Der Flug unter dem Mondlicht

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(Nyoko Dark)

Immer weiter fiel sie in die Tiefe, doch anstatt Todesangst zu haben oder aufgeregt zu sein, hatte sie ihre Augen ruhig geschlossen. Anscheinend genoß sie den angenehmen Wind, der ihre weißen Haare nach hinten flattern ließ. Im Hintergrund hörte sie leise das aufgeregte Schreien von Conan, doch das machte ihr nichts aus. In diesem Moment fühlte sie sich einfach bloß frei und bedenkenlos. Nyoko atmete die kalte Nachtluft entspannt ein, nur um diese einige Sekunden später wieder auszuatmen. ,,Ich will nicht mehr leben, lass mich einfach alleine!", hörte Nyoko ihre eigene Stimme, wo sie ungefähr 13 Jahre alt war, in ihrem Kopf. Ihr Herz schmerzte bei dieser Erinnerung. Das Bild von der Sicht, die Nyoko hatte als sie ganz alleine mit ihrem Bruder am Hochhausdach stand, gab ihr ein unangenehmes Gefühl.
,,Lass mich sterben!"
Ein scharfer Luftstoß fegte an ihr vorbei und sie öffnete, immer noch gelassen, ihre roten Augen. In der Luft drehte sie sich um, sodass sie nun den Garten begaffen konnte. Die Engelsstatue war das einzige, zusammen mit dem Mond, was Farbe in die Dunkelheit gab. Gerade als sie aus ihrer Tasche ihren Fallschirm ziehen wollte, spürte sie warme Hände an ihrem linken Fuß. Ihr schwarzer Lederschuh, den sie von dem Mann hatte, fiel in die Tiefe. Erschrocken schrie Nyoko, als sie in die Luft gezogen wurde, und der Boden sich immer weiter von ihr entfernte. Nun packte auch die Person ihren rechten Fuß. Netterweise ließ er dieses Mal den Schuh nicht in die Tiefe stürzen. Nyoko hing nun kopfüber unsicher in der Luft und sie musste sich zusammenreißen, das Essen im Magen zulassen, als die Person einem Baum aus dem Weg flog. Sie hielten immer mehr an Abstand zum Boden und irgendwann verschluckte die Dunkelheit den sicheren Boden. Die Person, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mann sein musste, versuchte mit seiner Hand höher zu packen. Seine Hand lag nun auf Nyokos Oberschenkel. Mit aufgerissenen Augen trat sie ihn, sodass er keuchend losließ.
Schon wieder stürzte Nyoko, doch im letzten Moment griff die fremde Person nach ihren eiskalten Händen.
,,Bist du lebensmüde?!", schrie er sie wütend an.
//Ich hatte es geahnt. Ich meine wer fliegt sonst einem anscheinend lebensmüdenMädchen hinterher?//
Aber als Nyoko seine Stimme hörte, war sie sich nun sicher. Es war die Stimme von Kaito Kid. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht sie zu ändern.
,,Bist du pervers?!", zischte die weißhaarige mit leicht erröteten Wangen zurück. In diesem Moment stempelte sie das als normale Reaktion ab. Auch wenn sie wusste, dass er keine andere Wahl gehabt hatte, wollte die 18-jährige ihn noch etwas aufziehen. Zum Glück war es dunkel, sodass er nicht sehen konnte, dass die eigentlich emotionslose Teenagerin rot im Gesicht war.
Er grummelte irgendwelche unverständliche Worte, als er Nyoko weiter zu sich hoch zog, sodass sie nun in seinen Armen lag. Krampfhaft unterdrückte sie die Wärme, die sich in ihrem Gesicht ausbreiten wollte.
,,Du bist ein Mädchen!", stellte der Schwarzhaarige überrascht fest.
Sie seufzte und rollte angenervt mit den Augen. ,,Sicher?", fragte sie schief grinsend. Sie gluckste auf, als sie das verwirrte Gesicht von Kaito Kid unter dem Mondlicht erblickte. ,,Guck doch mal nach ... Spaß beiseite. Ich danke dir, Herr Meisterdieb. Zum Glück hast du es mir verraten, hätte ich selbst nie herausgefunden", kommentierte sie.
Kaito Kid schien kurz von dem plötzlich großen Schub von Sarkasmus noch verwirrter zu sein, denn er schaute sie mit undefinierbaren Blicken an.
,,Hör auf, mich anzugaffen!", meinte sie nach einer Weile genervt, jedoch hielt sie sich selbst mitten im Satz den Mund zu, als er einen weiten Bogen nach rechts machte.
,,Flug krank oder was?", kommentierte er schelmisch und lachte amüsiert.
Nyoko bedachte ihn mit Todesblicken, jedoch wurde sie plötzlich ernst. ,,Warum hast du mich gerettet?", fragte sie leicht neugierig.
Noch immer spürte sie die Schmerzen am Rücken. Dem Brillenträger würde sie es auf jedenfall noch heimzahlen. Was dachte er denn, dass er sie einfach verletzen konnte, ohne das dreifach zurück zu kriegen?
Sie versteckte mühsam ein rachsüchtiges Grinsen unter ihrer monotonen Fassade.
Verwundert hob er beide Augenbrauen. ,,Wieso nicht? Ich wollte nicht, dass so ein hübsches Mädchen in so frühen Jahren stirbt, erst recht nicht wegen Selbstmord", sagte er charmant lächelnd. Nun, da er wusste, dass sie ein Mädchen war, behandelte er sie wie er auch mit anderenFrauen umging.
Mit einem Schlag war er höflich, charmant und sanft.
Nyoko, die dieses Charmant-Sein noch nicht ganz verstanden hatte, entgegnete kühl: ,,Da wusstest du noch gar nicht das ich ein Mädchen bin."
Der Meisterdieb schaute leise seufzend in den Himmel. ,,Außerdem musst du wegen diesem Rotzlöffel, der dich vielleicht etwas in die Enge getrieben hat, nicht gleich Selbstmord begehen."
//Hatte ich auch nicht vor..was denkt der wer ich bin? Ein schwaches Mädchen?// Also ignorierte Nyoko diese Aussage von ihm einfach und fragte erneut wieso er sie denn jetzt gerettet hat. Kaitos harter Griff wurde sanfter und Nyoko befürchte gleich losgelassen zu werden, aber falls er das vorhatte, warum hätte er sie erst gerettet? Das machte kein Sinn ...
,,Was überlegst du?", fragte Nyoko, bereit jederzeit wieder in die Dunkelheit zu stürzen. Erneut wurde eine Kurve in der Luft gemacht, doch dieses mal wurde ihr nicht schlecht. Es verstrichen paar Sekunden in Stille, indem Nyokos Kapuze wieder auf ihren Kopf flog.
,,Ich überlege, wie ich einem Menschen, der wohl nie das Gefühl Menschen retten zu wollen verspürt hat, erklären soll, wie es sich anfühlt."
Ein Schatten fiel auf das Gesicht der 18-Jährigen und sie schluckte.
,,Brauchst du nicht", entgegnete sie säuerlich.
//Dummkopf...Natürlich kenne ich das Gefühl.//
Kaito schaute wieder vom endlosen Nachthimmel zu ihr runter.
Sein Gesicht sah so aus, als würde er sich entschuldigen wollen, doch bevor er das tun konnte, sagte Nyoko düster: ,,Ich kann dich immernoch hier töten. Obwohl wir gerade in vielen Metern Höhe in der Luft fliegen."
Er blinzelte verwirrt und hob skeptisch eine Augenbraue.
,,Das würde auch dein Tod bedeuten", merkte er an, hatte aber trotzdem seinen Blick auf ihr Schwert gerichtet.
,,Denkst du, ich springe einfach so in den Tod?" Sie lachte lange. Als sie fertig war, kniff sie bedrohlich ihre Augen zusammen und versuchte seine Gefühle abzulesen.
Er erkannte die Lage, jedoch wirkte er nicht wütend, sondern grinste wiedermal bescheuert. Das machte es schwerer für Nyo, denn sie konnte nicht so einfach wissen, was er gerade dachte.
,,Deswegen also der Rucksack", murmelte er verstehend und näherte sich ihrem blassen Gesicht.
Dieses mal wurde sie nicht rot, sondern starrte ihn beinahe gelangweilt an.
,,Du hast aber bestimmt nicht so einen tollen, lenkbaren Drachengleiter wie ich, deiner lässt dich nur sicher landen. Stimmt doch?", flüsterte er. Sein Atem streifte ihr Gesicht. Aber er hatte Recht. Den Rest des Weges musste sie dann laufen. Der Phantomdieb wäre schon über alle Berge.
Nyoko gab ein genervtes Zischen von sich und kniff ihm in die Wange.
Sofort entfernte er sein Gesicht und rieb sich mit der Schulter kurz verwirrt über die nun leicht rote Wange.
,,Das ist also dein echtes Gesicht."
Nun erlaubte sie sich einen kleinen Spaß und äffte ihn in seiner Stimme nach: ,,Ein hübsches junges Gesicht hast du aber!"
Nach dem Satz wandte sie sauer ihren Blick von ihm ab.
//Es gibt wirklich Menschen, die auf dieses Getue von ihm reinfallen. Beeindruckend, wie oft ich von den Menschen negativ überrascht bin.//
,,Bist du eigentlich immer so?", fragte Kaito Kid nach einer Weile grinsend.
,,Wie?", giftete sie zornig zurück.
,,Ja eben.. so leicht reizbar", erklärte er knapp und flog mit seinen weißen Drachengleitern etwas nach unten. Er wollte wohl so langsam die Weißhaarige loswerden.
,,Ich bin nicht leicht reizbar!", zischte sie mit aufgebissen Zähnen.
,,Dann eben aggressiv."
Nyoko wollte schon wütend schreien, dass sie nicht aggressiv sei, aber stoppte sich selbst.
//Was mache ich eigentlich hier? Ich scherze mit meinem Feind, den ich vor paar Sekunden töten wollte.//
,,Gib mir das Juwel", sagte sie drohend, griff einen seiner Arme und packte kräftig zu.
Er riss schmerzvoll die Augen auf und biss sich auf die Unterlippe um nicht einen schmerzvollen Laut von sich zu geben.
,,Du hast aber einen harten Griff", kommentierte er und versuchte dabei, noch immer cool und gelassen zu wirken.
Nyoko war nun genervt wie noch nie. Musste sie unbedingt ihr Schwert ziehen, damit er endlich aufgab?
Sie packte viel fester zu und spürte schon selber wie tief sie mit ihren Nägel zudrückte.
,,So wird das nichts, geehrte Miss Bloody Angel. Ich dachte, dass ich vielleicht ein ruhiges Gespräch mit Ihnen führen könnte, aber Sie lassen mir keine andere Wahl", meinte er grinsend und betonte die Höflichkeitsformen extra.//Was hat er vor? Er kotzt mich an, denkt er es wäre cool?!//
Angriffsbereit beobachtete sie was er tat.
Plötzlich raste seine andere - freie - Hand in seine Jackentasche.
Sie hatte erwartet, dass er jetzt eine zweite Kartenpistole zückte, aber stattdessen erkannte sie im Mondlicht eine Spritze mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Sie erkannte ihre Spritze.
,,Ist das nicht meine Tiernarkose-", keuchte sie erschrocken und streckte ihre Hand panisch nach der Spritze aus, jedoch stieß er schneller als sie reagieren konnte die Spritze in ihren Nacken.
Das Wort blieb ihr im Hals stecken und sie schaute ihn mit weit aufgerissenen, ängstlichen Augen an.
Sie machte den Anschein, als wollte sie gegen das Schlafmittel ankämpfen, jedoch schlossen sich ihre roten Augen langsam, bis sie vollkommen zu waren.
Lächelnd packte er die Spritze zurück in seine Jackentasche.
,,Ich habe mich schon gewundert, was diese Spritze in deiner Jackentasche macht. Es ist wohl eine Tiernarkosenspritze gewesen", sagte er in dem Wissen, dass sie es verständlicherweise nicht mehr hören konnte. Er blieb eben ein Meisterdieb in ganz Japan - nein, er war vermutlich der beste Dieb in der ganzen Welt. Ohne dass die 18-jährige es gemerkt hatte, hatte er ihre Jackentasche durchsucht. Da ihm die Spritze verdächtig vorgekommen war, hatte er sie vorsichtshalber eingesteckt.
Mit wenigen Bewegungen steuerte er zusammen mit dem Mädchen auf dem Arm auf den Boden zu. Sanft landete er auf seinen Füßen und schaute sich nachdenklich im Park um. In wenigen Stunden würde der Morgen anbrechen, es war aber trotzdem noch dunkel und kalt. So wie er es unschwer erkennen konnte, musste es der Beika Park sein. Er lehnte die 18-jährige gegen einen Baum, der relativ versteckt im Park stand.
Wie viele Stunden es wohl brauchte bis das Mittel nachließ, sodass sie wieder aufwachte? Es war natürlich klar, dass er so ein gefährliches Mädchen nicht mit nach Hause mitnehmen konnte, also musste sie wohl die Nacht hier verbringen. In der Kälte.
Seufzend setze er sich dicht neben die Weißhaarige, die noch immer ihre schwarze Kleidung trug. Es war ein langer schwarzer Hoodie, eine ebenso schwarze Hose, und man sah leicht das dunkelrote Hemd, die sie unter dem Hoodie trug. Ihre Schuhe waren auch schwarz.
Sie fiel in der Dunkelheit nicht auf, während Kaito Kid in dem weißen Anzug herausstach.
Der kalte Wind fegte an ihnen vorbei und überzog die Arme des 17-Jährigen mit einer Gänsehaut. Fröstelnd näherte er sich mehr dem Mädchen. Sie musste wohl am meisten frieren. Mit dieser Erkenntnis zog er seinen weißen Anzug aus und legte es über ihren Körper. Damit sie nicht auch an den Ohren frieren konnte, zog er ihre Kapuze ganz über ihren Weißschopf.
Zufrieden mit seinemWerk stand er wieder auf.
Warum half er ihr eigentlich? Sie hatte versucht, ihn zu töten, hatte ihm sogar dabei einen Schnitt an der Schulter zugezogen. Instinktiv fasste er sich an die blutige Stelle, das Blut war schon getrocknet.
Trotzdem sagte ihm sein Gewissen, dass er keine so junge Frau nachts frieren lassen dürfte oder dass er sie nicht sterben lassen konnte. Kaito seufzte irritiert.
Außerdem hatte er wegen ihr jetzt einen blauen Fleck am Arm, wie er feststellte, als er sein blaues Hemd etwas hochschob.
,,Autsch", meinte er und wand ihr den Rücken zu. ,,Was auch immer.. Bei mir ist dein Geheimnis jedenfalls sicher, aber bestimmt hast du Angst, dass ich es Conan sagen könnte, oder?"
Wie erwartet kam keine Antwort.
Der fröstelnde Meisterdieb ließ seinen Feind hinter sich liegen, zusammen mit der kurzen Nachricht und der weißen Rose - und natürlich seinem Anzug.
,,Ich werde sehnsüchtig auf unser Wiedersehen warten, Bloody Angel."

Lost in the Darkness (Detektiv Conan Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt