Kapitel 18 - Abschied

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»Ist das nicht traurig?«
Verwirrt sah ich Lily an. Sie strich sich eine Strähne ihres roten Haars aus dem Gesicht und stieß einen verzweifelt klingenden Seufzer aus.
»Wir kehren morgen nie wieder hierher zurück. Zumindest nicht als Schüler.«, fügte sie hinzu und hob ihren Blick von dem Buch, in welchem sie zuvor gelesen hatte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass auch Alice Lily ihre Aufmerksamkeit schenkte, denn sie unterbrach ihren Zug in dem Schachspiel, was wir uns lieferten. Ich war haushoch am Verlieren, doch versuchte ich das schon seit einigen Minuten zu überspielen. Die Figuren ziellos auf die Felder schicken, nur um dann festzustellen, dass sie einen Bauern nach dem Anderen schlug. Ich konnte definitiv nicht Schach spielen.
»Das macht mich auch traurig. Aber ich freue mich auch, weil Frank und ich bald zusammenziehen werden.«, ich wandte meinen Blick zu ihr und sah ihr breites Grinsen. Sie tat ihren Zug und ich verzog quälend das Gesicht, als sie ihre Figur mit einem Schwert ausholte und meinen Springer im wahrsten Sinne des Wortes zerschlug. Meine Figuren schrien empört auf und ich war mir sicher, dass sie bald einen Tumult gegen mich starten würden.
»Schach.«, sagte Alice und verschränkte siegessicher die Arme vor der Brust.
»Na ja, ich meine nur, ab morgen ist ein Teil unseres Lebens abgeschlossen.«, meinte Lily und ich legte meinen Kopf leicht schief.
»Ich finde das auch nicht gerade schön, Lils. Nur leider ist die Zeit auf Hogwarts jetzt um und wir müssen Platz für neue Leute schaffen.«, sagte ich und raufte mir die Haare, als ich mich wieder auf das Schachbrett konzentrierte. Mein König schaute nicht gerade sehr erfreut und die Dame brannte darauf endlich jemanden zu schlagen.
»Dame auf H4«, tatsächlich schaffte ich es einen Springer von Alice zu schlagen.
»Du hast Recht.«, erwiderte Lily. »Wo sind eigentlich die Jungs?«
Ich schaute sie erneut an und zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie sind schon den gesamten Tag vom Erdboden verschluckt.«
Lily zog die Augenbrauen zusammen und verzog leicht den Mund. »Ausgerechnet am letzten Tag müssen sie verschwinden.«
»Na ja, ihr wisst ja wie sie sind. Vermutlich planen sie einen Streich oder sowas.«, meinte Alice schmunzelnd, worauf Lily die Augen verengte.
»Wenn sie sich jetzt noch Ärger einhandeln!«, grummelte sie leise und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ich denke nicht, dass sie Nachsitzen bekommen.«, sagte ich lachend.
»Aber wir könnten Hauspunkte verlieren! Das kostet uns vielleicht den Hauspokal. Wir liegen nämlich gleich auf mit Ravenclaw.«, antwortete Lily.
»Turm nach H1. Schach Matt, Ruby.«, ich richtete meine Augen schockiert auf das Schachbrett und schüttelte den Kopf.
»Du bist gemein.«, jammerte ich und sah ihren weißen Figuren beim Marschieren zu. »Mach dir mal keine Gedanken Lils. Sie werden schon nichts Schlimmes anrichten.«


Als wir die Große Halle betraten, herrschte dort schon wildes Treiben. Alle warteten sehnsüchtig auf das Essen, welches bisher noch nicht auf den gedeckten Platten erschienen war. Ich nutzte den Gang zu unseren Plätzen, um die Große Halle noch einmal ausgiebig zu mustern. Wie immer hingen über unseren Tischen die großen Wappen. Hunderte Kerzen schwebten friedlich in der Luft und die verzauberte Decke offenbarte eine sternenklare Nacht. Am Lehrertisch saßen schon alle Lehrer und direkt vor dem langen Tisch schwebte der Hauspokal in der Luft.
Langsam ließ ich meine Augen zu unseren Stammplätzen gleiten und musste leicht den Kopf schütteln. Die Jungs ließen sich endlich wieder blicken und waren wohl in einer angeregten Diskussion. Sirius zeigte tadelnd mit seiner Gabel auf Peter, der sich sichtlich unwohl auf seinem Platz fühlte. Was war denn da schon wieder los?
»Ich nenne das ein Wunder, Leute.«, gab ich von mir, worauf Lily laut aufschnaubte.
Als wir bei ihnen ankamen, stupste ich Remus leicht an, der verwirrt von seinem Teller aufsah und sanft lächelte. Ich setzte mich neben ihn und häufte mir gleich etwas von dem üppigen Essen auf.
»Wo wart ihr?«, Lilys Stimme hatte einen Hauch von Skepsis, doch sie überspielte das mit einem leichten Lächeln, während sie sich ebenfalls etwas von dem Essen nahm.
»Hier und da.«, murmelte Sirius und zuckte mit den Schultern.
»Und das an unserem letzten Tag?«, hakte sie nach.
»Wir müssen uns ja gehörig von Hogwarts verabschieden.«
»Bestimmt haben sie alle ihre Geheimverstecke geplündert.«, amüsiert grinste Alice und stieß ein kurzes Lachen aus, als sie die Blicke der Jungs sah. Sie hatte nämlich genau ins Schwarze getroffen.
»Na ja. Das ist ja wohl gerechtfertigt, oder? Unser Schatz soll ja nicht von irgendwelchen Erstklässlern nächstes Jahr entdeckt werden.«, sagte James grinsend.
»Euer Schatz? Was ist das, ein Päckchen Filibusters und Süßigkeiten aus dem Honigtopf?«, fragte ich belustigt, worauf Lily lachen musste.
»Traurig, aber wahr.« Remus schmunzelte und zwinkerte mir kurz zu.

Nach dem Essen kam es schnell in der Halle zur Ruhe. Professor Dumbledore erhob sich und hielt seine übliche Rede zum Ende eines Jahres.
»Erneut ist ein Jahr vergangen!«, der alte Professor hob kurz seine Arme und blickte über die Halle hinweg »Ihr habt wieder sehr viel Neues in diesem Schuljahr gelernt und für einige Schüler ist es nun an der Zeit uns zu verlassen. Daher möchte ich euch auch noch etwas ans Herz legen: Seid vorsichtig! Wir befinden uns in schwierigen Zeiten des Krieges und nicht jeder außerhalb von Hogwarts ist friedlich gesinnt.«, er legte eine Pause in seine Rede ein und ließ den Schülern einen Moment zum Nachdenken.
Ich tippte unruhig mit meinem Fingern auf meinem Bein herum und musste erneut an die Sache mit dem Orden denken. Es war gefährlich, aber wir konnten etwas gegen Du-weißt-schon-wen tun...
Dumbledore räusperte sich leise.
»Nun kommen wir aber zu etwas Erfreulicherem. Zur Vergabe des diesjährigen Hauspokals: Den Punkten nach zu urteilen liegt das Haus Hufflepuff mit 380 Punkten auf dem vierten Platz, Slytherin mit 430 Punkten auf dem dritten Platz. Die Entscheidung liegt also zwischen Ravenclaw und Gryffindor!«
An beiden Tischen brach Jubel los. Dumbledore schmunzelte und brachte mit einer ruhigen Handbewegung die Halle wieder zum Schweigen.
»Auf dem zweiten Platz liegt Gryffindor mit 490 Punkten und der erste Platz geht an das Haus Ravenclaw mit 495 Punkten!«, der Ravenclaw Tisch schrie auf und jubelte.
Die Flaggen, die zuvor die vier verschiedenen Häuser zeigten, wirbelten auf und zeigten nun das blau-bronzene Wappen. Ich stimmte in das Klatschen der übrigen Häuser mit ein und lächelte sacht. Dann waren wir also nicht zum Schluss noch Hauspokalsieger geworden. Einen Weltuntergang stellte das für mich nicht da – von James und Sirius konnte man das allerdings nicht behaupten. Sie blickten bedrückt zum Ravenclaw Tisch.




Als ich am nächsten Tag aufwachte, ließ ich meine Augen noch eine Weile geschlossen. Nachdem der Hauspokal an das Haus Ravenclaw vergeben wurde, hatte Professor Dumbledore die große Abschlussfeier eingeleitet – länger, als ich erwartet hätte. Dementsprechend spürte ich auch noch die Müdigkeit in meinen Gliedern. Ich hatte gar nicht das Bedürfnis aufzustehen.
Ich rollte mich auf die Seite und klammerte mich an die Person, die unmittelbar neben mir lag. Langsam öffnete ich ein Auge und schaute hoch zu dem friedlich schlafenden Remus. Ich schloss meine Augen wieder und stieß ein wohliges Seufzen aus. Der Moment war schon fast zu perfekt.
»Das ist ekelhaft süß.«
»Ich habe das plötzliche Bedürfnis mich zu übergeben. Wormtail, hast du mal einen Eimer?«
Die Stimmen meines Bruders und seinem besten Freund rissen mich aus dem Halbschlaf. Genervt öffnete ich die Augen und setzte mich auf, sodass ich die Idioten ansehen konnte.
»Ernsthaft. Kann man nicht mal in Ruhe schlafen?«, fragte ich leicht bissig.
»Macht beim nächsten Mal die Vorhänge zu, Schwesterherz.«, lachte James und zuckte schiefgrinsend mit den Schultern.
»Du bist unmöglich.«, murrte ich.
Leicht fassungslos schüttelte ich den Kopf und fuhr mir durch meine zerzausten Haare. Ich warf einen Blick auf Remus, den unsere Unterhaltung wohl auch allmählich weckte.
»Wie viel Uhr ist es?«, Remus brummte und kniff die Augen zusammen, als das Sonnenlicht ihn blendete. Schützend vor dem Licht hielt Remus sich eine Hand vor sein Gesicht und stieß ein tiefes Seufzen aus.
»Kurz nach neun Uhr. Ihr Schlafmützen solltet euch mal langsam fertig machen, um elf Uhr geht der Zug!«, meinte James, weshalb ich ihn kurz ansah. Er zuckte mit den Augenbrauen und ich verdrehte die Augen.
Aber James hatte Recht. Ich hatte noch einiges zu erledigen, bevor wir aufbrachen. Und dafür musste ich zurück in meinen eigenen Schlafsaal.
James und Sirius wandten sich wieder ihren eigenen Tätigkeiten zu, worauf ich meinen Kopf zurück zu meinem Freund drehte. Er sah mich müde an und unterdrückte ein Gähnen. Ich drückte ihn lächelnd einen Kuss auf die Wange und schwang mich dann aus dem Bett, um in meinen eigenen Schlafsaal zurückzukehren.

Nicht viel später an diesem Tag saßen wir bereits in der scharlachroten Dampflok, die uns zurück nach London brachte. Es war merkwürdig Hogwarts nun für immer verlassen zu haben, aber ich hatte mich mit diesem Gefühl einigermaßen abgefunden. Die schöne Zeit auf dem Schloss war vorbei. Dies bedeutete aber noch lange nicht, dass ich nicht eine ebenso schöne Zeit außerhalb der Mauern erleben konnte. Natürlich, wenn man den tobenden Krieg dabei außer Acht lässt, den ich nun noch deutlicher spüren würde. Aber dagegen konnte man schließlich
Leicht schüttelte ich meinen Kopf und holte mich damit aus meinen Gedanken. Ich wandte meinen Blick von der Fensterscheibe zu Remus, der neben mir saß. Ich griff nach seiner Hand und musste leicht schmunzeln, als er verwirrt von seinem Buch blickte.
»Interessant?«, hakte ich nach und nickte zu seinem Buch.
»Oh ja, Jules Verne war schon immer einer meiner Lieblingsautoren.«, erklärte Remus und musste über meinen Gesichtsausdruck kurz lachen. Ich hatte fragend eine Augenbraue hochgezogen und kaute auf meiner Unterlippe herum.
»Hab mir gedacht, dass du nicht weißt wer das ist, Ruby. Jules Verne ist ein Muggelautor, der vor circa 100 Jahren lebte. Er hat fantastische Bücher geschrieben. Die Reise zum Mittelpunkt der Erde ist nur eins davon.«, er hielt das Buch kurz in die Höhe, sodass ich den Einband betrachten konnte.
»Willst du mir schon wieder eines deiner Bücher andrehen?«, ich lachte auf und erschrak, als die Abteiltür wieder aufgeschoben wurde.
Peter und Sirius waren vom Servierwagen zurückkehrt und ließen sich in die Sitze gegenüber von uns fallen. Die Hände voller Süßigkeiten legte Sirius diese neben sich und grinste uns dann breit an.
»Was? Ich hab gefragt, ob ihr mit zum Servierwagen wollt.«, sagte der Schwarzhaarige und nahm sich eine der Süßigkeiten.
»Ich hätte nur nicht erwartet, dass du dir so viel holst. Immerhin hatte Dad Essen zu machen, sobald wir ankommen.«
»Du kennst Sirius doch. Er ist manchmal verfressener als alle Menschen auf dieser Erde.«, Peter beäugte seinen Freund kurz kritisch. Er selber hatte nicht einmal die Hälfte von Sirius' Menge gekauft.
»Das hatte ich schon fast vergessen.«, grinste ich und warf einen schnellen Blick aus dem Fenster. Die Bäume lichteten sich langsam und die ersten Häuser kamen zum Vorschein. Das hieß normalerweise, dass wir bald in London ankamen.
»Wir sind bald da.«

Tatsächlich fuhren wir nach zwanzig Minuten den Bahnhof Kings Cross an. Darauf wartend, dass der Zug endlich stoppte, stand ich hinter Remus im überfüllten Gang. Meine Koffer schwebten direkt über meinem Kopf, den Zauber dabei nicht außer Acht lassend. Sonst würden mir die zwei fetten Koffer auf mich fallen und darauf hatte ich nicht wirklich Lust.
Der Zug hielt und die Menge schob sich quälend langsam auf den Bahnsteig. Nach einer gefühlten Ewigkeit trat ich endlich in die warme Abendluft. Ich wartete auf die Anderen, die nach und nach aus der Dampflok stiegen. Als kleine Gruppe versammelten wir uns an einem Punkt auf dem Bahnsteig, an dem nicht mehr so viele Leute standen.
»Wir sehen uns bald wieder. Verstanden, Leute?«, Lily blickte in die Runde und presste die Lippen aufeinander. Sie war mit James, Marlene, Alice und Frank im Abteil neben unserem gewesen.
»Natürlich Lils.«, sagte Marlene und schlang ihren Arm um ihre Schulter. Sie lächelte aufmunternd, nachdem sie gesehen hatte, wie Lily uns anschaute. »Da ich meinen Vater aber eben gesichtet habe, sollte ich mich auf den Weg zu ihm machen.«
Marlene grinste und ließ Lily los. Sie winkte zum Abschied und machte sich auf den Weg zu ihrem Vater. Auch Peter, Alice und Frank verließen uns, nachdem wir uns ausgiebig von ihnen verabschiedet hatten.
»Mum und Dad müssten gleich da sein.«, sagte James und trat neben Lily. Remus' Vater war noch nicht aufgetaucht und Lily würden wir ohnehin nach Hause bringen. Alleine zu reisen wäre viel zu riskant.
Ich schaute zu Remus, der wohl nach seinem Vater Ausschau hielt. Er drehte sich zu mir und stieß einen leisen Seufzer aus.
»Hab meinen Dad gerade gesehen.«
»Du kommst aber so schnell wie möglich vorbei, ja?«, murmelte ich. Remus nickte.
Er überbrückte den Abstand zwischen uns und schenkte mir einen kurzen, aber wundervollen Kuss.
Während Remus sich auch von den Anderen verabschiedete, schaute ich ihm abwesend zu. Ich wünschte, das wäre noch kein Abschied. Selbst, wenn Remus mich sobald wie möglich besuchen wollte.
Meine Eltern erschienen nur wenige Minuten, nachdem Remus gegangen war. Wir brachten Lily nach Hause, bevor ich das erste Mal seit Weihnachten wieder selber nach Hause kam. In meinem Zimmer hatte ich schnell meine Koffer geleert und danach gab es auch schon das Essen von Dad.  

Red Jewel [Harry Potter| Rumtreiber-Zeit]Where stories live. Discover now