Kapitel 15: "Ich sah keine andere Möglichkeit."

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Die Hitze brannte mir auf der Haut und ich schaute neidisch zu den oberen Reihen der Arena, in denen die wohlhabenden Männer und Frauen saßen, deren Diener ihnen mithilfe von langen in die Höhe gehobenen Stoffbahnen Schatten spendeten. Doch ich gehörte nicht zu ihnen und stand alleine am Rande der Arena. Ich wurde von Kian geladen herzukommen, doch von ihm fehlte jede Spur. Hatte er sich etwa einen dummen Spaß erlaubt mich hierher zu beten und dann selbst nicht aufzutauchen? Am Liebsten würde ich gehen, doch etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Kämpfer in sperrlicher und abgenutzter Rüstung kam über den staubigen Boden des Kampfplatzes aus einem der Käfige gelaufen und hielt ein Kurzschwert fest umklammert in beiden Händen. Der Helm bedeckte seinen Kopf komplett, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte, doch von der Statur her war er sehr schmal und zierlich. Seit wann schickten sie solche Kämpfer in die Arena? Doch mir blieb keine Zeit diese Frage zu beantworten, denn schon im nächsten Moment kam ein kräftiger Löwe mit golden schimmerndem Fell aus einem der anderen Käfige und stolzierte mit gebleckten Zähnen auf den Kämpfer zu, welcher sofort zurückwich. Irgendetwas stimmte nicht. Wenn Menschen gegen Löwen in der Arena kämpften, taten sie es für gewöhnlich selbstsicher und wichen nicht zurück. Nein, sie prahlten sogar mit ihrer Stärke, doch dieser hier sah alles andere als stark aus.
Mit großen Schritten ging der Löwe weiter auf seinen Gegner zu, der das Schwert schützend vor seinem Körper hob. Ein Brüllen, dann der erste Angriff. Der Kämpfer schaffte es gerade so auszuweichen, sonst würde ihm jetzt sehr wahrscheinlich die Hand fehlen. Ich kannte die Taktiken, kannte fast jeden einzelnen Angriff und was er bewirkte.
Der nächste Angriff. Der Kämpfer konnte eben noch so das Kurzschwert in die Höhe reißen, bevor sich die riesige Raubkatze auf ihn stürzte, doch die Klinge schien stumpf zu sein. Der Löwe trug kaum eine Schramme davon, sondern hob die Pranke zu einem kräftigen Schlag, der seinem Gegener den schützenden Helm vom Kopf riss.

Ich war entsetzt. Unter dem Helm kam ein langer blonder Zopf zum Vorschein und das schmale Gesicht einer Frau. Sie schien kaum älter als ich zu sein, doch sie stammte eindeutig nicht von hier. Was bei allen Göttern hatte eine Frau dort unten zu suchen?! Sie hatte nicht die geringste Chance gegen das riesige Raubtier und die verbeulte Rüstung, sowie das stumpfe Schwert taten rein gar nichts dazu. Ich sah mich um, erwartete ebenso entsetzte Gesichter, doch die Leute schien das überhaupt nicht zu interessieren. Sie saßen da, ruhig wie als würde es um eine Trugschau der bunt gekleideten und mit Glöckchen besetzten Wanderer und nicht um Leben oder Tod gehen.

Die Frau hielt sich tapfer und schaffte es immer wieder den Angriffen des Löwens auszuweichen, doch plötzlich ging ein markerschütternder Schrei durch die Arena und ließ mich zusammenfahren. Der Oberschenkel der Frau war blutig aufgerissen und sie saß zusammengesackt auf dem Sand. Das war ihr Ende, sie konnte nicht mehr wegrennen. Aber vielleicht konnte ich ja etwas tun? Schnell setzte ich mich in Bewegung und rannte den Gang entlang zu einem der Wärter, packte ihn am Ärmel und zog ihn zu mir. "Ihr müsst etwas tun! Sie wird sterben!" Panisch sah ich den bulligen Mann an, doch er verzog keine Miene, sah mich nur missbilligend an.
"Verzieh dich Mädchen. Wenn dir nicht passt, was du siehst, musst du es dir ja nicht anschauen." Unsanft stieß er mich zur Seite und ich stolperte ein Stück weit, wobei sich mein Blick wieder auf die Frau unten auf dem Kampfplatz richtete. Sie zitterte vor Angst, als der Löwe mit einem Brüllen seine Zähne zeigte. Schnell wendete ich den Blick ab. Ein Schrei. Dann war es still. Alle schienen den Atem gespannt anzuhalten. Das Reißen von Fleisch. Mir wurde übel und ich presste mir die Hände auf die Ohren. Das war abartig. Wie konnte man sie nur so kämpfen lassen? Das war keinem von Nutzen, da von Anfang an fest stand, dass sie verlieren würde. Aber die eigentliche Frage war: Wer hatte sie in diesen Kampf geschickt?

Der Tag zog sich dahin wie zäher Honig, seitdem ich wieder in meinem Zimmer saß. Die Geräusche, sie wollten mich einfach nicht loslassen. Doch das Schlimmste waren nicht die Schreie, nicht das Reißen von Fleisch und auch nicht das Brechen von Knochen. Es war das Applaudieren der Menge. Wie konnte man bei so einer Abartigkeit nur jubeln? Das war grausam und entwürdigete diese Frau selbst noch nach ihrem Tod. Aber vielleicht hatte sie auch etwas verbrochen und wurde zur Strafe in die Arena geschickt? Das wurde früher oft mit den ungehorsamen Sklaven gemacht. Man verbot es jedoch nach den Sklavenaufständen mit der Begründung, dass es andere Mittel gäbe die Sklaven zu bestrafen oder wieder gefügig zu machen und der Löwenkampf nur noch Geld einbringen sollte.

Mit einem Seufzen erhob ich mich und strich mir dabei ein paar der aus meinem Zopf heraushängenden Haarsträhnen zurück, sodass sie mir nicht ins Gesicht fielen.
"Warum muss immer alles so kompliziert sein?", fragte ich mich selbst und verließ dabei mein Zimmer durch den dicken Vorhang, um mich auf den Weg zu den Löwenkäfigen zu machen. Sie lagen alle friedlich da und dösten vor sich hin. Keine Spur von der Brutalität, die sie im Kampf aufbringen konnten.
"Guten Tag Feriz." Vorsichtig um ihn nicht zu erschrecken trat ich an seinen Käfig, ging vor diesem in die Hocke und streckte die Hand zwischen den Gitterstäben hindurch, um ihm sanft über den Kopf zu streicheln. Ich musste lächeln, als er anfing leise zu schnurren wie eine streunende Straßenkatze. Ich ließ meine Hand zu seinem Hals wandern und konnte nun auch deutlich das Schnurren spüren, das seinen Körper zum Vibrieren brachte.
"Pharanee...Du bist wieder hier?" Etwas erschrocken zog ich die Hand zurück und drehte den Kopf nach hinten. Daryan schaute geradewegs zu mir.
"Ja, das siehst du doch." Langsam erhob ich mich und trat vor seinen Käfig.
"Ich hatte das Gefühl ich würde halluzinieren." Leise lachte er auf. "Ich habe dich letzte Nacht auch gesehen. Sogar mehrmals."
"Ich war aber nicht noch einmal hier.", gab ich zurück und runzelte leicht die Stirn. Sein Oberkörper war bedeckt von Schweißtropfen und das schwarze Haar klebte ihm nass an der Stirn. "Ist alles in Ordnung?"
Überrascht sah er mich an. War es etwa so verwunderlich ihn das zu fragen?
Schwach schüttelte er den Kopf, bevor er den Blick abwendete. "Verzeih mir. Ich sah keine andere Möglichkeit." Er sah mitgenommen aus, so wie er da an die Wand gelehnt saß, mit den Armen nach oben gestreckt in den Fesseln hängend.
"Ist das die Wahrheit?", sagte ich und spürte dabei deutlich einen Kloß im Hals. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es ihm deswegen schlecht ging. Mit einem Nicken bedeutete er mir, dass er ehrlich zu mir war, doch ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Sollte ich ihm einfach so verzeihen? Wie von selbst wanderte meine Hand zu einem der Würgemale an meinem Hals. Oder war es zu schlimm, was er getan hatte? Die Antwort fand sich bald und ich hatte keine Scheu sie auszusprechen.

"Ich verzeihe dir." Die Worte kamen wie von selbst über meine Lippen und als ich sie aussprach wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Der Schwarze KönigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt