~ Prolog ~

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"Wo ist denn nun die Kutsche, von der sie sprachen?", fragte ich missmutig.
Meine Laune war schon wieder im Erdboden versunken. Heute morgen wurde mir mitgeteilt, das ich meinen Bruder, den Herrscher von Limes, heute auf dem Sklavenmarkt vertreten muss.
Ich hasse es dort, ich würde am liebsten alle Sklaven kaufen und ihnen ihr Leben zurückgeben. Aber ich wusste, wenn ich das tun würde,gäbe es ein paar Konflikte mit meinem Bruder. Und selbst das ist noch untertrieben.
Ich sollte vielleicht erwähnen, das ich nicht das beste Verhältnis zu meinem Bruderherz Marcel hatte. Ich war nicht mit seiner Art, zu herrschen, einverstanden. Er war zu brutal und wollte in jeder seiner Entscheidungen einen Vorteil für sich ziehen. Marcel ist ziemlich egoistisch.
"Er müsste gleich da sein, Sir Styles", verkündete der Hofknabe nervös. Er hatte offensichtlich ein schlechtes Gewissen oder Angst, weil sich der Kutscher verspätete und ich sowieso nicht die beste Laune hatte.Dabei hatte er eigentlich nichts zu befürchten, ich ging sehr loyal mit meinen Angestellten um, im Gegensatz zu anderen Herrschern. Ich musste natürlich manchmal härter durchgreifen – alleine, damit ich noch irgendwo ernst genommen wurde – aber ich achtete immer darauf, das es meinen Dienern gut ging. Außerdem fallen meine Strafen nie so heftig aus.
Ich nickte gedankenversunken zu dem jungen Hofknaben, der nervös hin und her wippte. Ganz niedlich, der Kleine. "Schon gut, Sweetheart. Du kannst auch nichts dafür", lächelte ich ihn an. Belustigt beobachtete ich, wie sich die Härchen auf seiner Haut aufstellten und er eine Gänsehaut bekam. Wirklich niedlich.
Ich hörte Hufgetrappel auf dem hellen Kiesweg und er blickte kurz danach auch schon unseren Kutscher Ashton. Das Anwesen war wirklich schön. Die Büsche waren perfekt geschnitten und das große beigefarbene Gebäude, das im barocken Stil gehalten wurde,passte perfekt in das Gesamtbild. Trotzdem fühle ich mich hier nicht so wohl. Es ist mir fast... zu perfekt. Was nützt mir all der Reichtum, wenn ich nicht so leben kann, wie ich will?
Die beiden Rappen kamen schnaubend zum Stehen, sofort entschuldigte sich der Kutscher und sah mich unterwürfig an: „Es tut mir so leid, Sir Styles, aber Damian", er zeigte auf den rechten Rappen der mit seinen weißen Beinen auf dem Boden scharrte, „hat ein Hufeisen verloren und wir mussten noch zum Schmied, aber ich verspreche Ihnen das wir nicht zu spät kommen werden. Diese beiden Pferde sind die schnellsten im ganzen Stall"
Ich nickte nur und machte eine abwinkende Handbewegung. Mir war es so egal ob ich nun rechtzeitig oder zu spät zum Markt kommen werde. Am liebsten wäre mir es, wenn ich dort gar nicht hin müsste.
Ich setzte mich also in die Kutsche, während mein Hofknabe meine Tasche verstaute. Der Kutscher blickte fragend zu mir nach hinten und fragte: „Kann ich die Pferde antreiben?"
Es waren wirklich prachtvolle Tiere. Das Linke hatte eine sichelförmige Blesse und das andere hatte einen komplett rabenschwarzen Kopf und weiße Beine. Ihr dunkles Fell glänzte in der Sonne.
Ich rief ein: „Kann los gehen!" nach vorne und hörte das Schnalzen der Peitsche. Die Pferde legten rasch an Tempo zu und die Kutsche ruckelte ein bisschen. Meine langen Beine hatte ich an die kleinen Wand vor mir gestemmt, damit ich ein wenig Halt hatte. "Mein Gott, dieser Kutscher bringt mich noch um", dachte ich schmunzelnd.
Aber ich wäre ja nicht Harry Styles, wenn ich Angst hätte. Grinsend sah ich aus der Droschke und genoss den Fahrtwind, der mir die Haare aus dem Gesicht wehte. Die Wälder zogen an uns vorbei und bald musste ich enttäuscht feststellen, dass das Dorf nicht mehr all zu weit entfernt war.
Die Pferde parierten durch und schritten die letzten Meter langsamer. Ich konnte die Dorfbewohner rufen hören: „Der Bruder des Königs! Der Bruder des Königs besucht uns!"
Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Ich war bei unserem Volk sehr beliebt und das merkt man auch. Vor allem jüngere Bewohnerinnen himmelten mich an.
Als die Kutsche zum stehen kam, wurde mir sogleich die Tür geöffnet und ich setzte meine Maske auf.
Lächeln, Schultern gerade, winken, unbeschwert wirken.
Aufrecht gehen, freundlich grüßen, winken.

Der Markt war gut besucht, allerdings sah man der Stadt deutlich die finanziellen Probleme an. Auch die schlechte Ernte und die Armut trugen nicht zu einem schönen Stadtbild bei.
Ich deutete Ashton an, das er die Pferde wegbringen könne, während ich mich in Bewegung setzte und gefolgt von meinen Leibwächtern über den Markt lief. Der Henker bereitete schon seine Axt vor und ich wollte mich am liebsten schon jetzt übergeben. Immer am ersten Sonntag im Monat fanden die Hinrichtungen auf dem Marktplatz statt und ein Adeliger unserer Königsfamilie musste dem Spektakel beiwohnen. Normalerweise lies sich mein verehrtes Bruderherz die Gelegenheit, Menschen zu beobachten die völlig übermäßig gequält und getötet wurden, nicht entgehen. Aber er hatte einen wichtigen Termin mit einem befreundeten König. Dort konnte er keinen seiner unzähligen Laufburschen hinschicken.
Es herrschte reges Treiben auf dem Markt, die Marktschreier priesen ihre Produkte an und die einfachen Bürger wirbelten aufgeregt herum und langsam wurde mir das alles zuviel. Keine Frage – ich liebte mein Volk – aber mir war das unangenehm, das ich so angehimmelt wurde.
Ich lief also seufzend zu meinem Platz, um mich zu setzen. Der staubige Holzboden der Adeligentribüne knarzte unter meinen schweren Schritten.
„Na Harold, auf einer Skala von 1-10, wie tief ist deine Laune gesunken?", versuchte mich Eleanor aufzumuntern, die lächelnd neben mir saß. Ich knurrte sie nur kurz an und sie kicherte. „Oh okay, so schlimm? Komm schon Harry, du weißt wie wichtig es ist, das du heute nicht die Fassung verlierst... So wie die letzten Male",belehrte sie mich danach und drehte ihren langen geflochtenen Zopf nervös hin und her. Sie hat sehr lange braune Haare und dunkle Augen. Allgemein war sie ein sehr hübsches und freundliches Mädchen und wir waren schon seit Kindertagen befreundet. Mein mittlerweile verstorbener Vater war gut mit ihrem Vater befreundet und so kam das eine zum anderen. Ihr Vater hoffte immer noch inständig, das ich sie irgendwann mal heiraten würde. Aber das würde nicht passieren. Wir waren gute Freunde und ich liebte sie, aber sie war wie eine Schwester für mich. Sie zu heiraten wäre undenkbar.
Ich richtete meine Augen wieder auf die Menge. Es war schön dekoriert,was irgendwie makaber war, denn dieses Land war wirklich nicht sehr wohlhabend und es würden gleich Menschen sterben. Selbst mit der schönsten Deko würde das unansehnlich bleiben, aber das ließ sich niemand anmerken.
Der Hinrichtungstag war so etwas wie ein„Feiertag". Die Bewohner hatten alle ihre besten Kleider – die ich nicht mal mehr als Nachthemd nutzen würde – herausgekramt und sich möglichst schick gemacht.
Mit gesenktem Kopf wurde ein Angeklagter auf die Tribüne gebracht. Als er sich vor den Galgen stellte, hob er den Kopf und sah mir hasserfüllt in die Augen. Es fühlte sich an, als würden sich seine braunen Augen direkt in meine Seele bohren.
Seine Anklage wurde verlesen. Er hieß Liam.
Ich kannte ihn.
Zittrig schluckte ich das Kloß, das sich in meinem Hals bildete, runter.
Hochverrat wurde ihm vorgeworfen.
Wir waren früher gut befreundet.
Er stellte sich auf das kleine Podest und die Schlinge wurde um seinen Hals gelegt.
„Liam Payne wird damit zur Todesstrafe durch Erhängen verurteilt.Irgendwelche letzten Worte?", maulte der Henker gelangweilt.
Ich stand auf und versuchte etwas zu sagen, ihn zu begnadigen. Doch nur ein mitleiderregendes Krächzen verließ meine Kehle. Damn it, das durfte doch jetzt nicht war sein. Der Henker lief schon zu dem Hebel,der das Öffnen des Fallbodens verursachte. Das wärs dann gewesen.
Ich räusperte mich etwas lauter und richtete damit einige Blicke auf mich. Auch Eleanor sah mich verwirrt und nach dem Motto„Ich-habe-gesagt-kein-Aufstand!" an. „Ich möchte das Liam begnadigt wird!", rief ich, so laut ich konnte. Erschrocken hob Liam den Kopf und sah mich verwirrt, aber glücklich an.Entschuldigend blickte ich in seine Augen und formte ein „Bitte hass mich nicht". Denn ich wusste um ehrlich zu sein nicht, ob das was ihn jetzt erwarten würde, so viel besser war.
Ich setzte mich wieder und Eleanor sah mich ein bisschen wütend an, so wie der Henker. Aber auch wenn ich nur der Bruder des Königs bin, mussten sie meinen Befehlen Folge leisten.
Liam wurde die Schlinge abgenommen und er wurde von der Tribüne geführt. Ich sah ihn nicht an.
Der nächste Angeklagte kam und ich beschloss, für den Rest der Zeit nicht mehr hinzuhören oder hinzuschauen. Das hielt ich nicht aus. Ich konnte nicht alle begnadigen – eigentlich hätte ich keinen begnadigen sollen – und es würde mir das Herz zerreißen,noch etwas mitzubekommen.
Ich starrte also den Rest der Zeit aufmeine Hände und knetete sie nervös. Eleanor versuchte ein Gespräch anzufangen, doch realisierte schnell, dass ich nicht besonders gut drauf war.
Die Trompeten, die das Ende des Spektakels verkündeten, holten mich wieder zurück in die Gegenwart. Bedrückt sah ich auf den leeren Henkersplatz und betete für die soeben Verstorbenen. Ruht in Frieden.
Ich stand auf, meine Beine fühlten sich ein bisschen wackelig an und meine Schritte waren schwer. „Wir laufen am besten über den Sklavenmarkt, sie müssen sowieso noch einpaar Geschäfte mit Luke abschließen", informierte mich mein Berater. Wie ich es hasste. Ich nickte nur und versuchte irgendwie wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Ich war ein sehr sensibler Mensch, vermutete ich. Der Blick von Liam belastete mich immer noch,ich hatte das Gefühl alle Verstorbenen hatten mich mit genau diesem Blick angesehen. Ich wollte kein Monster sein.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen und starrte unentwegt auf meine dunkelbraunen Lederstiefel.
Wie in Trance betrat ich nun den Sklavenmarkt und hob den Kopf. Wenn ich Herr meiner Sinne gewesen wäre, hätte ich mich jetzt vermutlich übergeben.
Überall saßen Sklaven,unterwürfig aneinander gekettet. Geschundene Seelen.
Ich versuchte meinen Blick von den Sklaven abzuwenden und ging weiter.Mir war immer noch schlecht. Ich war ein Teil von dieser barbarischen Herrschaft.
Mein Berater lief vor uns, hinter mir meine Leibwächter. Es war glücklicherweise sehr leer und ich musste nicht so extrem darauf achten, Haltung zu wahren.
Bei Luke angekommen besprachen wir kurz ein paar Handelsbeziehungen. Oder eher mein Berater sprach mit ihm. Den mein Blick war auf einen schmächtigen,jungen Mann gerichtet. Seine blauen Augen waren trotzig nach oben gerichtet und er starrte mich an. 

Er sah jung aus,vielleicht 19 oder 20. Er sah nicht so gebrochen aus, wie die anderen Sklaven.
Aber er war klein und sah sehr dünn und schmächtig aus.
Als Arbeitssklave war er vermutlich nicht zu gebrauchen.
Ich betrachtete sein Gesicht näher, er war hübsch, keine Frage.Aber um als Hure verkauft zu werden, hatte er definitiv zu viele Makel. Die vielen Narben und Striemen auf seiner Haut waren schon mal Ausschlusskriterium Nummer 1 und auch das Veilchen, das sein linkes Auge verzierte, trug nicht gerade zu seinem Gesamtbild bei.
Um es kurz zu machen, er war als Sklave unbrauchbar. Ich räusperte mich trotzdem. „Wie viel kostet der?", fragte ich kaltherzig und deutete auf ihn. Mein Berater und Luke unterbrachen kurz die Diskussion und sahen auf den Sklaven, auf den ich zeigte. „Das ist Nummer 28-91, es kostet 4000 Gulden", antwortete mir Luke.
Das war teuer für einen Sklaven. Sehr teuer.
Er würde hier vermutlich noch einige Zeit verbringen.
Aber er gefiel mir.

Nummer 28-91Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt