Ich hätte ihn niemals kennenlernen dürfen. All die Prinzipien, die sie mir erklärt hat, habe ich nur für ihn verworfen. Ich frage mich, ob es auch so ausgegangen wäre, wenn ich nach dem Tod meiner Mutter weiterhin nach ihren Grundsätzen und Regeln gelebt hätte. Auch wenn ich innerhalb ihrer Erziehung keine Selbstbestimmung und Unabhängigkeit erfahren konnte, war ich wenigstens sicher. Opfern musste ich für diese Sicherheit allerdings sehr viel.
Ihr manipulierender Charakter hatte mir während meiner gesamten Kindheit und Jugend Vorurteile und Meinungsbilder aufgezwungen, die ich eigentlich nicht unterstützte. Aber ein Kind lehnte sich nicht gegen seine Eltern auf und hatte immer die Entscheidungen von ihnen zu akzeptieren und respektieren. Natürlich wurde mir das von meiner Mutter eingetrichtert, denn einen Vater hatte ich nie. Sie war schon immer anders als alle Frauen und Mädchen aus ihrer Heimat. Das hatte aber auch viel mit ihren Eltern, also meinen Großeltern zutun, da diese ihr sehr veraltete Werte beibrachten. Sie wollte nicht wie die anderen Mädchen in ihrem Heimatdorf einen Mann finden, der sie liebte, mit ihr das Dorf hinter sich ließ und eine Familie gründete. Es ging bloß um die Absicherung. Der Mann sollte arbeiten gehen und das Geld nach Hause bringen, damit sie abgesichert sind. So war es nach ihren Eltern auch bei den Kindern. Man bekam sie bloß zur späteren Lebensabsicherung. Heiraten wollte meine Mutter allerdings nie, was ihre Eltern gegen sie aufbrachte. Sie beschloss sich gegen sie aufzulehnen, lieh sich Geld von vielen Bekannten, um letztlich nach Amerika zu reisen. Ich war das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung durch Samenspende, für die meine Mutter ungefähr 7 Jahre arbeiten gehen musste, um sie sich leisten zu können. Das Bedürfnis meinen biologischen Vater kennenzulernen hatte ich nie. Woher hätte diese Bedürfnis denn auch kommen sollen, wenn ich nie die Gelegenheit hatte andere glückliche Familien mit Vaterfiguren richtig zu erleben?
Meine Mutter teilte in vielen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbare und eigenartige Ansichten. Diese Ansichten betrafen ausnahmslos immer unsere Gesellschaft, zu der sie schon immer nicht gehören wollte. In ihrem Augen waren dies bloß Fremde, die nichts mit uns verband. Aber gerade das verband uns doch Mama? Wir leben in einer Gesellschaft, gerade weil wir in den meisten Fällen dieselben Normen und Werte vertreten, eine Religion mit vielen teilten oder auch keine, uns mit der selben Sprache verständigten und eine Kultur mit Traditionen etc. aufgebaut hatten.
Normalerweise wird das Meinungsbild eines Menschen geprägt vom unserem Umfeld, Erfahrungen und Beobachtungen. Leider fehlten mir genau diese drei Dinge zur Meinungsbildung, das einzige, was ich hatte, war die Ansicht meiner Mutter. Man hätte meinen können, dass ich was aus der Schule an Meinungen mitnehmen hätt müssen, aber nach der 6. Klasse bereits nahm sie mich aus dem Schulunterricht und ließ mich von Zuhause aus unterrichten.
Bereits während meiner Schulzeit war meine Mutter, diejenige gewesen, die keinen Draht zu den anderen Elternteilen hatte. Weder beim Warten vor der Schule auf mich, noch auf Klassen- und Schulfesten sprach sie mit den Eltern anderen Kinder. Auch waren wir immer die Ersten, die gingen, wenn wir denn überhaupt erschienen. Man erkennt wahrscheinlich schon wie meine Kindheit verlief. Ich war ein sehr einsames Kind, gegenüber jedem war meine Mutter negativ eingestellt. Von den vereinzelten Freunden, die ich in der Schule fand, erzählte ich ihr nie was , da sie um jeden Preis die Freundschaften verhindert hätte. Dementsprechend konnte ich diese Freunde auch leider nicht außerhalb der Schule treffen, was natürlich dazu führte, dass man sich von mir abwandte. Falls nicht waren es dann die Eltern, die ihren Kindern den Kontakt zu mir verbaten wegen des Verhaltens meiner Mutter
Natürlich gehörte es zu den Pflichten einer Mutter ihrem Kind den Unterschied von Gefahr und Sicherheit beizubringen. Sie hat mich beispielsweise in der Kindheit immer davor gewarnt nicht bei Fremden einzusteigen und keine Geschenke von ihnen entgegen zunehmen. Andererseits aber sagte sie, ich soll immer nett zu Polizisten sein, weil sie der Freund und Helfer von uns sind. Wenn ich heute die Zeitung lese, könnte ich einfach nur noch über die Worte meiner verstorbenen Mutter lachen. Fälle, wie Polizeigewalt, Betrug und Vergewaltigungen durch unsere Freunde und Helfer sind trauriger Weise schon normalisiert worden. Denn an dieser Stelle hinterfrage ich bereits ihre Worte. Die Menschen, die sie als mein Freund und Helfer bezeichnet hatte, waren doch genauso Fremde für mich. Warum sollte ich auf die Stellung von Menschen vertrauen, wenn diese genauso gut ihre Stellung missbrauchen könnten und, wie man liest, auch tun?
Und genau ab dem Zeitpunkt der Erziehung werden dem Kind auch schon Vorurteile und Rassismus beigebracht. Ich blieb hierbei natürlich keine Ausnahme. Könnte ich zählen, wie oft ich die Straßenseite als Grundschulkind gewechselt habe wegen männlichen Südländern, die mir entgegen kamen und nicht nicht einmal beachteten, wäre ich definitiv noch dabei. An dieser Stelle schäme ich mich für die meisten meiner Handlungen in der Kindheit. Als ich dann die weiterführende Schule besucht hab, hat sich meine Sichtweise auf das Kennenlernen neuer Menschen schrittweise geändert. Man kann sehr wohl mit ihnen reden, ob mit gleichaltrigen, älteren Schülern oder Lehrern. Es gibt immer Themen und Gemeinsamkeiten, die im Laufe der Unterhaltung entdeckt werden. Aus Fremden sind damals Vertrauenspersonen, Vorbilder und Bekannte geworden, für die ich Gefühle hegte. Ausgenommen, ob es negative oder positive Gedanken und Gefühle waren. Sie waren so wichtig geworden, dass sie in meinem Privatleben integriert waren, da ich an sie dachte ohne sie zu sehen. Aber natürlich war damals als mein Versorger und einziges Elternteil meine Mutter diejenige, die das letzte Wort haben durfte, wenn das Thema Freundschaften waren. Und all diese Menschen durfte ich nach meiner Schulzeit vergessen, da ich mich bloß auf meine Bildung konzentrieren sollte, um sie später mit dem bestmöglichen Beruf zu versorgen. Ihre Vorurteile und Zweifel prägten mich so stark, dass ich bereits im College daran gewöhnt war, keine Kontakte zu knüpfen. Kontrolle war etwas essenzielles für sie, dadurch fühlte sie sich sicher und zu sehen, dass ihr Kind auf alle Verbote und Regeln hörte, gab ihr ein Gefühl von Macht und Dominanz.
Man hätte meinen können, dass ich bestimmt erleichtert war als meine Mutter Gegen Ende meiner Collegezeit an einem Schlaganfall starb, allerdings war es das komplette Gegenteil. Die Ordnung und Disziplin, mit der ich aufgewachsen war, verschwand plötzlich. Mein bis dito routiniertes Leben wurde aufeinander vollständig durcheinandergebracht und eigentlich sogar vernichtet. Ich war plötzlich einsam, hatte keine Familie mehr, niemanden den ich wirklich kannte und musste mich nebenbei auf meine Abschlussprüfungen vorbereiten. Vorgenommen hatte ich mit eigentlich auch so weiter zu leben, wie ich es kannte, aber Mona zerstörte meine Pläne als sie in mein Leben trat. Sie blieb auch die einzige Ausnahme, denn ihre Freunde wollte ich dennoch nie kennenlernen.
Es kommt bestimmt die Frage auf, warum die ganzen Informationen über meine Kindheit und meine Mutter?
Tja, ich schätze Mama hatte auf einer Art Recht damit, dass Fremde immer zwei Gesichter haben. Denn er hatte buchstäblich zwei Gesichter...
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What if...?
General FictionDas Hinterfragen von Entscheidungen, Worten und Taten ist eine der liebsten Beschäftigungen der Menschen. Sie denken, sie würden ihr Gehirn damit bereichern. Aber meistens hat das Hinterfragen negative Auswirkungen auf die Psyche. Man wird skeptisc...
