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,,Ravyn Talbot!", bellt der unsympathische Kerl am Empfangstisch meinen Namen. Ich blicke nervös zu meiner zweitältesten Schwester Kyra. Sie lächelt mir aufmunternd zu und drückt meine Hand. ,,Das schaffst du. Du bist hübsch und klug, also mach dir keine Sorgen", versucht sie mich zu ermutigen. Damit meint sie wohl, dass ich mir keine Sorgen machen muss, weil ich so gut wie angenommen bin, aber genau das macht mir Sorgen. Kyra und meine andere Schwester Elvira freuen sich schon auf die Blutspiele seit deren Ankündigung. Im Gegensatz zu mir. Ich bekomme jedes Mal Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Die Prinzen wirken immer so ... abweisend, wenn man sie überhaupt einmal bei einer öffentlichen Veranstaltung zu Gesicht bekommen hat. Und die dunkle Burg ist auch nicht gerade einladend. Einerseits wäre ich froh abgewiesen zu werden, aber andererseits wartet für den Fall, dass ich nicht dabei bin, ein zukünftiger Ehemann auf mich, den ich heiraten muss. Meine Eltern haben ihn ausgewählt. Es ist mein dreißigjahre älterer, alkoholsüchtiger Onkel. Also weiß ich nicht, was schlimmer wäre.

Bei den Blutspielen kämpfen einundzwanzig Bewerberinnen um die Hand eines Vampirprinzen. Und von denen gibt es gleich sieben.
Richtig gehört: Vampire.
Seit Anbeginn der Zeit herrscht das Vampirgeschlecht "Dragomir" über Andala, eines der drei Königreiche in der Welt. Die Dragomirs sind eine riesige Familie mit einer weitreichenden Verwandtschaft. Und sie alle sind Vampire.
Dadurch ist stetig eine Anspannung in der Luft, da der Thron nicht durch Vererbung besetzt wird, sondern durch die sogenannten Thronkämpfe, bei denen nur der Stärkste und Intelligenteste gewinnen kann. Diese blutigen Kämpfe finden alle zweihundertfünfzig Jahre statt und sollen, laut der Erzählungen und Gerüchte, die durch die Generationen der Bürger kursieren, ziemlich grausam sein.
Unsere Gesellschaft ist in drei Schichten geteilt: zuerst die Dragomirs als Regentschaftsgeschlecht, dann die ,,verarmten" Vampire und die reichen Bürger und danach der Rest, also die Bauern und alle andern sterblichen Menschen, zu denen ich gehöre. Wir müssen Blutsteuern zahlen, damit es keine Morde wegen Blutdurst gibt und um den Frieden zu wahren. Das heißt, dass einmal im Monat eine bestimmte Menge an Blut an die Dragomirs gezahlt werden muss. Allerdings erst, wenn man mit achtzehn Jahren volljährig ist.
Trotzdem ist es immer wieder furchteinflößend von Unsterblichen regiert zu werden.

,,Ravyn Talbot!", reißt mich die ungeduldige Stimme des Kerls aus den Gedanken. Ich springe hastig auf trete an den massiven Holztisch. Hinter mir höre ich das verhaltene Lachen von ein paar Mädchen. Peinliche Röte färbt mein Gesicht und ich gebe dem Mann mit zitternden Händen meine Mappe. Dort stehen die wichtigsten Informationen über mich drin. Name, Adresse, Familie, Schulnoten, Größe, Gewicht, äußerliche Merkmale und so weiter. Mit klopfenden Herzen warte ich, während er sie sich durchliest. Inzwischen weiß ich nicht mehr, was ich beten soll. Genommen oder abgewiesen werden?
Daraufhin sieht er mich kurz an und nickt. Ich bin dabei. Jetzt bin ich eine Blutspielerin. Hinter mir warten meine beiden Schwestern ungeduldig auf ihren Aufruf. Ich werfe ihnen einen Blick zu, aber nur Kyra winkt mir aufmunternd zu und zeigt mit dem Kopf auf die Tür, durch die die anderen Blutspielerinnen verschwunden sind. Elvira kaut an ihren Nägeln und ignoriert mich. Wie immer. Hoffentlich schaffen sie es beide, damit ich das nicht alleine durchstehem muss.
Hinter Tür wartet eine junge Frau auf mich. Sie ist groß und unglaublich hübsch. Sofort fühle ich mich eigenschüchtert.
,,Willkommen, ich bin Smilla", stellt sie sich vor. Sie ist sehr elegant gekleidet und trägt gefährlich hohe Schuhe. Als ich sie immer noch anstarre, lächelt sie mich an. Jedoch wirkt es etwas... emotionslos. Ist sie etwa ein Vampir? Aber auf der Burg arbeiten auch Normalsterbliche...
,,Ich..ich bin... Ravyn...Talbot", stottere ich nervös. Smilla nickt wissend und deutet mir zu folgen. Zielstrebig marschiert sie durch die vielen verzweigten Gänge, in denen ich mich schon nach der zweiten Gabelung hoffnungslos verirrt hätte.
Vor einer Tür, an der zwei Wachen postiert sind, bleibt sie stehen.
,,Deine Zofen werden dich hier für den Willkommensball fertig machen", erklärt Smilla kurz angebunden. Dann verschwindet sie wieder in die Richtung, aus der wir gekommen sind.
Etwas überrollt starre ich die Tür an. Soll ich anklopfen oder einfach hineingehen?
Diese Frage bleibt unbeantwortet, denn ein Mädchen öffnet sie. ,,Ihr müsst Miss Ravyn Talbot sein. Kommt herein!", sagt sie freundlich.
Der kleine Saal ist hell. Der Boden ist aus dunklem Marmor und an den Wänden hängen schwere, mit Gold verzierte Teppiche. Doch das wohl atemberaubenste sind die Kleider. Im ganzen Raum verteilt stehen Ankleidepuppen mit den schönsten Kleidern, die man sich je erträumen könnte. Es glitzert und funkelt überall. Ich bin sprachlos.
,,Das gehört jetzt alles Euch", meint das Mädchen, die wohl eine der Zofen ist, die Smilla erwähnte.
,,Was?! Das...das kann doch unmöglich alles meins sein!", staune ich geschockt.
Die Zofe lächelt und schüttelt den Kopf: ,,Oh doch, das ist es. Ich bin übrigens Merci und das ist Dika." Sie deutet auf ein anderes Mädchen, das gerade an einem Tisch arbeitet.
,,Freut mich, euch beide kennenzulernen." Ich lächle Dika an, was sie ebenso erwidert.
Merci klatscht plötzlich in die Hände und ich zucke zusammen.
,,So, jetzt werdet Ihr aufgefrischt und hergerichtet!", ruft sie gut gelaunt und zieht mich zu einer Badewanne. Es duftet himmlisch nach Lavendel.
In den nächsten zwei Stunden werde ich gewaschen, frisiert und geschminkt. Dika hat mir die Haare geschnitten. Das war echt nötig, weil ich aussah, als hätte ein Vogel auf meinem Kopf genistet. Allerdings reichen sie jetzt leider nicht mehr bis unter meine Brüste, sondern sind schulterlang. Für den heutigen Anlass bleiben sie glatt und offen. Merci hat mich leicht geschminkt, was mir sehr gut gefällt.
,,So, jetzt suchen wir das Kleid aus, Miss Talbot. Kommt mit", fordert Dika mich auf
,,Nennt mich doch bitte nur Ravyn", murmle ich, aber Merci erklärt: ,,Oh, das dürfen wir nicht. Aber wir können Miss Ravyn nennen, wenn Ihr euch damit wohler fühlt."

Die Blutprinzessin (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt