Kapitel 1: Geständnis

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"Ich liebe dich", sagte er. Einfach so, total nebensächlich, als ob es das normalste auf der Welt wäre.

Ich sah ihn entsetzt an. "Was?!"

Er runzelte die Stirn und öffnete seinen Mund, um die Worte noch einmal zu wiederholen. "Ich-"

"Sag es nicht", fiel ich ihm ins Wort und schüttelte den Kopf. "Ich hab's verstanden. Obwohl, nein, eigentlich nicht."

Ich sah im in die Augen und suchte nach Anzeichen dafür, dass er mich auf den Arm nahm. Aber da waren keine. Seine blauen Augen blickten mich ernst an und auch seine Mundwinkel zuckten nicht das kleinste bisschen wie sonst, wenn er sich einen Scherz erlaubte.

Scheiße. Das konnte einfach nicht wahr sein!

"Wieso?" Das war alles, was ich wissen wollte.

Wieso sagte mir der Junge, den ich seit dem Kindergarten kannte und der wie ein Bruder für mich war, dass er mich liebte?

"Ich weiß nicht...", murmelte er und senkte den Blick."Wieso verliebt man sich in jemanden?"

Ich schüttelte wieder den Kopf, als ob ich so das eben Erfahrene loswerden könnte oder ihn von dem Holzweg, auf dem er sich befand, abbringen könnte.

Es konnte nicht wahr sein. Niemals.

Er sah wieder hoch, direkt in meine Augen und es fühlte sich so falsch an, wie noch nie.

"Meg..." Er kam einen Schritt auf mich zu und streckte seinen Arm aus, doch ich wich vor ihm zurück, als wäre er giftig.

"Wieso?", fragte ich wieder. "Du... du machst alles kaputt!" Die letzten Worte schrie ich schon fast. Mein Blick suchte seine Augen, um so viel Hass wie möglich auszudrücken, bevor ich mich umdrehte und durch das hohe Gras unserer Geheimwiese stolperte.

Unsere Geheimwiese, auf der wir so viel gemeinsam erlebt hatten. Von Verstecken und Fangen spielen als wir klein waren bis hin zu lustigen oder ernsten Gesprächen als wir älter waren.

Gespräche über Schule, Freunde und Liebe.

Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich meinen ersten Liebeskummer hatte und er mich getröstet und wieder aufgebaut hatte.

Oder wie er mit zwölf eine fünf in der Deutscharbeit geschrieben hatte und sich damit nicht nach Hause traute. Er hatte sich hier versteckt und ich hatte ihm Essen und warme Decken gebracht.

Und nun stand er hier und sagte mir, dass er mich liebte.

Ich würde niemals mehr diese Wiese betreten können, ohne an sein Geständnis erinnert zu werden.

Verdammt, hätte er sich nicht einen anderen Ort aussuchen können, wenn er mir schon so was beichtete?

"Meg", rief Niklas mir hinterher, doch ich ignorierte ihn, lief nur noch schneller. "Megan!"

Ich stolperte über einen Maulwurfshügel, rappelte mich wieder auf und ignorierte die brennende Schürfwunde an meiner Hand und die Schmerzen in meinen Knien.

"Megan!" Seine Stimme klang erschrocken und flehend zugleich.

Mir liefen Tränen übers Gesicht, als ich mich durch das Gebüsch auf den Waldweg zwängte, mein Fahrrad aus den Büschen zerrte und nach Hause raste.

Ich wusste, dass er hinter mir war, dass er mir nachfuhr und immer wieder meinen Namen rief.

Für Außenstehende sah es wahrscheinlich so aus, als ob ich vor meinem Stalker oder irgendwas in der Art flüchten würde, aber das war mir im Moment so egal.

Auf den tausendsten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt