Kapitel 4

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„Du hast mich quasi als menschliches Schutzschild missbraucht", flüsterte Robin, als sie zu ihren Plätzen zurückgingen.
„Es hat sich so ergeben", sagte Mungo.
„Du hast eine verdammt große Klappe! Hat dir das eigentlich mal jemand gesagt?"
„Ehrlich gesagt, nein", sagte Mungo, nachdem er eine Sekunde so getan hatte, als dächte er darüber nach, „Aber du musst zugeben, dass es besser ist, die Kerle los zu sein, als uns bis Omaha mit ihnen herum zu ärgern."
„Du hast mir besser gefallen, als du noch ein vor Dreck stehender, maulfauler Kopfgeldjäger gewesen bist."
„Und du hast mir besser gefallen, als du noch deine Schuhe anhattest."
„Halt die Klappe!", zischte Robin und drängte sich auf ihren Sitzplatz am Fenster. Die Polsterung ihr gegenüber war blutverspritzt, wie auch ihr Kleid, aber davor ekelte sie sich nicht.

„Mister Carrow! Jetzt haben Sie uns schon zum zweiten Mal diese Kerle vom Hals gehalten!", Josianne sprang Mungo an wie ein läufiger Hund – nach Robins Eindruck jedenfalls. Sie rollte mit den Augen und blickte, so offensichtlich es ging, in einer andere Richtung.
„So wie ich es Ihnen versprochen habe", erwiderte Mungo, schüttelte das Mädchen ab und setzte sich, „Ja diese Gegend der Welt ist voller Banditen. Möchten Sie nicht doch lieber zurück nach San Francisco fahren?"
„Nein!", rief Josianne energisch, „Bestimmt nicht!" Sie setzte sich zurück zu ihren Schwestern, denen das Kichern in der Zwischenzeit vergangen war. Sie sahen bleich aus und so, als könnten sie ein gutes Frühstück vertragen, wenn es ihnen gelingen würde, es bei sich zu behalten.
„Sir, ich bin kein nachtragender Mensch. Ich möchte, dass Sie das wissen", es war der dickliche Möchtegerncowboy, dessen Gesicht ebenfalls die Farbe gewechselt hatte, „Entschuldigen Sie, ich kann kein Blut sehen."
Mungo beäugte den mächtigen Kerl, der sich erhob, sich in und durch den Gang zwängte und auf ihn zu trat. Amüsiert bemerkte er, dass der Mann versucht, seinen Blick von den Blutflecken auf dem Polster abzuwenden.
„Schon gut", sagte Mungo und winkte ab.
„Nein, ich möchte, dass Sie mich nicht für einen undankbaren Querulanten halten."
„Eher für einen Feigling", mischte sich Robin ein.
„Entschuldigen Sie die Dame, sie hat...", begann Mungo.
„...nicht den Hauch einer guten Erziehung genossen", beendete Robin den Satz und klappte ihre Augenbrauen zu ihrem finstersten Blick herunter.
Der Mann machte einen Diener vor Robin: „Erziehung ist nicht alles", gab er zu.
„In dieser Gegend ist sie nichts, rein gar nichts wert", sagte Mungo, „Was wollen Sie?"
„Trinken Sie einen mit", sagte der Mann, „Die Lady ist natürlich auch eingeladen. Das hier ist der beste Whiskey, den man in San Francisco auftreiben kann und er war als Geschenk für einen Geschäftspartner gedacht. Aber ich glaube, dass die Umstände es erfordern...".
„Kommen Sie, sieht er aus, als bräuchte er einen Grund zu trinken?", fragte Robin und deutete mit dem Kopf auf Mungo.
Der Mann ging nicht darauf ein und öffnete die Schnapsflasche, die er aus einer braunen Papiertasche gezogen hatte: „Ich habe leider keine Gläser, aber ich glaube, wir werden nicht sterben, wenn wir aus der Flasche trinken."
Mungo nahm den Whiskey, setzte an und trank einen adäquaten Schluck, dann reichte er die Flasche an Robin weiter. Auch sie nahm einen ordentlichen Zug, denn, obwohl sie es nie zugegeben hätte, brauchte sie den Alkohol, um sich zu beruhigen. Sie gab sie Flasche an den Mann weiter, der noch immer gebeugt im Gang stand und es noch immer nicht wagte, sich zu Mungo und Robin zu setzen.
„Mister Carrow, nicht wahr?", fragte er, Miss Robin?"
„So ist es", bestätigte Mungo.
„Mein Name ist Collister. Henry Collister. Ich bin für die Western Union Telegraph Company nach New York unterwegs."
„Ja, wir leben an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter", sagte Mungo, „Überall werden Schienen verlegt, man kann bequem von der Ost- zur Westküste reisen. Jetzt fangen Sie an, alles zu verkabeln. Quer durch unsere schöne Prärie."
„Ich sage Ihnen, die Zeiten des Pferdes sind bald vergangen. Bald braucht man keine Ponyexpressreiter mehr, um Nachrichten zu versenden und keine Postkutschen mehr, um zu reisen. Das übernimmt dann alles die Technik!", sagte Collister und in seinem immer noch grünen Gesicht blitzte für einen kurzen Augenblick der einfältige Stolz des amerikanischen Pioniergeistes auf.
„Ich verlasse mich lieber auf ein Pferd als auf ein riesiges Eisenmonster, das an eine Schiene und einen Zeitplan gefesselt ist", erwiderte Robin.
„Sie dürfen sich dem Fortschritt nicht in den Weg stellen, Lady", sagte Collister.
„Weil er mich sonst überrollt?", fragte Robin und erwartete keine Antwort.
„Lady, Sie sind eine Frau, wie sie mir noch nicht untergekommen ist", rief Collister lachend, nachdem er noch einen Schluck Whiskey genommen hatte und die Flasche für einen Toast in die Luft erhoben hatte.
„Und Sie sind ein Kerl wie es hunderttausende gibt", sagte Robin und erntete ein verschmitztes Lächeln.
Die Whiskeyflasche ging erneut herum und diesmal bedeutete Collister auch den anderen Reisenden, dass sie eingeladen waren, von seinem Alkohol zu trinken. Es fanden sich schnell einige Personen, die sich ein Gratisschlückchen nicht entgehen lassen wollten.
Die erste Flasche wurde geleert, eine zweite fand sich erstaunlich schnell in Collisters Gepäck und als die dritte angebrochen wurde, rief Henry Collister, der immer noch wie ein fetter Zeremonienmeister im Gang des Abteils stand: „Ein Lied! Kennt jemand ein Lied?"
Lediglich vier Personen konnten sich nicht dazu überwinden, aus voller Kehle „The Yellow Rose Of Texas" zu schmettern. Lediglich Robin, Josianne und ihre Schwestern blieben sitzen.
Das wunderte Robin, denn die drei Mädchen hatten ihr eigentlich den Eindruck vermittelt, dass sie zu jenen flatterhaften Geschlechtsgenossinnen gehörten, die mit ihrer Oberflächlichkeit einer ganzen Armee die Schuhsohlen abquatschen konnten.

Schließlich ging der Whiskey zur Neige, alle Passagiere setzten sich wieder auf ihre Plätze und versuchten die Koordination von Auge, Gleichgewichtssinn und Gehirn wieder auf die Reihe zu kriegen. In einem Zug konnte das recht kompliziert sein und da außer Robin und Mungo bisher niemand ordentlich gefrühstückt hatte, fiel es den meisten doppelt schwer.
Der Zug hielt erneut. Winnemucca. In Robins Augen war es der der gottverlassenste Ort der Welt – und sie hatte viele gottverlassene Orte gesehen. Sie fragte sich, wieso gerade hier ein Bahnhof gebaut wurde. Doch die Antwort war einfach: Dies war der letzte Punkt, an dem es Wasser gab. Bis zum nächsten Stopp in Battle Mountain würde der Zug es nicht schaffen, ohne hier Wasser zu tanken.
Einige Passagiere nahmen die Chance wahr, um etwas in den Magen zu bekommen, sich zu erleichtern oder die Füße zu vertreten.
Inzwischen war die Sonne aufgegangen und vom Winter war nun rein gar nichts mehr zu spüren. Hinter den Bergen fiel kein Regen und schon gar kein Schnee. Hier gab es nur Sonne – sogar im Dezember. Zugegebenermaßen brannte sie nicht, aber in einem langärmeligen Hemd ließ es sich gut aushalten.
Robin beobachtete die Männer, die vor dem Zug standen und sich streckten und deren Schritt eher einem Wanken gleich, als der männlichen Forschheit, die man in dieser Gegend schätzte. Auch Mungo befand sich unter ihnen und Robin konnte sich des Eindrucks nicht verwehren, dass er sich unter seinesgleichen anders verhielt, als wenn er mit ihr allein unterwegs war. Beispielsweise hatte sie ihn noch nie singen gehört. Seine Tarnung ist gut, dachte Robin, ganz egal wem er hier etwas vormacht.
„Entschuldigen Sie?", flüsterte eine Stimme und es dauerte einen Augenblick, bis Robin erkannte, dass sie gemeint war. Sie drehte sich um und blickt in Lynns Augen. Das Mädchen hatte sich unbemerkt direkt neben sie gesetzt und das ärgerte Robin ein wenig.
„Ja?", fragte sie.
„Miss Robin, tut mir leid, ich kenne Ihren Nachnamen nicht... Ich meine, ich wollte fragte, wie, ich meine, wo haben Sie schießen gelernt?"
„Ich kann nicht besonders gut schießen", sagte Robin.
„Aber sie hatten doch da eben nicht zum ersten Mal eine Pistole in der Hand?"
„Nein", gab Robin zu, „Aber ich schieße nicht gut. Da können Sie den Klugscheißer da draußen ruhig fragen. Er liebt es, ihnen das zu bestätigen."
„Wo haben Sie es gelernt? Ich meine, das, was Sie können."
„Sie meinen, wo ich her stamme?", fragte Robin zurück.
„Ja, wenn Sie so wollen."
„Wyoming", sagte Robin.
„Dann fahren Sie also nach Hause?", wollte Lynn wissen und ihre Stimme bekam nun den glucksenden Unterton, den Robin beinahe vermisst hatte.
„Nein", antwortete sie, „Ich glaube nicht, dass davon noch was übrig ist."
„Bitte?", fragte Lynn.
„Ach nichts. Ich stamme nur ganz einfach aus Wyoming. Aber die letzten Jahre habe ich in New Mexico gelebt. Den ersten Revolver hatte ich allerdings schon in der guten alten Heimat in der Hand, wenn es Sie ganz genau interessiert."
„Hat Mister Carrow es Ihnen beigebracht?"
„Nein", erwiderte Robin. Die Fragerei ging ihr langsam auf die Nerven.
„Haben Sie schon mal jemanden... erschossen?", fragte Lynn nun und man sah ihr an, dass sie die Scham nur spielte, die ihre Stimme stocken ließ.
Robin lächelte bitter: „Das wollen Sie nicht wirklich wissen, oder?"
„Ist es schwer?"
„Was? Jemanden erschießen? Kommt drauf an", sagte Robin, „Wenn es hieße, ich solle Sie jetzt und hier erschießen, wäre das was anderes, als wenn es um einen dreckigen Präriekojoten geht, dessen Leben mit Dollars aufgewogen wird. Technisch gesehen wäre es einfacher Sie zu erschießen, aber moralisch wäre es vermutlich als verwerflich einzustufen."
„Sie sind Kopfgeldjäger?", erschrak Lynn.
„Wenn es sich ergibt", sagte Robin.
„Und Mister Carrow? Hat er schon viele erschossen?"
„Keine Ahnung. Ich bin nicht sein Kindermädchen. Vermutlich ja. Er schießt auch besser als ich und jeder, den ich kenne."
„Wie haben Sie ihn kennen gelernt?", Lynn ließ nicht locker.
„Wieso wollen Sie das alles wissen?"
„Ich weiß nicht. Er hat uns allen das Leben gerettet. Zweimal. Ich würde gerne wissen, wer er ist."
„Er ist in meine Pension gekommen und wollte ein Zimmer mieten", erklärte Robin wahrheitsgemäß, „Und dann bin ich irgendwie an ihm hängen geblieben."
„Sie sind verlobt?"
Robin seufzte genervt: „Neidisch?"
„Um ehrlich zu sein: Ja."
Robin rollte mit den Augen und hätte sich am liebsten mit der flachen Hand vor die Stirn geschlagen. Stattdessen fragte sie: „Wieso? Wieso ausgerechnet er?"
„Wieso sind Sie mit ihm verlobt?", lautete die berechtigte Gegenfrage.
„Miss, Sie kennen ihn nicht, denn wenn Sie ihn kennen würden, würden Sie ihn ganz sicher nicht mehr wollen. Und was mich betrifft, so sind wir beide zu verschieden, um von einer auf die andere zu schließen."
Lynn schwieg eine Weile. Ihr war nicht entgangen, dass Robin sich dem Gespräch entwinden wollte. Sie wollte nicht aufdringlich sein, aber sie hatte das Gefühl, dass es eine verpasste Chance wäre, wenn sie jetzt nicht alles, was möglich war, über diesen Mister Carrow in Erfahrung zu bringen.
Er war kein hübscher Kerl, wie die Kerle, die sich in San Francisco in den Herrenclubs den potentiellen Schwiegervätern empfahlen, aber er war auch kein Gossenbruder, der nach Alkohol und Urin stank. Blieb natürlich die Möglichkeit, dass er ein Aufschneider war, aber gerade die sind am interessantesten, dachte Lynn.
„Hören Sie, Lynn", sagte Robin nun in versöhnlicherem Ton, „Schlagen Sie ihn sich aus dem Kopf. Was soll diese blinde Schwärmerei? Das Gekicher? Das Getuschel? Sie sind wohlhabend und gut erzogen. In San Francisco können Sie sicher jeden heiraten, den Sie wollen. Sie fahren nicht wirklich zu Ihrer Tante, oder?"
„Oh doch. Tante Mildred aus Omaha", bestätigte Lynn.
„Tatsächlich? Meinem Verlobten haben Sie vor nicht allzu langer Zeit erzählt, Sie seien zu Ihren Großeltern unterwegs", sagte Robin leise.
Lynn schwieg erneut und versuchte krampfhaft die rote Farbe aus ihrem Gesicht zu zaubern, doch die Wut über ihre eigene Dummheit machte ihr in dieser Beziehung einen Strich durch die Rechnung.
Robin wechselte das Thema: „Wissen Sie, dass wir uns hier auf Indianerland befinden?"
„Natürlich. Alles außerhalb der Stadtgrenzen ist Indianerland. Die Brüder terrorisieren die ganze Gegend östlich der Sierra."
„Naja, die Eisenbahn hat sie ein wenig in Schranken verwiesen", sagte Robin, „Die Züge und der nicht ablassende Siedlerstrohm vertreiben das Wild, das sie jagen und bedrohen ihre Existenz."
„Wieso sagen Sie das?", fragte Lynn.
„Weil wir hier jederzeit mit Angriffen rechnen müssen. Überlegen Sie sich, ob Sie wirklich weiter reisen wollen."
„Ja, das wollen wir. Vielleicht verstehen Sie das nicht, weil Sie aus dem Norden stammen, aber so einfach, wie Sie glauben, ist das nicht. Sie glauben, irgendjemanden aus San Francisco zu heiraten, sei alles, was eine junge Frau wie ich oder meine Schwestern sich erträumen. Aber mal im Ernst: Träumen Sie davon?", fragte Lynn und zu Robins Überraschung blickte sie ihr fest in die Augen.
„Ich sagte bereits: Sie und ich sind sehr verschieden", erwiderte Robin knapp.
„Ja, denn Sie nehmen sich einfach, was Sie haben wollen", es klang wie ein Vorwurf, in dem ein Funke Bewunderung mitschwang.
Robin überlegte kurz und kam zu dem Schluss, dass Lynn sich ziemlich viel herausnahm, wenn sie glaubte, das beurteilen zu können. Deshalb sagte sie: „Ich glaube nicht, dass Sie etwas davon verstehen, was ich will und tue."
„Aber Sie wissen genug über mich, um mich nach Hause schicken zu wollen?", sagte Lynn.
„Mit Verlaub: Mädchen in Ihrem Alter...", begann Robin.
„Was ist mit Mädchen in meinem Alter?", keifte Lynn plötzlich und Robin schrak erschrocken zurück, „Wie waren Sie denn in meinem Alter?"
„Wütend", gab Robin kleinlaut zu, „Wütend."
„Da haben wir also doch etwas gemeinsam, wir beide", Lynns Stimme klang wie das Kläffen eines Kojoten, der ein vielversprechendes Stück Aas gefunden hatte.
In diesem Augenblick betrat Mungo den Wagon. Ihm folgten die übrigen Passagiere des Abteils und noch ehe sie sich hingesetzt hatten, ertönte das Zischen der Dampfmaschine zum Zeichen, dass der Halt zu Ende war.
Mungo bemerkte Lynn auf seinem Sitz und schwang sich elegant auf einen der beiden freien Sitze der Schwestern aus San Francisco. Er griff sich zum Gruß wieder spielerisch an den imaginären Hut und warf Lynn einen ermutigenden und Robin einen belustigten Blick zu.
Robin seufzte: „Na schön, klären Sie mich auf: Wieso sind Sie wütend?"
Lynn lächelte triumphierend: „Sie sagten, Mädchen wie wir könnten jeden heiraten, den wir haben wollten, weil wir reich und wohlerzogen sind."
Irgendwie glaubte Robin festgenagelt worden zu sein und schwieg erst einmal.
„Ich möchte Ihnen widersprechen, denn von uns beiden sind Sie diejenige, die sich ihren zukünftigen Ehemann selbst aussuchen konnte."
Robin wollte protestieren, hielt sich aber zurück. Vor ihrem Stolz musste sie die Tarnung bewahren.
„Sehen Sie, es ist eben nicht so, dass Mädchen wie wir uns unseren Ehemann aussuchen können. Natürlich betonen unsere Väter immer wieder, dass sie uns nur einem anständigen und frommen Mann anvertrauen wollen. Jedenfalls sagte das unser Vater immer: Fromm und anständig!"
„Da kann Mister Carrow natürlich nicht mithalten", sagte Robin, einfach nur, um etwas zu sagen.
„Ihre Vorstellung von Anständigkeit und Frömmigkeit sind antiquiert", erwiderte Lynn.
„Ich habe keine Vorstellung davon."
„Sehr gut. Sehen Sie, unsere Cousine Corinne hat einen dieser anständigen, frommen Männer geheiratet. Er war ein netter Kerl, ging in den gleichen Club wie Corinnes Vater, rauchte Zigarren, wirkte sehr weltmännisch."
„Und er ging regelmäßig in die Kirche", schloss Robin.
„Ja. Sehr religiös. Immer korrekt gekleidet und frisiert, bis er verheiratet war", erzählte Lynn weiter. Eine Augenbraue hob sich, als sie zum nächsten Satz ansetzte: „Und dann hat er Corinne so sehr verprügelt, dass sie bis heute nicht mehr aus dem Bett aufstehen kann."
„Was hat sie getan, dass er sie so zugerichtet hat?", fragte Robin.
„Das weiß der Himmel. Sie redet nicht darüber und Hermann, ihr Mann, auch nicht. Jedenfalls hat Dad einen wunderbaren, anständigen und frommen Mann für Josi kennengelernt. Er geht in den gleichen Club wie er, kann sich Zigarren leisten und trägt feine Anzüge."
„Ihr flüchtet vor einer arrangierten Hochzeit?", fragte Robin.
„Oh nein. Diese Hochzeiten sind nicht arrangiert. Es sind nur Empfehlungen. Der Kerl macht Josi einen Antrag und bittet Dad um seinen Segen. Und er gibt ihn", erklärte Lynn.
„Und bei einem Typ wie zum Beispiel Benjamin...", Robin überlegte einen Augenblick, ob das der richtige Name war, „... würde er seinen Segen nicht geben?"
„Und sie könnte in keiner anständigen Kirche der Stadt heiraten", Lynn nickte und blickte Robin an, „Ich beneide Sie."
„Sie kennen mich nicht", erwiderte Robin knapp, „Auf etwas, das Sie nicht kennen, sollten Sie nicht neidisch sein."
„Sie werden jemanden heiraten, der Sie beschützt, statt zusammenzuschlagen."
„Dieser Kerl hat vorhin zugesehen, wie ein geisteskranker Chinese einen Revolver auf mich richtete!", gab Robin zu bedenken.
„Und er hat Sie gerettet", Lynns Ansichten waren unerschütterlich.
„Meinetwegen", sagte Robin, um das Gespräch zu beenden.
„Verstehen Sie jetzt, warum wir nicht zurück können? Sehen Sie, die Kerle in San Francisco sind alle gleich. Sie sind entweder gescheiterte Goldsucher oder versoffene Seeleute. Sie spielen, trinken und sind gewiss nicht treu", Lynns Erzähleifer war noch nicht gebrochen.
„Und das liegt an San Francisco?", fragte Robin skeptisch, „Ist das nicht ein bisschen einfach? Es liegt wohl eher an den Männern selbst und ich bin sicher, dass nicht alle...".
„Dieses Risiko wollen wir nicht eingehen!", fiel Lynn ihr ins Wort, „Der Zug geht bis Omaha. Von da aus nehmen wir eine Kutsche bis nach New York."
„Sie sind wahnsinnig!", rief Robin und schüttelte den Kopf.
„In New York sind die Leute zivilisierter", meinte Lynn, „Sie haben sichere Jobs in der Verwaltung oder so. Dort herrscht europäisches Flair."
„Ihre Vorstellungen sind naiver, als ich dachte", sagte Robin resigniert und fügte hinzu: „Es sind nicht die Städte, die sie Menschen formen. Es sind die Menschen, die die Städte formen."
„Und es sind Menschen, die andere Menschen formen", mischte sich plötzlich Mungo ein, der sich ein wenig zu den beiden Frauen schräg gegenüber vorbeugte, „So heißt es doch bei euch?"
„Ich weiß nicht, wo du immer deine pseudotiefsinnigen Sprüche herhast, aber bei uns, gibt es keinen solchen Spruch!", sagte Robin an ihren vermeintlichen Verlobten gewandt.
„New York ist es also, Ladies?", vergewisserte sich Mungo, Dann sollten Sie sehr vorsichtig bei der weiteren Reise sein. Die Strecke durch die Wälder ist nicht ohne Gefahren."
„Indianerland, nicht wahr?", sagte Lynn sarkastisch.
„So ist es", knurrte Robin.
„Wollen Sie uns nicht begleiten? Sie und Ihr Schießeisen und Ihre reizende Verlobte?", fragte Josianne plötzlich und die Enttäuschung darüber, dass sie vermutlich eine Absage erhalten würde, schwang in ihren Worten bereits mit.
„Nein. Wir haben ein anderes Ziel", sagte Mungo und lehnte sich wieder zurück.
Von da an schwiegen die jungen Damen, Robin und Mungo. Erst nach einer ganzen Weile, tauschten Mungo und Lynn wieder die Plätze. Es war, als hätten sie ganz vergessen, dass sie eigentlich nicht zueinander gehörten.
Als Robin ihren Kopf erneut an Mungos Schulter anlehnte, um etwas zu ruhen, zischte Lynn etwas unverständliches. Aber vermutlich war es das Geräusch, das Frauen machen, wenn sie bemerken, dass ihre Vermutung falsch gewesen war und das unsympathische Miststück mit dem unberechenbaren Temperament den ehrenhaften Revolverhelden, mit dem sie aus irgendwelchen unromantischen und mit Sicherheit unmoralischen Gründen verlobt war, doch liebte.

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[Leseprobe:] SchlangentöterWhere stories live. Discover now