Blickkontakt

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Es war nie mein Plan gewesen Abitur zu machen. Mir hatten die 5 Jahre Realschule vollkommen gereicht und eigentlich hätte ich lieber direkt mit einer Ausbildung begonnen. Aber meine Eltern waren der Meinung, dass man mit Abitur im Leben um einiges weiterkommen würde. Ich hatte mich ihrem Willen gefügt. Wie so oft. Jetzt saß ich in Jonas BMW und lies mich von ihm in die Schule kutschieren. Jonas war mein Freund, seit mehr als 2 Jahren schon. Meine Freundinnen bezeichneten ihn als gutaussehend und charmant. Ja, Jonas sah mit seinen hellblonden Locken und den grünen Augen alles andere als schlecht aus. Was mich allerdings schon seit Beginn unsere Beziehung störte waren seine Verbindungen zur rechten Szene. Aber ich liebte ihn, zumindest dachte ich dies zu diesem Zeitpunkt, und solange er „nur" ihre Ansichten teilte und sich nicht aktiv beteiligte war es für mich erträglich. „Und du bist sicher, dass du heute Abend nicht mit möchtest?" Genervt verdrehte ich die Augen. Er wusste ganz genau, dass ich nicht zu seinen Nazi-Freunden ging. Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Nein, Schatz. Ich will nicht mit. Allerdings könntest du ruhig auch mal wieder etwas mit mir unternehmen. Du verbringst momentan ziemlich viel Zeit in diesem...Verein." Ich konnte den zickigen Unterton nicht verbergen. „Das tut mir auch leid, Eli. Aber im Moment haben wir da unheimlich viel zu tun..." Jetzt schaltete ich ab. Genau jetzt war wieder der Punkt erreicht in dem ich mich fragte, warum ich mit Jonas eigentlich noch zusammen war. Beantwortete mir meine Frage aber gleich darauf selber. Wir waren das Traumpaar der Schule, passten vom Äußeren so perfekt zusammen. Die kleine dunkelhaarige Schönheit und der große Blonde mit dem perfekten Körper. Ich hätte kotzen können bei so viel Oberflächlichkeit. Dabei war ich selber eigentlich keinen Deut besser. Ich wollte auch die Fassade des perfekten Paares aufrechterhalten und hatte keine Lust, dass das ganze Dorf über uns tratschte wenn es wirklich mal zwischen uns aus sein sollte. „Hey, Eli! Wir sind da, du kannst aussteigen." Jonas stupste mir vorsichtig in die Seite. „Was? Ja" meinte ich und öffnete die Autotür.

Wie selbstverständlich legte Jonas seinen Arm um meine Taille. Normalerweise mochte ich es wenn er das tat. Ich fühlte mich dann geborgen und sicher. Aber heute nervte es mich und am liebsten hätte ich seinen Arm weggeschlagen. „Ist wirklich alles in Ordnung bei dir? Du bist so angespannt." Sein Atem kitzelte mein Ohr und ein leichter Schauer rieselte meinen Rücken hinuter. „Ich schreib heute eine Mathe Klausur und ich hab einfach das Gefühl mich nicht gut genug darauf vorbereitet zu haben" antwortete ich auf seine Frage. Das war noch nicht einmal gelogen. Jonas gab sich mit der Antwort zufrieden. Er hakte zumindest nicht weiter nach. „Das packst du schon." Er zog mich noch ein Stück enger an seine Seite. Jetzt machte sich doch wieder das vertraute Prickeln in mir breit, welches ich in den letzten Tagen so vermisst hatte. Ich entspannte mich wieder.

Am Haupteingang stießen wir auf meine beste Freundin Sarah. Die Einzige, die sich mit Jonas so gar nicht anfreunden konnte. „Morgen" zwitscherte sie fröhlich und drängt sich zwischen uns um mich in eine Umarmung zu ziehen. „Morgen" gab ich zurück und erwiderte ihre Umarmung. Nach dem sie sich von mir gelöst hatte zog mich mein Freund besitzergreifend zurück in seine Arme. Ich musste mir eingestehen, dass ich die Umarmung mit Sarah mehr genossen hatte. „Macho" sagte sie in seine Richtung was ihm nur ein müdes Grinsen entlockte. „Habt ihrs dann?" fragte ich genervt, löste mich aus Jonas Armen und ging, ohne auf eine Antwort zu warten, auf die Tür zu. Die beiden benahmen sich wie Kindergartenkinder, die sich um ihr Spielzeug stritten. Ich rollte mit den Augen und öffnete schwungvoll die große Eingangstüre. In der Aula war wie jeden Morgen ein großes Gedränge und ich musste mich fast zu meinem Spinnt durchprügeln um meine Bücher holen zu können. Ich gab die Zahlenkombination von meinem Schloss ein und öffnete den Spinnt. Geschichte, Deutsch, Bio. Alles Fächer, die mir leicht fielen. Ich stopfte die Bücher in meine Tasche und schloss meinen Spinnt ab. Als ich mich umdrehte sah ich aus den Augenwinkel eine Bewegung. Aus reinem Reflex sah ich genauer hin. Am Rand der Aula stand eine junge Frau, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich. Ihre Haare waren kirschrot und reichten ihr bis knapp zu ihrer schmalen Taille. Sie war größer als ich, kurvig und unterhielt sich angeregt mit einem Typ mit braunen Locken. Sie lachte und sah in diesem Augenblick hoch. Smaragdgrün. Ich wurde rot, sie hatte mich beim Starren erwischt. Ihr Blick glitt über mein Gesicht und sie lächelte mir kaum merklich zu. Dann drehte sie sich um und lachte über irgendwas was der Typ gesagt hatte, während sie mit ihm in Richtung der Treppen ging. Verwirrt blieb ich mitten im Gang stehen bis mich ein ziemlich unsanfter Stoß in den Rücken zurück in die Wirklichkeit holte. „Wenn du träumen willst, dann geh zurück ins Bett. Aber steh hier nicht im Weg rum!" Schnauzte mich jemand an. Ich murmelte eine Entschuldigung und machte mich auf den Weg ins Klassenzimmer. Auf der Treppe holte mich Sarah ein. „Na, habt ihr zwei eure Messer wieder weggesteckt?" fragte ich. Sie schnaubte „Ehrlich, Elena. Ich versteh überhaupt nicht was du an ihm findest. Okay, er sieht gut aus, aber mehr hat er auch nicht. Dieser arrogante Macho!" „Manchmal reicht das" murmelte ich und lief vor ihr in den Klassenraum. Eigentlich mochte ich Deutsch und eigentlich gingen mir die Aufgaben immer leicht von der Hand. Aber heute konnte ich mich partout nicht konzentrieren. Immer wieder schoss Smaragdgrün durch meinen Kopf und immer wieder blitzen kirschrote Haare in meinen Gedanken auf. Frustriert zerknüllte ich das Blatt auf dem ich mit der Analyse des Textes begonnen hatte. Was war nur los mit mir? Entschlossen verbannte ich smaragdgrün und kirschrot aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf meinen Text. Gegen Ende der Stunde war ich fertig.

Ginny Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt