erledigt hatte, konnte ich genauso gut an dem Buch weiterlesen. Als ich schließlich einen Blick auf die Uhr warf, stellte ich fest, dass es bereits 17:30 war und die Bibliothek bald schließen würde. Ich hatte mich fast zwei Stunden in dem Buch verloren. Hastig sammelte ich meine Sachen zusammen und hastete zur Ausleitheke. Ich wollte unbedingt wissen, wie es mit Ina und Marie weiterging. Mit einem gemurmelten „Danke" nahm ich meinen Ausweis und das Buch entgegen und stopfte beides in meine übervolle Tasche. Draußen hatte sich der Himmel unheilvoll verdunkelt und die ersten Tropfen fielen auf die trockene Straße, hinterließen dunkle Flecken. Hastig lief ich die Stufen hinunter und wühlte währenddessen in meiner Tasche nach einem Regenschirm, als ich mit Schwung in eine Person hineinlief. Ein empörtes „Hey" war zu hören. Anscheinend hatte ich etwas zu viel Schwung gehabt, denn die Person lag unter mir und ich halb auf, halb neben ihr. „Oh, verdammt. Das tut mir leid. Ich hab Sie nicht gesehen." Hastig rappelte ich mich auf und reichte der Person meine Hand. Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen, als sie meine Hand ergriff und mich wütend ansah. Ich schluckte, als mir bewusst wurde, wenn ich gerade über den Haufen gerannt hatte: Ginny.

Ginny Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt