Kapitel 19 - Allianzen

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 Es dauerte eine Weile, bis sie Anya so weit hergerichtet hatten, dass sie dazu kam ihren Plan in die Tat umzusetzen. Oder zumindest den Teil davon, der ansatzweise nach Plan verlief.

In stummer Übereinkunft kehrten sie nicht zu ihrem Quartier zurück. Sie wussten beide, was sie dort erwartete, und beide wussten sie auf ihre Weise, dass sie im Moment nicht damit fertig wurden. Anya nicht mit ihrer Aufgewühltheit, und Jadzia mit ihrem Zorn. Sie war ruhiger als zuvor, das spürte Anya, während sie sich gemeinsam durch das Lager bewegten, aber sie war noch längst nicht besänftigt.
Stattdessen spazierten sie ohne Umschweife zu den Dienerinnen, die sich um die Menschenhändler kümmerten, und scheuchten sie gehörig auf. Besser gesagt, Anya scheuchte sie, und Jadzia hielt sich im Hintergrund und stand ihr nicht im Weg.

Sie bekamen das Meiste zusammen; frisches Wasser, Kamm und Puder, einen Schemel und eine Lampe. Es war erstaunlich, was sich trotz der späten Stunde und der angespannten Stimmung einrichten ließ, aber Anya hatte die Situation wie so oft unter Kontrolle. Verwirrung und Angst ließen sich schlichten und zu vereinter Gereiztheit und zielstrebigem Hass bündeln, wenn man wusste wie das zu bewerkstelligen war. In diesem Fall war es eine zickige Diva, die alles was ihr gerade in den Sinn kam haben wollte, und zwar sofort. Anya drohte, lästerte und blies sich auf, und selbst wenn jemand auffiel wie rot ihre Augen eigentlich waren, so wäre wohl dennoch niemand auf die Idee gekommen, dass sie vor kurzem noch geweint hatte. Das stolze Miststück, das Befehle erteilte, als wäre sie die Königin persönlich? Nein, das traute ihr niemand zu.

Aber Jadzia beobachtete sie, und sie sah durchaus die kleinen Anzeichen, dass Anya müde war und nur mit Mühe alles im Blick behielt. Mehr als einmal, in Momenten, in denen sie sich unbeobachtet wähnte, schloss sie die Augen und rieb sich abwesend ihr Genick, ein deutliches Zeichen, dass sie erschöpft war. Jadzia war versucht ihr anzubieten, ihre Schultern zu massieren, aber Anya hätte abgelehnt. Sie organisierte gerade und ließ nicht zu, dass man ihre Konzentration durchbrach, für keine noch so nette Geste. Manchmal staunte Jadzia, wie zäh und unnachgiebig sie wirklich war, selbst im Vergleich zu ihr selbst. Unter Anyas schmeichlerischer, weicher Fassade lag ein harter Kern, ein unbeugsamer Wille, wenn sie sich nur etwas in den Kopf setzte. Jadzia hatte das früh erkannt, und deshalb hatte sie ihre Nähe gesucht. Sie hatte starke Verbündete gebraucht.

Während sie mit verschränkten Armen am Rand stand und das Treiben beobachtete, genoss sie es, einen Moment nicht im Mittelpunkt zu stehen, nicht die Last aller Blicke spüren zu müssen. Das war ein Privileg, ein Geschenk, das Anya ihr immer und immer wieder gab, wenn sie bewusst alle Aufmerksamkeit auf sich zog, und typisch für sie. Anya konnte gedankenlos oder übereifrig sein, zu fixiert auf ihre eigenen Probleme oder gehemmt durch ihre Erziehung, aber sie war auch großzügig, freundlich und herzlich. Sie war viel mehr als das, was sie anderen zeigte, und manches davon nur, weil Jadzia es sie gelehrt hatte. Das klang hochmütig, aber Jadzia wäre ebenfalls jemand anders gewesen, wenn sich Anyas und ihre Wege nicht in diesem einen, entscheidenden Moment gekreuzt hätten.
Sie beide wussten das, und auch deshalb hielt Anya so störrisch an ihrem Vorhaben fest; sie war bereit Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen um Jadzias Vertrag zu retten, auch wenn sie wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Sie würde nicht aufgeben bis sie all ihre Trümpfe ausgespielt hatte. Ob sie wusste, wie hoffnungslos die Lage war? Jadzias Hände verkrampften sich unbewusst, aber sie ließ sich nichts anmerken, nicht einmal vor ihr. Später. Sie würde es später erfahren.

Letztendlich war alles organisiert, und als Anya die Dienerinnen mit hochmütiger Miene davon winkte, machten sie sich tatsächlich aus dem Staub, froh, für den Moment entkommen zu sein. Ein Schemel stand vor dem Feuer bereit, das die Diener eigentlich für sich selbst angefacht und aufrecht erhalten hatten, und alles was Anya benötigte um sich hübsch zu machen lag in Reichweite. Sie überprüfte noch einmal, dass alles zu ihrer Zufriedenheit war, dann ließ sie sich nieder und winkte Jadzia heran. „Jadzia, kümmere dich um mein Haar", sagte, nein, befahl sie, und in diesem Moment war ihre Stimme die perfekte Mischung aus blasierter Einbildung und freundlicher Herablassung. Jadzia gehorchte weil sie wusste, dass es Schauspiel war. Eine Rolle, die Anya ablegen würde, sobald sie sich fallen lassen konnte. Jadzia hätte bei niemand anderem auf der Welt auf diesen Tonfall reagiert, aber sie tat es jetzt. Sie griff den grobzinkigen Kamm, das erste der Mittel der Wahl, um Anyas Locken zu entwirren, trat zu ihr und begann mit der Arbeit.

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Anya zu sich selbst zurück kehrte. Stück für Stück, mit jeder weiteren Minute, fiel die Maske der Furie von ihr ab, während sie die Augen geschlossen hielt und ruhig atmete. Das tat sie oft, seit Jadzia ihr gezeigt hatte, wie es funktionierte, und auch das verband sie irgendwie. Einatmen, Ausatmen. Sie teilten dieses Wissen wie ein gemeinsames Geheimnis, obwohl es eigentlich nichts Besonderes war. Wie so vieles zwischen ihnen hatte es irgendwann, heimlich, leise, an Bedeutung gewonnen. Wie manche Gesten, manche Worte, die zwischen ihnen ausgesprochen eine andere Bedeutung hatten.

Schließlich öffnete Anya ihre Augen und sagte langsam: „Ich bin wirklich anstrengend, oder?" Sie sprach leise, weil sie wusste, dass neugierige Ohren immer in Lauschweite waren. Jadzia antwortete nichts, weil sie das schon oft gehört hatte. Vielleicht war das auch das Gute an Anya; sie war sich durchaus bewusst, welche Grenzen sie überschritt, und wie schwierig es manchmal war, damit umzugehen. Und genau deshalb hatte sie aufgehört Anya zu versichern, dass sie nicht anstrengend war. Sie war es, das wussten sie beide.
„Eine echte Plage", fuhr Anya fort, aber nun klang sie schon wieder selbstsicherer, und fast ein bisschen stolz. „Nicht so leicht abzuschütteln." „Ganz bestimmt nicht", bestätigte Jadzia, während sie weiter, gleichmäßig und möglichst vorsichtig, Anyas Haar auskämmte. „Ich versuche nur, das Beste für uns heraus zu schlagen", fuhr Anya fort, und jetzt lag ein Hauch Unsicherheit in ihrer Stimme, ebenfalls wie immer. Sie sprach zu Jadzia, aber auch zu sich selbst, während sie das Für und Wider abwog, und ihr war wohl bewusst, dass auch sie Jadzia nur als Zuhörer für ihre Ideen verwendete, so wie die Männer sie dafür verwendeten.

„Vielleicht gelingt es. Es muss einfach. Und du musst dir keine Sorgen machen, Gael ist kein übler Mann. Ein bisschen dumm, zugegeben, aber nicht grausam. Und Orson, ha, der könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Wenn ich es recht bedenke, sollten wir bei ihm anfangen. Sehen, ob er nicht etwas wagemutiger als sonst sein will." Sie hielt inne, schien nachzudenken, und fügte dann hinzu: „Aber Gael wäre vermutlich eher interessiert. Wenn er kann, konkurriert er mit Eravier." „Ja", stimmte Jadzia ruhig zu, nur um ihr zu bestätigen, dass sie nach wie vor zuhörte. Das hatte sie von Anya gelernt, und die störte sich nicht daran, dass diese kleine Taktik bei ihr selbst Anwendung fand. Sie durchschauten sich gegenseitig so perfekt, dass es fast ein Wunder war, wenn sie sich manchmal noch gegenseitig täuschten.

Einen Moment schwieg Anya, als würde sie zu etwas Gewichtigerem ausholen, und Jadzia horchte auf, als sie konzentriert, und trotzdem betont beiläufig fragte: „Hast du eigentlich schon einmal in Erwägung gezogen, dass du dich vielleicht auch an Gael hängen könntest? Er ist weiß Gott nicht schwer um den Finger zu wickeln. Er ist recht freundlich, er hat schon ein paar Frauen, da machen zwei oder drei mehr nicht wirklich einen Unterschied, und..." Bevor sie weiter plappern konnte schüttelte Jadzia langsam, aber ernst den Kopf, und ließ den Redeschwall damit verstummen. „Nein", sagte sie schlicht, und das war die einzige Aussage, die sie zu diesem Thema treffen musste. Um Anya nicht zu verunsichern fügte sie sanfter hinzu: „Aber lass dich deshalb nicht abhalten. Du hast hart dafür gearbeitet von Karvash gekauft zu werden. Es soll nicht an mir scheitern."
Und obwohl es sie selbst schmerzte, war das die Wahrheit. Wenn es einen Ort gab an dem Anya relativ sicher war, dann war es wohl in Karvashs Schutz. Er war nicht so mächtig wie Eravier, aber sie waren auf eine ihr unbekannte Art miteinander verbunden und einander verpflichtet. Ob durch Eid oder wirklich, wie manche behaupteten, durch gemeinsames Blut, wer wusste das schon? Eravier hatte ihn nicht angetastet, auch wenn er ihn laut Anyas Aussage glühend zu hassen schien, und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Er war der perfekte Gegenspieler, und Anyas Instinkt ihren Vertrag an ihn zu verkaufen war vermutlich richtig.

Trotzdem schien Anya nicht glücklich damit. Sie seufzte, und für den Bruchteil einer Sekunde meinte Jadzia noch mehr in ihrer Gestik zu sehen. Verunsicherung? Traurigkeit? „Vielleicht sollte ich auch keine Zeit mehr in ihn investieren", sagte sie leise, kaum hörbar. „Was nützt es mir, wenn er mich aufnimmt? Wir würden uns vermutlich kaum noch sehen. Vielleicht ganz auseinander gerissen." Jadzia zuckte mit den Schultern, gleichgültiger, als sie eigentlich fühlte. Sie hatte die gröbsten Knoten in Anyas Haar entwirrt und griff nach einem feineren Kamm, setzte ihr Werk genau so ruhig und gleichmäßig fort. „Ist das nicht so oder so unser Schicksal?", fragte sie, mehr die Welt im Allgemeinen als Anya. „Wie lange wird es dauern, bis wir verkauft werden? Einen weiteren Monat? Zwei? Und niemand weiß, ob wir uns dann überhaupt jemals wiedersehen."
Sie hatte nicht hart klingen wollen, aber wenn sie aufgewühlt war oder nicht Acht gab, klangen ihre Worte immer schroff und herzlos, so wie jetzt. Es war eine Gewohnheit, und lange Notwendigkeit gewesen. Sie erinnerte sich, dass es früher einfacher gewesen war sanft zu sein, nachgiebig und weich. Dann war ihre ganze Welt in Flammen aufgegangen, und es hatte es nur die Flucht gegeben, und sie dauerte Monate, und schließlich Jahre. Sanftheit, Güte, all das hatte keinen Platz mehr in ihrem Leben gehabt. Manchmal wusste sie nicht, ob sie sich darüber freuen sollte, dass Anya etwas davon wieder wachgerufen hatte.

So wie jetzt. Sie spürte deutlich, dass sie Anya mit diesen Worten verletzt hatte. Sofort fühlte sie sich schuldig, dass sie so harsch gewesen war, und das war früher nie der Fall gewesen. Früher hatte sie überhaupt nicht darüber nachgedacht was ihre Worte bei anderen bewirkten, und plötzlich wurde es so wichtig, und behinderte sie gleichzeitig so stark. Es hätte sie nicht kümmern dürfen, aber sie war unglücklich, als Anya schnell antwortete: „Entschuldige, ich habe wieder mal nicht nachgedacht. Du hast natürlich Recht." Es klang unterwürfig, um Verzeihung bittend, und Jadzia wusste im gleichen Moment, dass sie die völlig falschen Worte gewählt hatte. Sie hatte zielsicher den wunden Punkt gefunden, an dem Anya reflexartig zurück wich, jeglichen Widerstand fallen ließ, nur durch ihren Tonfall, und sie hasste sich dafür.

„Aber vielleicht auch nicht", sagte sie deshalb betont sanft, legte den Kamm aus der Hand und strich beruhigend über Anyas offenes Haar, das im Schein des Feuers selbst wie eine Flamme schien. „Niemand weiß was geschehen wird. Und wir sind jetzt noch auf Reisen, abgeschnitten von allem. Wenn wir Luteija erreichen, werden sich auch andere Gelegenheiten auftun. Andere Käufer. Wer weiß, ob wir nicht doch zusammen bleiben", sagte sie.
Sie wusste selbst nicht, warum sie sich und Anya etwas vormachte. Es war fast unmöglich, dass ihnen mehr blieb als ein paar gemeinsame Wochen. Und selbst wenn, wofür hätte sie an ihrer Freundschaft festgehalten, wenn es doch nicht das war, was sie eigentlich wollte?

Anya wandte sich zu ihr um, und in ihrem Blick lagen Hoffnung und Kummer gleichermaßen. Sie ergriff Jadzias Hand, die immer noch auf ihrem Haar ruhte, und drückte sie sanft. „Du hast Recht", antwortete sie und lächelte, vertrieb die Sorgen und die Zweifel aus ihrer Stimme, und damit auch aus Jadzia Gemüt. „Irgendetwas wird sich wohl ergeben. Und bis dahin müssen wir einfach das Beste aus allem machen."
Und wenn Jadzia nicht schon zuvor sicher gewesen wäre, was sie zu tun hatte, dann wusste sie es mit Sicherheit jetzt. „Ja", sagte sie und lächelte. Vielleicht war es nur ein albernes Hirngespinst, dass alles sich zum Guten wenden würde. Vielleicht war alles nur von kurzer Dauer. Aber so lange Anya ihr nur erlaubte in ihrer Nähe zu sein, und sie bei sich haben wollte, so lange würde sie alles daran setzen, dass sie zusammen blieben. Alles.

Eine weitere halbe Stunde später war Anya auf dem Weg zu Besnard. Ihre Haare waren sorgfältig ausgekämmt, ihr Gesicht gewaschen und gepudert, und ihre Augen waren jetzt kaum noch gerötet. Im Grunde spielte ihr Aussehen für ihr erstes Vorhaben keine Rolle, aber sie fühlte sich jetzt trotzdem besser. Der einzige Wermutstropfen war, dass Jadzia jetzt nicht mehr bei ihr war.

„Ich denke ich sehe mir in der Zwischenzeit an, was in unserem Quartier vorgeht", hatte sie gesagt, nachdem Anya erklärt hatte dass sie sich bereit fühlte, zu Besnard aufzubrechen. Anya hatte überrascht inne gehalten und gefragt: „Hältst du das für eine gute Idee, ganz allein? Was, wenn-", aber Jadzia hatte sie ruhig, aber bestimmt unterbrochen. „Der Junge schläft vermutlich schon. Und ich habe nicht vor, mich zu streiten. Aber falls du heute Nacht nicht bei Karvash bleibst, kann ich zumindest schon unser Bett herrichten. Ich treffe dich später bei Karvash, in Ordnung?"

Und Anya hatte nicht weiter diskutiert. Natürlich hatte Jadzia Recht, aber eine Intuition hatte Anya außerdem gesagt, dass ihre Freundin allein sein wollte, und das musste sie akzeptieren. Jadzia zog sich manchmal völlig zurück, manchmal für ein paar Stunden, manchmal auch für einen ganzen Tag. Anya hatte sie einmal dabei beobachtet, und sie schien dann einfach nur in ihren Gedanken versunken. Es war nicht klar, worüber sie nachdachte, aber sie schien diese Ruhezeiten zu brauchen. Sie wurde unruhig und unausgeglichen, wenn sie keine Gelegenheit dazu bekam, also ließ Anya sie in diesen Momenten einfach in Ruhe. Allerdings hätte sie sie gerade jetzt lieber an ihrer Seite gewusst. Gespräche mit Besnard bereiteten ihr immer Kopfzerbrechen, wenn auch aus völlig anderen Gründen als angenommen.

Orson Besnard war ein umgänglicher und bescheidener Mann. Er wurde nicht gerade respektiert, aber es ließ auch selten jemand ein böses Wort über ihn fallen. Er hatte keine eigenen Diener auf diese Reise mitgenommen, stattdessen lieh er sich die Dienste der anderen Diener, und sie verrichteten die Arbeiten für ihn klaglos, aber auch ohne großen Einsatz, da sie weder zusätzliche Vergütung noch Strafe von ihm zu erwarten hatten. Zudem schien Besnard nicht viel zu benötigen; er reiste tagsüber in einer schlichten kleinen Kutsche und schlief nachts in einem kleinen und robusten Zelt. Er wusste durchaus seine Ressourcen zu handhaben, war sparsam und verwaltete einen Gutteil des Wagenzuges in Eraviers Auftrag. Es gab wohl kaum einen Mann, der einfacher und bodenständiger war als er.

Dummerweise hatte Anya angenommen, dass Besnard wie so viele einfache und bodenständige Männer einem Abenteuer nicht abgeneigt war, und hatte sich an ihn heran gemacht, nur um spektakulär zu scheitern. Einerseits hatte sie nicht erkannt, dass sie Violaine, Orsons Angetrauter, nicht das Wasser reichen konnte. Die Frau wusste was sie wollte, und das war, ihren Mann zu behalten. Sie duldete keine der Sklavinnen in seiner Nähe, und sie verstand es meisterhaft, Anya aus zu manövrieren, wann immer sie die Gelegenheit dazu bekam.
Auf der anderen Seite hatte Anya aber auch bei Orson selbst auf Granit gebissen. Man hätte annehmen können, dass bei seiner Eheschließung vor allem praktische Erwägungen im Spiel gewesen waren. Violaine Besnard war eine kleine, rundliche Frau mit einem ernsten Gesicht und unauffällig dunkelbraunem Haar. Was ihr an Charme und Offenherzigkeit fehlte machte sie mit Fleiß, Bodenständigkeit und praktischem Menschenverstand wett. Doch genau das schien Orson an ihr zu lieben. Romantische Schwärmerei lag wohl beiden Eheleuten fern, aber Orson war seiner Frau treu und schien an jeder anderen Romanze gänzlich desinteressiert. Anyas schmeichlerische Worte und aufreizendes Verhalten prallten an diesem Mann einfach ab, und schließlich hatte sie sich damit abfinden müssen, dass sie Orson Besnard nicht auf die gewohnte Art würde einwickeln können.

Zeitgleich hatte sie jedoch entdeckt, dass sie mit vernünftigen Worten und einigen hilfreichen Vorschlägen durchaus sein Gehör fand, sehr zum Ärger seiner Frau. Doch Violaine war klug genug sich zurück zu halten, und Anya hatte es durch geschickte Gespräche und ein bisschen gutes Zureden geschafft, Besnards Aufmerksamkeit zu erringen. Das bedeutete im Umkehrschluss allerdings, dass sie sich jedes Mal den Kopf darüber zerbrechen musste, wie sie ihm ihre Pläne am besten schmackhaft machte.
Auch deshalb blieb Anya stehen als sie Besnards Zelt erreichte, statt ihn einfach zu überfallen, und versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Es gab gute Gründe, warum er davon profitiert hätte Jadzia zu kaufen, und sie sortierte sie gedanklich in eine gewinnende Reihenfolge, während sie sich langsam weiter dem Eingang näherte. Sie fügte einen Schuss Optimismus in Bezug auf Eraviers zu erwartenden Unwillen hinzu, denn sie wusste genau, dass Besnard sich selten und ungern mit ihm anlegte. Dann atmete sie noch einmal tief durch. Irgendwie würde sie das Kind schon schaukeln.

Sie war drauf und dran einzutreten, als sie plötzlich Stimmen aus dem Zelt hörte. Im ersten Moment verstand sie kein Wort, und reflexartig blieb sie stehen und konzentrierte sich auf die Worte. Es war Violaines Stimme, das hörte sie sofort heraus, und sie fragte völlig aufgebracht, und dennoch im Flüsterton: „Aber wieso denn?! Wir haben doch nichts getan, nie! Wir sind gute Leute, ehrliche Leute!" Orsons gemurmelte Antwort war kaum zu verstehen, aber Anya schnappte Fetzen davon auf. „... keine Rolle... Durand war nicht schuldig, er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort... wird uns das selbe passieren... nur eine Frage der Zeit..." „Du verschweigst mir doch etwas! Da ist doch noch mehr", war Violaines geflüsterte Antwort, die wiederum völlig klar verständlich war. „Was zum Teufel hast du angerichtet, Orson Aloïs Besnard?"
Es folgte Stille, und ein unerkennbares Murmeln von Orson, das abrupt unterbrochen wurde, als seine Frau völlig aufgelöst fragte: „Du hast was?!" Orson schien zu versuchen, sich zu verteidigen, denn seine Stimme wurde lauter. „Ich hatte die Hoffnung, dass dadurch die Geschäfte ehrlicher werden! Menschen zu zwingen Sklaven zu werden ist nicht rechtens, ich dachte wenn ich den Rebellen helfe-" Doch Violaine war jetzt endgültig in Rage, und es war wohl nur ihrer Vernunft und ihrem praktischen Verstand geschuldet, dass sie ihn nicht anschrie, sondern weiterhin flüsterte. „Hast du dabei auch an uns gedacht?! Was wir haben? Was wir verlieren können?! Was bleibt uns denn jetzt noch?" Wieder folgte eine Sprechpause, lang und bedeutungsschwer, und die gemurmelten Worte von Orson, die so leise war, dass seine Frau sie vielleicht nur von seinen Lippen las. Und dann weitere Stille, bleiern und kalt. Sie dehnte sich.

„Nein", sagte Violaine schließlich leise. „Das können wir nicht. Was wird aus unseren Sklaven? Wenn wir sie hier lassen, verlieren wir ein Vermögen! Und wir bekommen sie auch niemals von hier weg! Das machen wir nicht!" Und Anya wurde mit einem Schlag klar, dass Besnard soeben das Undenkbare vorgeschlagen hatte: Zu fliehen. Er wollte fliehen und alles zurück lassen, um seine Haut zu retten.

Aber war das nicht das Klügste, was die beiden tun konnten? Orson war überzeugt, dass der Mann der hingerichtet worden war unschuldig war. Anya wusste nicht, ob das wirklich der Wahrheit entsprach, aber sie wusste, wie skrupellos Eravier war. Er war verrückt genug jemand hinzurichten, nur um sich keine Blöße zu geben. Er wollte Angst schüren, und das hatte er anscheinend geschafft. Er hatte bewirkt, dass die zwei praktischsten und ruhigsten Menschen die Anya überhaupt kannte vor Angst zitterten. Waren sie mit der Rebellion im Bunde, oder hatten sie sie nur ein einziges Mal, in einem günstigen Moment, unterstützt? Es spielte keine Rolle. Orson hatte es getan, weil er es für das Richtige hielt. Und jetzt würden sie dafür bezahlen, wenn Eravier jemals Wind davon bekam.

Im gleichen Moment wurde ihr klar, dass Besnard damit nicht mehr Teil ihrer eigenen Pläne sein konnte. Entweder war er binnen weniger Tage verschwunden und würde niemals zurück kehren, und seine Rechte und Anteile würden damit Null und nichtig werden. Alles was er hatte würde in Eraviers Besitz gelangen. Oder er blieb, aber dann würde er völlig handlungsunfähig sein. Eravier hatte ihn schon vorher an der Leine gehabt, aber jetzt hatte er ihm auch noch einen Maulkorb verpasst. Vorausgesetzt dass Besnard blieb, würde er die Finger von allen Geschäften lassen, die Eravier auch nur im Geringsten verärgern konnten.

Sie wäre beinahe vom Zelt zurück getreten und verschwunden, als sie plötzlich ihren Namen hörte, aus Violaines Mund. „Anya!", sagte sie plötzlich, und zuerst glaubte Anya sie wäre entdeckt worden. Ihr Herz machte einen Satz, und in Erwartung von Beschimpfungen und Vorwürfen trat sie einen Schritt zurück. Aber niemand machte Anstalten das Zelt zu verlassen. Violaine sprach stattdessen flüsternd weiter: „Sie ist seine Hure, oder? Und du kennst sie! Sie hat versucht, sich bei dir einzuschmeicheln! Sie kann ihn bestimmt beeinflussen, oder? So etwas tut sie doch die ganze Zeit! Sie kann ihm sagen, dass wir unschuldig sind! Sie kann ihn doch von uns abbringen!"

Orsons Antwort war ein wütendes, aber unverständliches Murmeln, aber es spielte auch keine Rolle, weil Anya in diesem Moment nicht einmal darauf achtete. Sie hatte wahrhaftig genug gehört. Ihre Mundwinkel zuckten, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Am liebsten hätte sie geschrien, oder laut gelacht. Sie, jemand schützen, ausgerechnet vor Eravier? Eine Sklavin? Eine Frau? Was dachte Violaine denn, welche Macht Anya hatte? Und gleichzeitig, wie dreist war es, jemand um Hilfe anzuflehen, auf den man sonst nur herab sah? Dem man nur mit Misstrauen begegnete?

Es wird dir nichts nutzen. Sie sind schwach. Sie können dir nicht dienlich sein, dir nichts zurück geben. Hilf ihnen nicht. Im Gegenteil, wenn du weißt was gut für dich ist, solltest du sie meiden, analysierte ihr Verstand, und natürlich war jedes einzelne Wort davon die Wahrheit.
Und doch. Etwas in ihr regte sich, vielleicht einfach nur Unwille, jemand im Stich zu lassen. Das Wissen, dass es nichts Schlimmeres gab auf der Welt als fernab jeder Hilfe und jeden Mitgefühls zu sein. Dass in der Not geschlossene Bündnisse besser waren als keine Bündnisse. Aber was in Gottes Namen sollte sie jetzt tun? Das Gespräch suchen? Offen legen was sie wusste, oder das Unschuldslamm spielen und wohl wissend was Besnard vor hatte ihre Trümpfe ausspielen?

Sie hätte vielleicht noch länger unentschlossen da gestanden, mit sich gerungen, aber eine große Hand legte sich nicht grob, aber auch nicht gerade zärtlich auf ihre Schulter, und zum zweiten Mal in wenigen Minuten setzte ihr Herz vor Schreck fast aus. Sie keuchte leise auf und drehte sich um, nur um erleichtert zu begreifen, dass es Guy war, der sie entdeckt hatte. „Du bist es nur", sagte sie und atmete erleichtert aus. „Musst du mich denn so erschrecken?"

Guy sagte nichts und führte sie mit Nachdruck einige Meter weiter, außer Hörweite der umliegenden Zelte. Erst dann brummte er unwillig: „Das Gleiche könnte ich auch fragen." Er sah sich um, analysierte mit seinem wachen Blick die Umgebung, bevor er sich wieder Anya zu wandte. „Ist eine schwierige Nacht, und du lungerst hier vor einem fremden Zelt herum. Hätte ich dich nicht auf hundert Meter erkannt, hätte ich dich verhaftet. Was treibst du hier?", fragte er, und Anya änderte ohne Zeitverzögerung ihr Verhalten. In einem Moment war sie ernst und nachdenklich gewesen, und im nächsten zog ein gewinnendes und schelmisches Lächeln über ihr Gesicht. Sie fuhr sich durchs Haar und erklärte mit einem Augenzwinkern: „Ich hatte eigentlich vor Besnard einen kleinen Besuch abzustatten, aber er scheint ein wenig unpässlich zu sein. Ehestreits sind so hässlich, nicht wahr?"

Das tat seine Wirkung, wie so oft. Guy war unnahbar und kühl, aber es gab wenige Männer mit einer Neigung für Frauen, die sich nicht von Anya einwickeln ließen. In seinem Fall hatte es einfach ein wenig länger gedauert und erforderte mehr ihrer Aufmerksamkeit, aber das bedeutete nicht, dass sie nicht im Normalfall das bekam was sie wollte.
So auch jetzt. Guy schnaubte, gleichzeitig amüsiert und wachsam. Doch er dachte auch keine Sekunde daran sie tatsächlich zu verhaften oder gar in ihr Quartier zurück zu schicken. Stattdessen bot er ihr seinen Arm, galanter als man es anhand seines hünenhaften Körpers oder seines groben Wesens vermutet hätte. „Kann ich die Herrin dann begleiten, wo auch immer ihr eigensinnige Laune sie gerade hin treibt?", fragte er, und verhedderte sich nur für einen Sekundenbruchteil in diesem Satz. Anya ergriff seinen Arm, hakte sich ohne zu zögern ein und schmunzelte, und diesmal war es ein ehrliches Lächeln. „Du kannst. Begleite mich zu Karvash, mein Bester", sagte sie fröhlich.

Karvashs Zelt war eigentlich nur ein paar Schritte entfernt, aber Guy wollte sie nicht unbedingt sofort loswerden, und auch Anya hatte nicht vor ihr Zusammensein zu schnell zu beenden. Deshalb schlenderten sie nur sehr langsam voran. Anya genoß allerdings nicht nur Guys Gesellschaft, sondern horchte ihn wie so oft auch über die neusten Entwicklungen aus. „Warum ist es eine schwierige Nacht?", wollte sie unschuldig wissen und beugte sich im Gehen noch näher zu ihm hinüber, sodass ihr Busen seinen Arm streifte. Guy ließ sich nicht anmerken, was er von ihrer Annäherung hielt, sondern brummte stattdessen: „Hast du den Schuss nicht gehört? Das sollte dir doch als Erklärung reichen." Anya zuckte mit den Schultern. „Natürlich hab ich ihn gehört, aber ich wusste natürlich nicht, was er bedeutet", log sie. „Wer ist erschossen worden? Doch hoffentlich ein Schurke?"

Guy lächelte schmal, aber dieses Lächeln maskierte etwas Anderes. Besorgnis, und Wachsamkeit, vielleicht auch Wut. „Er soll ein Rebell gewesen sein", sagte er schlicht, und Anya war klug genug, nicht daran zu rühren. Das war etwas, das sie an Guy überrascht hatte, und das sie erst hatte lernen müssen: Sein bulliges Äußeres, seine Stellung und Schweigsamkeit täuschten darüber hinweg, dass er nicht dumm war, sich seine eigenen Gedanken machte und diese auch nicht immer freimütig preisgab. Vieles was er dachte oder bemerkte ging an den anderen Wächtern vorbei, also behielt er es für sich. Er machte seine Arbeit und behielt den Kopf unten, und die meiste Zeit hob er sich nicht von der Masse ab. Aber manchmal, in unbeobachteten Momenten, war er allen seiner Kumpanen voraus, selbst wenn es nur ein halber Schritt war.

Anya musste ehrlich zugeben, dass sie das von Anfang an für Guy eingenommen hatte; dass Wissen, dass sie ihn nicht komplett durchschaute und seine Motive selbst ihr manchmal ein Rätsel waren. Sie ärgerte ihn gern, stellte seine Geduld auf die Probe und ließ sich in der Öffentlichkeit nicht dabei beobachten, dass sie ihm zu nahe kam, das nicht. Aber im Geheimen war sie ihm wesentlich mehr zugetan als Gael, oder, Gott bewahre, Eravier. Es war zu schade, dass seine Stellung derartig unbedeutend war, sonst hätte sie mit Freuden mehr aus ihrer Freundschaft heraus geholt als die eine oder andere unverbindliche sexuelle Begegnung.

„Dann sind wir jetzt aber endlich sicher vor dieser Rebellion, oder?", fragte sie stattdessen, und zeigte ihre beste Interpretation einer verängstigten Dame, die auf den Schutz durch einen kühnen Ritter hofft. Guy ging nur halb darauf ein, als er antwortete: „Man weiß nie, wo noch mehr Rebellen lauern. Sind wie Ratten in einem Kornspeicher. Noch ist nicht alles vorbei, aber wir werden sie schon noch ausräuchern." „Da bin ich ja beruhigt", sagte Anya frohgemut, und nahm sich vor, mehr darüber heraus zu finden, was Eravier noch plante. Guy war ein gutes Barometer dafür, welche Maßnahmen er ergreifen wollte, auch wenn er nicht so freimütig darüber sprach.

Leider waren sie in diesem Moment auch schon vor Karvashs Zelt angekommen; Guy warf ihr einen auffordernden Blick zu, und bedauernd löste Anya sich von ihm. „Hast du heute noch lange Dienst?", fragte sie betont harmlos, und jetzt schmunzelte er, weil er genau wusste, was diese Frage beinhaltete. „Hast du heute noch nicht genug?", fragte er amüsiert, und sie zuckte mit den Schultern und lächelte frech. Sie ließ sich nicht von vielen darauf ansprechen, dass sie es mit aller Welt trieb, aber Guy und Jadzia hatten beide dieses Recht, und beide gingen sorgsam damit um. „Schätzchen, du weißt doch mit wem du hier sprichst. Ich kenne keine Pausen", erklärte sie mit einer Prise Stolz, und er nickte. „Bin aber heute für die Nachtwache eingeteilt. Zu schade", sagte er. Er stand immer noch nah bei ihr, und jetzt strich er über ihre Wange, und sie schmiegte sich in seine grobe, große Hand hinein. Ach, von Gesten wie diesen bekam sie nie genug, und jetzt bedauerte sie noch mehr als zuvor, dass er heute Nacht nicht bei ihr sein würde. „Dann vielleicht morgen?", fragte sie, und Guy nickte. „Sicher, morgen. Ich weiß ja, wo ich dich finde."

Er ließ seine Hand sinken und war drauf und dran zu verschwinden, aber so einfach ließ Anya ihn nicht gehen. „Nicht so hastig! Willst du deine Herrin einfach so stehen lassen? Was ist mit meinem Abschiedskuss?", fragte sie schelmisch und mit gespielter Empörung. Guy zögerte einen Moment, sah sich um. Niemand beobachtete sie. „Nicht so ängstlich", flüsterte Anya, und zu ihrer großen Freude schloss er sie jetzt wirklich in seine starken Arme und küsste sie. Vielleicht spürte er bei diesem Kuss ihr triumphierendes Lächeln, aber wenn es so war, ließ er es sich nicht anmerken.
Ja, Anya triumphierte, mit jedem Liebesbeweis und jedem Herz, das sie für sich gewann. Sie liebte die Zuwendung, die sie dadurch bekam, vor allem wenn es sich um einen so verschlossenen Mann wie Guy handelte. Nicht, dass das sein einziger Vorzug war; Er war so groß und stark, dass er selbst ihren ausladenden Körper völlig umschließen konnte, und für diesen einen Moment fühlte sie sich völlig sicher und geborgen. Seine großen, warmen Hände lagen auf ihren Schulterblättern, und sie lehnte sich an seinen breiten Schultern und seinem muskulösen Körper an. Sie durfte loslassen, und einmal die Schwächere sein.

Es war ein wunderbarer Kuss, viel unschuldiger als alles, was sie sonst miteinander anstellten, und er hätte niemals enden müssen. Hätte Anya nicht so viel zu tun gehabt, hätte sie Gael in diesem Moment sausen lassen, und zur Hölle mit den Konsequenzen. Aber natürlich ging es nicht nur um sie, und selbst während sie ihn küsste kehrten ihre Gedanken zu Jadzia zurück. Nur deshalb war sie jetzt hier, und nur deshalb löste sie sich schließlich sanft von Guy und trat einen Schritt zurück. Und weil er ein guter Mann war ließ er von ihr ab und bedrängte sie nicht, obwohl sie beide spürten, dass sie einander nicht gehen lassen wollten. „Gute Nacht, Guy", sagte sie sanft. „Gute Nacht", antwortete er höflich, und sie nickte, wandte sich schnell ab und trat durch den Eingang von Karvashs Zelt.

Das Innere des Quartiers war trotz der fortgeschrittenen Stunde noch erleuchtet, obwohl es eigentlich für Karvashs Frauen zu spät am Tage war um noch wach zu sein. Doch die Aufregung im Lager schien auch auf Sophie, Adaliz und Josce übergegriffen zu haben, und so saßen an diesem Abend doch alle drei bei einander, jede mit einem Becher Wein. Sie hatten sich auf aus Kisten improvisierten Sitzgelegenheiten niedergelassen, die jedoch so üppig mit Kissen ausgestattet waren, dass sie hinter einem echten Sessel nicht zurückstehen mussten. Dem Anschein nach hatten Sie sich eigentlich schon für die Nacht entkleidet, dennoch saßen sie jetzt bequem, eingehüllt in ihre Nachtmäntel beisammen und schienen nicht daran zu denken, sich schlafen zu legen.

Sophie, die sich als erstes zu Anya umwandte, begann ohne Hinzusehen in einem verärgerten Tonfall: „Wie lange dauert das denn, Fleurie? Du wolltest doch nur-" Sie hielt jedoch inne als sie bemerkte, dass jemand anders als erwartet das Zelt betreten hatte. „Ach du bist es", sagte sie nachsichtig, winkte Anya heran und bot ihr einen Platz in ihrer Mitte an. Anya trat näher, setzte sich aber nicht. „Wen erwartet ihr denn?", fragte sie aus reiner Neugier nach, und Sophie seufzte. „Ach, Fleurie, mein kleiner Nichtsnutz, ist mal wieder sonst wo unterwegs!", meinte sie ärgerlich, nur um im nächsten Moment einzulenken: „Sie ist ein gutes Mädchen, gibt sich Mühe, aber ständig mit dem Kopf in den Wolken! Sie versucht immer zwar immer zu erklären, warum sie sich verspätet, aber ich habe doch keine Ahnung von dieser seltsamen Zeichensprache, und sprechen kann sie nicht. Was sich Gael dabei gedacht hat sie aufzunehmen weiß ich nicht! Jedenfalls sollte sie nur Wasser holen, und schon ist sie wieder auf einer kleinen Weltreise."

Etwas an ihren Worten ließ Anya inne halten, als würde eine Erinnerung wach gerufen, aber sie kam nicht dazu diesen Gedanken weiter zu verfolgen, da Josce sich jetzt einmischte. Mit zweiundzwanzig Jahren war sie das Küken der drei, und sie war von der Natur mit perfektem erdbeerblonden Haar, einem roten Kussmund und einem Selbstbewusstsein ausgestattet worden, das Anyas Konkurrenz machte. Jetzt verdrehte sie die Augen und empörte sich: „Ich sage doch, du solltest ihr mal jemand hinterher schicken. Wer weiß, was sie treibt, oder wen sie da trifft! Am Ende ist sie plötzlich schwanger und schafft nur noch die Hälfte ihrer Arbeit!" „Josce, nein. So springt man nicht mit Dienern um", tadelte Adaliz sie mit einem Stirnrunzeln. Sie war eine dunkelhaarige Schönheit mit hellbrauner Haut, die Älteste der drei und immer die Ruhe selbst. Obwohl die drei Frauen eigentlich gleich gestellt waren, respektierten Josce und Sophie sie wegen ihrer Erfahrung und ihren tadellosen Manieren. Keine der beiden fiel ihr ins Wort, als sie sich an Anya wandte und fragte: „Aber was führt dich her, meine Liebe? Was können wir für dich tun? Setz dich doch bitte und erzähl uns alles."

„Danke, aber ich wollte mich nicht zu lange aufhalten", erklärte Anya und wandte sich dann an Sophie. „Hör zu, kann ich dich einen Moment allein sprechen?" Ihr ernster Tonfall schien die Besorgnis der drei zu wecken, denn sie schwiegen und musterten sie, plötzlich wachsam und auch ein wenig verwirrt. „Was ist denn los?", fragte Sophie, aber Anya schüttelte nur stumm den Kopf. „Nur wir beide", sagte sie, und Sophie verstand. Sie war Gaels erste Frau gewesen und länger bei ihm als jede andere, und wenn es um ihn und seine Belange ging, war sie diejenige, die das letzte Wort hatte. Sie erhob sich, und nach einem Seitenblick zu ihren Freundinnen führte sie Anya ohne weitere Frage durch einen mit Stoff verhängten Durchgang in einen anderen Bereich des Zelts.

Das Zelt war groß, aber natürlich waren die Räume, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, nur durch weitere Stoffbahnen unterteilt. Der kleine Bereich den Anya betrat beherbergte die Schlafplätze der drei Frauen, sofern sie nachts nicht bei Gael schliefen, und lag völlig im Dunkeln, nur erhellt durch einige verirrte Lichtstrahlen, die einen Weg durch die Ritzen der Stoffbahnen fanden. Matten, Decken und Kissen waren nah beieinander bereit gelegt, vermutlich um der nächtlichen Kälte zu dritt zu trotzen und sich gegenseitig zu wärmen.
Sophie ließ sich auf einem der Lager nieder und gebot Anya, das selbe zu tun, sodass sie nah beieinander saßen und sich leise unterhalten konnten. Es weckte in Anya nostalgische Erinnerungen an ihre Kindheit, als sie zu Besuch bei ihren Cousinen gewesen war und sich zur Schlafenszeit heimlich zu ihnen geschlichen hatte, um die halbe Nacht flüsternde Gespräche zu führen. Es war eine Vertrauen erweckende Atmosphäre, und Sophie sah sie aufmerksam an und schien bereit, ihr zu zuhören.

„Was hast du auf dem Herzen? Ist alles mit dir in Ordnung?", fragte sie, und aus ihrer Stimme war deutlich heraus zu hören, dass sie besorgt um Anya war. So deutlich, dass Anya sich verpflichtet fühlte sie als erstes zu beruhigen: „Keine Angst, es geht mir gut. Ich muss nur unbedingt heute noch mit Gael sprechen. In welcher Stimmung ist er?" Sophie seufzte, besorgt und unglücklich. „Du hast keinen guten Zeitpunkt erwischt. Er hat sich schon hingelegt, und er wollte allein sein. Die Hinrichtung, hast du davon etwas mitbekommen?" Anya nickte, obwohl sich ihr Wissen nur auf Guys wenige hingeworfene Worte und einige Mutmaßungen beschränkte. Sie musste jetzt nur wissen, in welcher Stimmung Gael war, aber wenn sie Sophies Gesicht richtig deutete, würde sie hier schon wieder auf Hindernisse stoßen.
„Diese ganze Sache... Kelians Tod, dass sie diesen Rebell erschossen habe, das hat ihn alles sehr mitgenommen", fuhr Sophie unglücklich fort. „Er wollte nicht mit uns darüber sprechen, aber ich glaube er macht sich große Sorgen um unsere Sicherheit." Anya nickte, weil sie das befürchtet hatte. Aber es würde ihr vermutlich nichts nützen, bis zum nächsten Morgen zu warten. Und vielleicht war Gael ihr gerade jetzt sogar zugänglicher, wenn er Trost brauchte. „Denkst du er würde mir trotzdem zuhören? Wenigstens eine Minute?", wollte sie wissen, aber Sophie zuckte nur mit den Schultern, ratlos. „Du kannst es natürlich versuchen. Vielleicht lässt er sich von dir aufheitern, das gelingt dir irgendwie immer am Besten."

Es hätte Spott in diesen Worten liegen müssen, oder Missgunst. Aber sie meinte jedes Wort ernst; sie betrachtete Anya nicht als Rivalin, keine von Gaels Frauen tat das. Irgendwann musste Sophie verstanden haben, dass sie ihren Gatten weder mit Neid noch mit Feindseligkeit gegenüber seiner Affären würde halten können, und stattdessen hatte sie beschlossen sie zu ihren Verbündeten zu machen. Manchmal erstaunte es Anya, wie gut die drei Frauen miteinander auskamen, wenn sie doch eigentlich um Gaels Aufmerksamkeit konkurrieren sollten, aber sie schienen seine Zuneigung in stummer Übereinkunft unter sich aufzuteilen. Und das war einer der Gründe warum sie von ihm gekauft werden wollte. Es war skurril, aber in gewissem Sinne waren die vier eine Art Familie, und während Anya nicht sicher war, was es bedeutete Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein, schien es doch die einzige Art von Familie, die überhaupt in ihrer Reichweite lag. Außerdem war es wohltuend nicht immer als Gefahr gesehen zu werden, wenn sie doch nur ihre Arbeit tat, nur versuchte dem gerecht zu werden was sie war. Aber vielleicht konnten nur Sophie und die anderen beiden das wirklich verstehen, schließlich war jede von ihnen eine Sklavin gewesen. Sie wussten, dass es niemand sonst gab der auf sie Acht geben würde, und deshalb gaben sie aufeinander Acht.

Auch deshalb verbannte Anya Gael für einen Moment aus ihren Gedanken und widmete sich nur Sophie. „Du siehst auch nicht gerade glücklich aus", sagte sie sanft und ergriff ihre im Schoß gefalteten Hände. „Blass. Und müde." „Müde bin ich auch", gab Sophie zu und strich sich erschöpft über die Stirn. „Diese Aufregung tut uns allen nicht gut, und seit diesem ersten Rebellenangriff sind wir irgendwie alle nicht zur Ruhe gekommen. Dann dieser flüchtige Sklave, und jetzt Rebellen unter uns? Das ist alles zu viel für mich. Die Diener sind unruhig, und ich weiß nicht was ich tun soll um ihnen das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung ist. Ich halte die Routine aufrecht, ich versuche Gael bei der Organisation zu helfen wenn ich kann, aber..." Sie stockte, und jetzt sah sie mehr als unglücklich aus, ratlos und am Ende ihrer Kräfte. Und weil Anya gar nichts anderes einfiel als sie zu trösten, nahm sie sie in den Arm, und Sophie lehnte sich dankbar an sie.

„Es wird alles wieder gut, hörst du?", sagte Anya leise und streichelte beruhigend über ihren Rücken, und Sophie nickte und wischte sich ihre Augen, die verräterisch nass glänzten. „Ich weiß, ich weiß. Bestimmt ist die Aufregung auch bald wieder vorbei, aber im Moment komme ich einfach nicht dazu mich zu entspannen." Jetzt lächelte sie und blickte ein wenig erwartungsvoll, und Anya verstand die Frage auch ohne dass Sophie sie aussprechen musste. „Dagegen kann ich bestimmt etwas unternehmen", antwortete sie mit einem Schmunzeln und zog Sophie näher an sich heran, und sie ließ es bereitwillig geschehen.

Sie schmiegte ihr Gesicht in Anyas Halsbeuge, so wie Jadzia es manchmal tat, und Anya schmunzelte, weil Sophies Motive dafür viel weniger unschuldig waren. Zarte Lippen küssten ihren Hals, sanft und ein wenig kitzelnd, aber Anya ließ sich davon nicht aus dem Takt bringen, sie streichelte einfach weiter Sophies Rücken, gab ihr das Gefühl geborgen zu sein. Die sanften Küsse wanderten ihren Hals hoch, trafen ihr Kinn, dann ihren Mund. Sophie küsste sie, streichelte ihre Schultern und ihre Wangen, und das war ein schönes Gefühl... und dennoch völlig bedeutungslos. Anya lächelte weiterhin und ließ sich bereitwillig küssen, aber gleichzeitig stimmte es sie traurig.
Sie fühlte nichts. Keine Aufregung, keine Zuneigung abgesehen von der Freundschaft, die sie Sophie entgegen brachte. Kein Begehren. Selbst wenn Eravier sie berührte empfand sie zumindest körperliches Verlangen, auch wenn das ein unfairer Vergleich war. Warum dann jetzt nicht? Aus irgendeinem Grund kam es ihr ungerecht vor, wie ein Fehler ihres Körpers oder Charakters. Aber vielleicht war das einfach der Lauf der Dinge. Vielleicht machte sie sich letztendlich einfach nichts aus Frauen.

Aber sie war zu geübt darin, den Schein aufrecht zu erhalten, und vielleicht war es Sophie auch egal. Sie hatten nie darüber gesprochen, es war einfach geschehen, und sie war nicht einmal sicher, ob Sophie wirklich so viel an Frauen lag, oder ob sie einfach nur jemand suchte, der willens war auf sie einzugehen. Willens, sich nur um sie zu kümmern und die eigenen Wünsche für diesen Moment hinten an zu stellen.
Anya schob den Nachtmantel von ihren Schultern und ihr Schlafgewand über ihre Schenkel hinauf, streichelte ihren Bauch und ihre schlanke Taille, aber das schien Sophie bei weitem nicht schnell genug zu gehen. Sie entledigte sich kurzerhand ihres Nachtgewandes, indem sie es über den Kopf zog, und warf es nachlässig beiseite. Dann griff sie nach Anyas Händen und führte sie zu ihrem Körper, ließ sie auf ihren Brüsten ruhen.

Ihr Herz schlug schnell, und selbst im Halbdunkel konnte Anya sehen, dass ihre Wangen leicht gerötet waren. „Bitte lass mich diesen Tag einfach vergessen", flüsterte sie, und Anya nickte und lächelte. Sie beugte sich hinunter, küsste die zarte Haut, dort, wo ihre Brüste zusammen trafen, und weiter hinunter, während ihre Finger ihre Scham streichelten, schließlich die Schamlippen teilten und ihre Klitoris liebkosten. Sie wurde mit einem zarten Stöhnen belohnt, das eindringlicher wurde, je länger Anya sie erregte.
Abwesend dachte sie daran, dass mit jedem Mal mehr begriff was sie tun musste. Am Anfang war es ihr schwer gefallen heraus zu finden, was Sophie gefiel, aber sie war auch begierig gewesen zu lernen. Mit Männern konnte sie umgehen, schon lange, und sie kannte einige Kunstgriffe um sie für sich zu gewinnen, aber Frauen, abgesehen davon dass sie ihre Körper rein prinzipiell wie ihren eigenen verstand, waren ihr neu gewesen. Und ganz unabhängig davon was sie für Sophie empfand hatte sie kein stümperhaftes Liebesspiel verdient.

Sophie schien zu spüren dass Anya nichts von ihr erwartete, deshalb hielt sie sich die meiste Zeit zurück und ließ sich einfach verwöhnen, und Anya ließ sie auch nicht im Stich. Ihre Zunge spielte mit ihren Brustwarzen, und sie verfolgte die sanfte Rundung ihrer Brüste mit ihren Händen, umschloss sie, knetete sie vorsichtig. In diesem Moment vergrub Sophie ihr Gesicht in Anyas roten Locken und flüsterte leise: „Ich liebe dein Haar. Es ist so wunderschön. Ich wünschte ich hätte solche Haare. Ich weiß gar nicht, warum Gael dich nicht kaufen will. Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass du praktisch zu uns gehörst."

Obwohl es ein Kompliment war, und Anya sicher war dass Sophie nicht wissen konnte was sie ihr da gerade offenbart hatte, erstarrte sie eine Sekunde lang. Ihre ganze Hoffnung fiel in sich zusammen wie ein brennendes Haus, und reflexartig biss sie sich auf die Zunge, weil sie sonst vielleicht geflucht hätte.

Warum hatte Gael ihr das nicht schon längst gesagt? Warum erfuhr sie es auf diesem Wege? Nun, natürlich weil Gael ein Feigling war und wusste, dass sie sonst vielleicht nicht mehr das Bett mit ihm geteilt hätte. Aber trotzdem, so selbstverständlich, wie Sophie ihr diese Worte zuflüsterte schien es für sie eine lange bekannte Tatsache zu sein. Gael hatte seine Entscheidung schon lange getroffen, und sie war hier und machte einen Narren aus sich.

Und dann wurde ihr bewusst, dass sie völlig erstarrt war und Sophie Schuldgefühle empfinden würde, wenn sie ihr die Wahrheit sagte. Wollte sie ihr so die Laune verderben? Sie sah bereits irrtiert auf und fragte: „Was ist denn? Ist alles in Ordnung?", und Anya riss sich zusammen. Nein, nicht jetzt. Sie konnte Gael später die Hölle heiß machen, wenn sie Lust dazu verspürte, gleich nachdem sie den Triumph davon trug mehr für seine Ehefrau getan zu haben, als er in sechs Jahren Ehe fertig gebracht hatte.
„Ich dachte nur ich hätte etwas gehört", log sie, und gleichzeitig war ihr klar dass ihr Gesichtsausdruck sie sofort verraten würde, wenn sie nichts unternahm. Kurzentschlossen schob sie Sophie sanft zurück, sodass sie bequem auf dem Rücken lag, senkte ihre Lippen auf ihre Scham und liebkoste sie mit der Zunge. Eine Sekunde lang wurde ihr die unfreiwillige Komik des ganzen bewusst - sie versteckte ihre Mimik tatsächlich im Schoß einer Frau, und sie konnte nicht anders als lächeln. Aber dann vertrieb sie diesen Gedanken, konzentrierte sich nur nach auf Sophies warmen Körper unter ihrer Zunge. Und anscheinend stellte sie sich damit nicht schlecht an, denn Sophie reagierte augenblicklich. Sie kam gerade noch dazu „Anya... das ist..." zu sagen, dann spannte sich ihr Körper an, ein Zittern durchlief sie, und sie erreichte ihren Höhepunkt. Ein strahlendes Lächeln zog über ihr Gesicht, während sie keuchte, und zumindest in diesem Moment spürte Anya etwas, auch wenn es nur die Freude daran war, sie glücklich gemacht zu haben. Sie ließ nicht von Sophie ab, bis sie ganz sicher war, dass sie den Moment auch wirklich ausgekostet hatte.

Für einen Moment blieb Sophie noch keuchend liegen. Ihr Gesicht war gerötet, und sie strahlte immer noch, als sie sich aufrichtete und schnell ihr Nachtgewand wieder überzog. „Das war-", begann sie an Anya gewandt, die sie immer noch beobachtete, doch plötzlich verzog sich ihr Gesicht zu einem ärgerlichen Ausdruck, und sie starrte an Anya vorbei zu dem mit Stoff verhangenen Durchgang. „Was machst du denn hier?", fragte sie spitz, und als Anya sich um wandte sah sie direkt in Jadzias Augen, die eisig, völlig starr und ohne Regung auf sie gerichtet waren.

Sie war wütend, auch wenn sie ruhig da stand und ihre Miene völlig ausdruckslos war. Anya spürte deutlich, dass sie nicht so ruhig war, wie sie sich gab. Zum zweiten Mal an diesem Tag war sie zutiefst verärgert. Und vielleicht verwirrt? Anya hatte geglaubt, sie könnte Jadzias Stimmungen deuten, aber gerade sah sie sich nicht dazu im Stande. Ihr erster Gedanke war ein panisches Verdammt, nur um sich im nächsten Moment irritiert zu fragen, wo dieser Reflex her kam und warum sie sich gerade schämte. Vielleicht, weil sie überhaupt nicht mit Jadzias Auftauchen gerechnet hatte, vor allem nicht hier und nicht jetzt?
Aber Jadzia wusste schließlich was sie den ganzen Tag trieb. Sie hatte ihr zwar nie auf die Nase gebunden hatte, dass sie mit Sophie schlief, aber da sie praktisch mit jedem schlief der Interesse daran hatte, war das im Grunde nichts Besonderes, oder? Anya konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihre Freundin jetzt so aufgebracht hatte. Und dennoch fühlte sie den dringenden Wunsch, sich zu entschuldigen.

„Jadzia. Ich dachte nicht-", begann sie, aber Jadzia hob die Hand und brachte sie damit zum Schweigen. „Du hast mich nicht erwartet", sagte sie nüchtern, und fast hätte sie den Anschein erweckt, dass es sie nicht kümmerte. Aber nur fast. „Wer hat dich eigentlich herein gebeten?", machte Sophie erneut auf sich aufmerksam, nachdem sie konzentriert zwischen den beiden hin und her geblickt hatte, und Jadzia zuckte unwillig mit den Schultern. „Deine Freundinnen, wer sonst. Aber ich schätze ihr habt mein Eintreffen nicht hören können", sagte sie, und ihr Tonfall war jetzt so frostig wie Gletschereis. „Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest, wir haben noch etwas zu besprechen." Sophie warf Anya einen fragenden Blick zu, aber sie zuckte nur mit den Schultern, zum Zeichen dass sie auch nicht wusste, was eigentlich vor sich ging. Sophie schien abzuwägen ob sie einfach bleiben sollte, da es sich immerhin um ihre Behausung handelte, aber sie war nicht besonders streitlustig und vernünftig genug, sich jetzt nicht mit Jadzia anzulegen. „Wir sehen uns später", sagte sie an Anya gewandte, dann griff sie ihren Nachtmantel, warf ihn über und rauschte ohne ein weiteres Wort an Jadzia vorbei. Anya blieb allein mit zurück.

„War das wirklich nötig?", fragte Anya, während sie sich erhob, aber Jadzias Miene änderte sich nicht. „Muss ich dich daran erinnern, dass ich nur auf dich warte?", fragte sie steif. „Du wolltest Karvash einen Besuch abstatten, stattdessen finde ich dich hier mit dieser..." Sie schien sich einen Fluch zu verbeißen, denn sie fuhr fort: „Warst du wenigstens schon bei Besnard?" „Ja, natürlich", lenkte Anya ein und verschränkte reflexartig die Arme vor dem Körper, weil ihr dieses Gespräch überhaupt nicht behagte. „Sei nicht so schrecklich wütend auf mich. Ich weiß, ich habe Zeit verschwendet, aber manchmal ergibt sich einfach etwas. Ich habe das nicht geplant."

Etwas an ihren Worten schien Jadzia zu entspannen. Sie seufzte und verschränkte die Arme, immer noch verärgert, aber ein wenig zugänglicher. „Ist schon gut", sagte sie, und erst jetzt sah Anya, dass Jadzia einen Becher in den Händen hielt. „Was ist das eigentlich?", fragte sie neugierig, während sie ihr Kleid richtete und abklopfte. „Nur Wein", erklärte Jadzia, „Ich hatte mich ja auf Wartezeit eingestellt. Aber vielleicht trinkst du ihn besser. Es sei denn Gael soll beim ersten Kuss erfahren, was du vorher getrieben hast."

Das klang bissig. Anya lächelte schmal, aber die Worte versetzten ihr auch einen Stich. Jadzia war doch sonst nicht so wenn es um ihre Arbeit ging. „Du denkst doch nicht, dass er nichts davon weiß?", fragte sie, aber sie nahm den Becher dennoch von Jadzia entgegen und trank einen Schluck. Er war stark und süß, aber sie hatte eigentlich keinen Durst und auch keine Lust darauf, mehr davon zu trinken. Der Nachgeschmack war seltsam bitter, und das mochte sie überhaupt nicht. Unentschlossen drehte sie den Becher in ihren Händen, während Jadzia sie immer noch anstarrte, als erwarte sie eine Erklärung. Oder eine Entschuldigung? Ihr Gespräch war gerade völlig zum Erliegen gekommen, und das machte Anya ganz nervös.

Um die Stimmung etwas aufzulockern zeigte sie auf den Becher und fragte spöttisch: „Und, denkst du, jetzt kann ich mich bei Gael blicken lassen?" Jadzia zuckte mit den Achseln und betrachtete sie immer noch schweigend, als brüte sie über einer unausgesprochenen Frage, und Anya wünschte fast, sie würde endlich damit heraus rücken, was ihre schlechte Laune verursacht hatte. Sollte sie schreien, eine Szene machen, ihr etwas an den Kopf werfen. Dieses Starren passte nicht zu ihr, genauso wenig wie die kalte Wut, auch wenn sie nicht das Gefühl hatte, das alleinige Zentrum dieser Wut zu sein. Und wie immer, wenn Anya sich in die Ecke gedrängt fühlte, ergriff sie schließlich die Flucht nach vorn. „Willst du vielleicht nachprüfen, ob alles so seine Ordnung hat?", fragte sie und trat näher an Jadzia heran, so nahe, dass sie ihre verschränkten Arme sinken ließ. „Anya", sagte sie, diesmal weniger defensiv und fast ein wenig verwirrt, aber Anya ließ sich nicht mehr abhalten. „Du kannst es doch offensichtlich beurteilen, oder? Bitte bestätige mir doch, dass ich meine schändlichen Taten nicht vor Gael offenbaren werde!", sagte sie, und ohne dass sie es wollte kippte ihre Stimme. „Anscheinend bist du ja deshalb wütend auf mich! Anscheinend-"

Sie kam nicht weiter, weil Jadzia sie wirklich küsste. Es war kein harmloser Kuss auf die Lippen ohne Bedeutung; nichts daran war keusch, oder freundschaftlich, oder züchtig genug, vor einem Zelt in aller Öffentlichkeit statt zu finden, selbst wenn es keine Zuschauer gegeben hätte. Jadzias Hände lagen nicht auf ihren Schulterblättern; ein Arm umfasste sie an der Hüfte und zog sie nah an ihren eigenen schmalen Körper, die andere legte sie auf Anyas Wange. Sie war eine so schmale Person, aber in diesem Moment fühlte Anya sich trotzdem geborgen. Und geliebt. So sehr geliebt, dass es ihr Angst machte. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und der einzige Gedanke war in diesem Moment: Anscheinend hast du dich geirrt. Du machst dir ja doch etwas aus Frauen.

Und dann ließ Jadzia sie los. „Du solltest nicht zu viel mit mir scherzen, Anya", sagte sie, und jetzt klang ihre Stimme wieder ruhig, beherrscht und überhaupt nicht wütend. Was?, dachte Anya, aber das kam ihr nicht einmal über die Lippen. Sie war viel zu verwirrt, um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Was? Es war das einzige Wort, dessen sie habhaft werden konnte.
Jadzia schien zu spüren, wie sehr sie neben sich stand, um ein schmales Lächeln zog über ihr Gesicht. „Und jetzt gehe ich und warte draußen", sagte sie bestimmend, „Und du trinkst deinen Wein aus und tust das, wofür du hergekommen bist." Anya sah auf ihre Hand hinunter, in der sie immer noch den Becher hielt. Sie hatte ihn völlig vergessen, inklusive der Tatsache wo sie war und dass sie überhaupt Hände hatte. „Aber-", begann sie schwach, aber Jadzia ließ sie gar nicht ausreden. „Und wenn du das erledigt hast, gehen wir zurück. Und lass mich diesmal nicht zu lange warten." Damit wandte sie sich um und verließ das Zelt ohne ein weiteres Wort, und Anya starrte ihr wie eine Idiotin hinterher.

Was?


Jadzia trat hinaus in die Nacht und stieß ihren angehaltenen Atem aus.

Das war dumm gewesen, wirklich dumm. Aber sie war überrascht gewesen, oder besser gesagt, völlig überrumpelt. Sie hatte noch das hämisch amüsierte Gesicht von Gaels Ehefrau vor sich, diesem jungen Ding mit den blonden Haaren. „Ich schätze, sie »unterhält« sich mit Sophie", hatte sie auf die Frage geantwortet, wo Anya zu finden war, und ihr süffisantes Lächeln hätte Jadzia eigentlich auf das vorbereiten sollen, was sie schließlich gesehen hatte. Aber das hatte es nicht. Anya, mit einer anderen Frau. Nein, nichts hätte sie darauf vorbereiten können.

Wie war es dazu gekommen? Warum hatte sie nichts davon gewusst? Warum hatte Anya ihr nichts gesagt? Die Antwort war natürlich simpel: Jadzia war einfach zu dumm oder zu unaufmerksam gewesen, es selbst zu bemerken. Oder hatte sie es ausgeschlossen, weil sie Anya nur mit anderen Männern gesehen hatte, obwohl das überhaupt nichts bewies? Egal; ihr war ein Fehler unterlaufen. Das hätte nicht passieren dürfen, und nicht ausgerechnet ihr. Und deshalb war sie wütend geworden, wütend auf sich selbst und auf Anya. Nur deshalb hatte sie unabsichtlich verraten, was sie eigentlich fühlte. Das war nicht gut. Entsprach nicht dem Plan.

„Bist du bereit?" Jadzia schrak nicht zusammen, als Guy hinter ihr auftauchte, aber dennoch ging eine subtile Veränderung vor. Von einem Moment auf den anderen legte sie ihre Unsicherheit ab, wurde kühl und konzentriert. So gern sie auch gegrübelt hätte, es gab jetzt anderes zu tun. Sie wandte sich zu Guy um und nickte ihm zu. „Ja", bestätigte sie. „Und Anya und Karvash?", fragte er nach, und sie lächelte schmal. „Werden vermutlich innerhalb einer halben Stunde schlafen." „Hat sie ausgetrunken?" Jadzia schüttelte den Kopf. „Nein, aber selbst wenn das nicht funktioniert, ist sie jetzt beschäftigt. Es spielt keine Rolle, sie kommen uns nicht in die Quere." Guy schien nicht überzeugt, aber wenn er Bedenken hatte, dann schluckte er sie in diesem Moment. „Dann schlagen wir jetzt zu." Jadzia nickte, und ein schmales Lächeln zog über ihr Gesicht. „Ja. Fangen wir unser Ungeziefer."

Guy löschte die Laterne, die er in der Hand gehalten hatte, und sie tauchten in die Schatten des Lagers ein.  

Verloren im Feuer | BoyxBoy | LGBT FantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt