Chrysanthemengelb

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Chrysanthemengelb
Chrysantheme – Mein Herz ist frei

Severus bemühte sich während des Unterrichts nicht auf sie zu achten – was ihm minder gut gelang. Er ignorierte sie zwar noch immer, wie sonst auch, und zog ihr Punkte ab, wenn ihr vorlautes Mundwerk sich nicht zurückhalten konnte, aber wenn er durch die Reihen schritt, erstappte er sich dabei, dass er an einem Platz ganz besonders lang verweilte.
Seine Gedanken in den freien Stunden, die er meistens alleine in den Gemächern verbrachte, konnte er natürlich nicht unterbinden. Sie drifteten immer wieder zu ihr und Severus hätte sich am liebsten jeden einzelnen Gedankenstrang herausgezogen.
Als er Hermine das nächste Mal außerhalb des Unterrichts sah, war es bereits Mitte April. Der Frühling hatte gänzlich Einzug gehalten und vom Himmel strahlte die Sonne, die alles mit ihrem warmen Licht bedeckte. Wieder stand er im Schlossportal und beobachtete sie dabei, wie sie sich ein schattiges Plätzchen unter einer großen Weide suchte, nur um dort zu lesen.
Ihr sonnengelbes Oberteil spiegelte das allgemeine Befinden im Schloss wieder. Überall sah man lächelnde Gesichter – es herrschte eine entspannte Stimmung. Nur nicht beim Meister aus den Kerkern. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal gelacht hatte und wenn er ehrlich war, war es ihm auch egal. Und doch konnte er nicht leugnen, dass die Fröhlichkeit, die sie ausstrahlte, während sie selig lächelnd in ihrem Buch blätterte, ihn in einer merkwürdigen Art und Weise beflügelte.
Sein Blick fiel auf einen kleinen gelben Fleck, nicht weit von ihr. Wilde Chrysanthemen wuchsen dort und verströmten das Gefühl des herannahenden Sommers. Ihr Duft flog über die Ländereien und Severus musste sich unwillkürlich fragen, wie sie wohl riechen würde. Welchen Duft würde er wahrnehmen, würde er seine Nase in ihren wilden Haaren vergraben? Würde sie nach Banane riechen? Oder nach Ananas? Zitrone? Benutzte sie überhaupt ein Shampoo, das fruchtig roch oder verwendete sie lieber ein Kräuteröl?
All diese Fragen schwirrten in seinem Kopf umher, vermischten sich mit dem Duft der gelben Blumen und Severus hasste all das. Er wollte – durfte nicht so denken und dennoch, so sehr er es versuchte, es gelang ihm nicht damit aufzuhören.
Ein Zitronenfalter flatterte vorwitzig vor seinen Augen herum, während er sie weiterhin anstarrte. Gestört von dieser winzigen, gelben Kreatur, löste er seinen Blick von Hermine und schlug mit einer unwirschen Bewegung nach dem Insekt, das beinahe empört mit flatternden Flügeln an ihm vorbeiflog.
Severus musste die Unterbrechung ausnutzen und gehen, denn er wusste, würde er sie wieder ansehen, würde er erneut in Trance gleiten. Hastig blickte er auf einen Tempuszauber und begrüßte die Tatsache, dass es in wenigen Minuten Mittagessen geben würde, sehr. Deshalb drehte er sich um und verließ das Schlossportal in Richtung der Großen Halle.

Severus seufzte leise, während er in seinem Maisgemüse herumstocherte.  Er wusste nicht, was mit ihm los war. Wieso diese kleine Löwin ihn in seinen Gedanken Heim suchte. Und wenn er ehrlich zu sich war, wollte er dies auch gar nicht wissen. Eigentlich, und das war alles, was er seit Ende des Krieges wollte, wollte er bloß seine Ruhe. Dieselbe Ruhe, die er in den Sonnenblumenfeldern neben seines Hauses genossen hatte, als er noch ein Kind war. Keine Schreie, keine Drohungen. Nichts als gelbe Blütenblätter und meterhohe Pflanzen. Eventuell eine kleine Biene, die um seinen Kopf schwirrte und ihm summend ein Lied vorsang.
Erneut atmete er tief durch, ehe er seinen Kopf hob. Dort saß sie. Hermine Jean Granger. Besserwisserische Göre. Sie hörte Longbottom, der ihr wild gestikulierend etwas erklärte und dabei seinen gelben Kürbissaft beinahe umstieß, gespannt zu. Ihre warmen Augen lagen ruhig auf ihm und Severus verspürte den merkwürdigen Wunsch, dass ihm ihre Aufmerksamkeit in diesem Maße zu Teil würde.
Als ihr glockenhelles Lachen ertönte und sie amüsiert den Kopf schüttelte, schien es Severus, als würde ihr Lachen direkt in seinen Brustkorb wandern. Sein Herz begann schneller zu schlagen und eine ungeanhte Wärme breitete sich in ihm aus, dass er Angst hatte, sein Brustkorb würde aufbrechen und die gelbe Sonne, die ihm scheinbar innewohnte, freigeben.
Er schluckte hart und stand ruckartig auf. Seinen Stuhl schob er mit lautem Gepolter von sich weg, ehe er mit wehenden Roben die Große Halle durch einen Seiteneingang verließ.

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