9 ~ Erste Gewohnheiten

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"Ich weiß es genau, Olivia. Ich wusste genau, dass unser Großonkel exakt wusste, welche Arbeit perfekt zu wem passt. Diese Aktivität ist mir wie auf den Leib, auf den Geist geschnitten. Ich kann mir gar nichts Anderes mehr vorstellen. Es kommt mir so vor, als hätte ich davor gar nicht richtig gelebt ."

Tick. Tack. Tick. Tack.

Dieses Geräusch war im Vergleich zu dem sich aufbauenden Tumult nahezu untergehend. Aber ich konzentrierte mich trotzdem darauf, um nicht in andere Gedanken abzuschweifen.

Ich saß nun in Raum 019.

Chemie. So hieß das Fach meiner ersten Unterrichtsstunde. Mein Lehrer Herr Rafeclark, der nun schon seit fast zehn Minuten vorne vor allen Schülern, mit denen ich den Raum teilte, herumbalancierte und auf- und abhüpfte, während er etwas erzählte.

Bei Rose war es leicht, aber viele Personen um mich herum als Norm anzusehen, stellte sich schon als wesentlich schwieriger heraus.

Abgesehen davon konzentrierte sich ja hier niemand. Jeder machte irgendetwas Anderes. Einige Jungs an der Wand unterhielten sich lauthals, ohne dass der Lehrer offensichtlich etwas davon mitbekam. Ein Mädchen lackierte sich gerade ihre Fingernägel, wobei sie einen ziemlich angestrengten Gesichtsausdruck machte und einige junge Männer vor mir hielten ihr Handys unterm Tisch und tippten darauf herum.

Handys. Mobilgeräte, mit denen man sich mit anderen Leuten verband und noch andere interessante Aktivitäten betreibte. Das hatte mir auch Lia erklärt.

Die einzigen Schüler, die aufpassten, was hier schon sehr herausstach, waren eine Gruppe von Jugendlichen, die ich vorhin mit ihren Conputern auf dem Schulhof gesehen hatte. Sie schrieben alles mit, was der Lehrer sagte und beobachten ihn dabei trotzdem haargenau. Wie das nur möglich war? Von einigen ihrer Mitschüler erhielten sie argwöhnische Blicke, die sie aber gekonnt ignorierten.

Der Rest starrte entweder Löcher in die Welt und schreibte gelegentlich etwas auf oder hatte seinen Kopf auf das harte Holz des Schreibtisches gesenkt und schlief. Zumindest kam es mir so vor.

Hin und wieder warfen sie neugierige Blicke zur letzten Sitzreihe, wo ich mich vor ungefähr zwanzig Minuten platziert hatte. Das ging jetzt schon so, seit ich hereingekommen war.

War es so ungewöhnlich, neue Schüler hier zu sehen? Es war doch der Anfang des Schuljahres.

Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass ich zu spät kam.

Ich hatte geklopft, ein "Hereinspaziert" ertönte und sobald ich die Klassenzimmertür aufgestoßen hatte, fing Mr. Rafeclark, den ich sofort als Lehrer erkannte, an zu reden.

"Aaaah, die Neue! Sie sind Miss Collins, nehme ich an? Setzen Sie sich!"

Bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, mich umzuschauen, geschweige denn etwas zu sagen, legte er schon seine Hand auf meinen Rücken und stieß mich in Richtung Gang zwischen den Tischreihen.

"Sie haben sich hier verlaufen, oder? Ja, das passiert hier immer. Aber dafür haben wir natürlich vollstes Verständnis, oder, Kinder?"

Bevor ich widersprechen konnte, ging schon ein leises Grummeln durch die Klasse, was wahrscheinlich als Zustimmung zu der Frage des Mannes gelten sollte.

Erst jetzt verschenkte ich meinen Blick dorthin. Sie schauten mich alle an.

Es waren ungefähr fünfzehn Leute im Kurs und alle waren ungefähr so alt wie ich. 17 oder 18, nehme ich an.

Sie musterten mich wirklich beinahe schon einschüchternd. Zumindest die Mädchen. Ihre Blicke huschten von oben nach unten und dann wieder hoch. Warum?

~ Seventies ~ Eine Sekte, die keine Gnade kennt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt