Eins

9 0 0
                                    


Wenn du in einer Welt, in der man "berühmt" wird für seine reichen Eltern, groß wirst wie ich, darfst du dich am Ende des Tages nicht wundern, wenn in deinem Appartment im 2. Stock eingebrochen wird und nur deine Unterwäsche geklaut wird. Naja, aber ich schätze so ist Hamburg nun mal. Wenn deine Eltern das Arbeitsamt dafür bezahlt, dich nach der 12. Klasse quasi in die Welt zu entlassen, ohne irgendwelche Erwartungen an einen Job oder Ausbildung, lebst du wie ich nun mal in den Tag hinein. Meine Eltern haben ein großes Haus am Elbstrand gekauft und ich lebe im Appartment mit Ausblick auf die Elbe. Du stellst dir das bestimmt total schön vor; Die Sonne scheint mir morgens auf mein ebenmäßiges Gesicht, meine langen blonden Haare glänzen hell von der Sonne auf und der Himmel scheint hell blau. Einige Wolken in Form von fluffigen Wollknäuel ziehen vorbei, hier und dort verbergen sie einige Sonnenstrahlen. Aber so ist das nicht. Leider sieht die Wahrheit anders aus. Und meine Wahrheit wird dir nicht gefallen.
Wir schreiben das Jahr 2015, es ist ein leider nicht so warmer August Abend und ich sitze mit meinen Eltern und ihrem Chef im Atlantik und essen. Es ist ein Geschäftsessen wie man es kennt. Der Firmenchef lässt sich von meinem Vater zu einem Deal überreden. Mein Vater ist recht gut darin, versuchen tut er es jeden Monat auf ein neues. Und dieses Mal sieht es wieder so aus, als würde er den Deal abschließen. Ich stochere in meinem Salat mit Putenstreifen und irgendeiner Sauce rum, als mein Vater auflachte.

Ich sah von meinem nun unappetitlich aussehendem Essen auf und Erik's (mein Vater) Chef reichte ihm mit einem stolzen Lächeln die Hand entgegen. Die Augen meines Vater glitzerten vor Aufregung. Ich glaube sogar eine kleine Träne gesehen zu haben.Ich kann nicht genau sagen ob es eine Freudenträne war, oder ob er sich vor Freude in die Hose gemacht hat und deswegen weinte.
Ich habe bei diesen Essen nie wirklich zugehört, denn Geld haben wir ohnehin. Aber bei diesem Mal habe ich ein komisches Gefühl. Als würde mehr auf dem Spiel stehen. Vorher war es nur so, dass wir innerhalb Deutschlands umziehen mussten, manchmal auch außerhalb und jetzt war es sogar wieder ein anderer Kontinent.

Am nächsten Morgen wachte ich um 11:27 Uhr auf. Ich blieb noch ein paar Sekunden liegen und las ein Buch. Es handelte sich hierbei um John Green's "Eine wie Alaska". Teilweise konnte ich mich sogar mit Alaska identifizieren. Im Buch geht es um Alaska und Miles. Spoileralarm: Miles kommt auf eine Art Internat und lernt dort nicht nur Alaska, sondern auch Chip und Takumi kennen. Es geht um Schule, Liebe und verpasste Chancen. Den Tod darf man hier nicht ausschließen, da Alaska am Ende einen Autounfall hat und stirbt. Alles in allem ist das Buch klasse. Kann ich dir nur ans Herz legen. Aber in dieser Geschichte geht es nicht um die tote Alaska, oder den verwirrt und dazu noch schwer verliebten Miles, sondern es geht um mich, Marleen Sommer. Ich bin 17 Jahre alt und wie schon erwähnt, komme ich aus Hamburg. Blankenese trifft es sehr gut. Unser Haus liegt in einer Sackgasse, auf einem kleinen Hügel. Typisch Reichen Villa: Bevor man auf das Grundstück kann, muss man erstmal klingeln. Dann öffnet sich das weiße Tor und man fährt durch den Garten, wortwörtlich. Du fährst unter hohen Linden, Trauerweiden und einigen anderen teuren Bäumen, durch. Hier und dort stehen am Rand Lampen. Unter manchen Bäumen stehen Bänke dessen Eisen schwarz angestrichen wurden. Du kannst es dir fast wie eine Politiker Villa vorstellen, nur dass bei uns niemand aufpasst, ob alles am rechten Fleck sitzt. Wenn du dann endlich durch unseren Irrgarten gefahren und deinen Porsche in der viel zu großen Garage abgestellt hast, darfst du an unserer riesigen Tür klopfen. Oder wenn du hier wohnst, sie natürlich aufschließen.
Aber ich will nicht darüber prahlen, wie toll materielle Dinge sind, die mir von meinen Eltern zugeworfen werden, oder wie toll es ist, von der aufgehenden Sonne geweckt zu werden. Denn das ist es nicht. Vielen Menschen würde es gefallen, viel Geld zum Geburtstag, oder alles bezahlt zu bekommen. Aber nach 17 Jahre unselbstständigem leben, wird es mehr als langweilig. Meine Eltern sind der Meinung, dass ich nicht arbeiten müsse, "Geld ist doch da" war die Antwort. Und so lief mein Leben ab. Bis zur 12. Klasse hatte ich wenigstens noch etwas zu tun: zur Schule und zurück. Aber jetzt lag ich schon seit dem 16.07. im Bett und wusste nichts mit mir anzufangen. Freunde hatte ich eher wenige und wenn, dann wohnten sie total weit weg, hatten keine Zeit da sie arbeiten waren, oder sonst was. Aber irgendwann hatte ich selbst Schuld: Ich habe alle Treffen immer abgesagt, ich wollte nicht mehr raus gehen. Als würde mich irgendwas im Haus halten. Als wüsste ich, dass die Tür abgeschlossen wäre und es keinen Schlüssel gibt. Irgendwann ist meinen Eltern aufgefallen, dass mich keiner besucht und dass ich nicht mal mehr shoppen wollte. Was kein Wunder war, ich hatte genug Klamotten und Schuhe. Sie sind mit mir zu jeglichen Ärzten und Krankenhäuser gegangen. Meine Knochen waren in Ordnung, meine Organe arbeiteten wie immer. Meine Reflexe waren so gut wie nie, aber trotzdem konnte nicht festgestellt werden, was mir fehlt. Bis mir einer der etlichen Ärzte andere Fragen stellte.
"Und was machst du so an einem normalen Tag?" fragte er, schlug ein Bein über das andere und lehnte sich in seinem Sessel zurück. "Naja, ich wache morgens normal auf, es ist immer unterschiedlich." "Worauf kommt es da denn an? Also du musst ja einen Rhythmus haben wann du schlafen gehst." ich überlegte kurz und sah mich im Raum um. "Naja, wenn ich nicht einschlafen kann, dann wache ich auch später auf." sagte ich mit festem Blick auf ein kleines Bild mit Baby Händen, die eine Blume hielten. "Wieso kannst du denn nicht einschlafen, weißt du das?" "Ich denke halt viel nach." lachte ich. Doktor Weiß fand es nicht so witzig und meine Mutter auch nicht. "Ok und wann bist du heute aufgestanden? Es ist ja jetzt schon später Nachmittag." ich sah kurz zu meiner Mutter rüber, sie zuckte mit der Schulter. "So um 13 Uhr ungefähr?" er nickte. "Aber nochmal: Was machst du so an einem Tag?" "Ich schlafe aus, gucke Fernsehen, lese vielleicht ein Buch, gucke noch mehr Fernsehen..." er nickte wieder, jetzt mit zusammen gekniffenen Augenbrauen. "Also die Tests deuten auf nichts hin, von daher würde ich sagen, so wie du alles beschreibst, sind es leichte Depressionen." meine Mutter schlug die Hand vor den Mund und riss die Augen weit auf. "Depressionen?" sie betonte es so abwertend, dass es mir einen Stich ins Herzen versetzte. Doktor Weiß erklärte irgendwas über Therapie, aber ich war wie weg getreten. Ich ließ mich auf der Liege leicht gegen die Wand fallen und starrte noch immer auf die Baby Hände. Irgendwie war da kein schönes, weiß-rosanes Gänseblümchen mehr. Das Bild wurde langsam grau und verblasste.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Mar 20, 2016 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Silence [Kian Lawley]Where stories live. Discover now