Avery ~Verrückt

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"Ave, hörst du mir überhaupt zu?" katapultiert mich Liz in die Wirklichkeit. "Ja..." murmel ich, und hebe den Kopf. Als ich ihrem Blick begegne, schüttel ich ergebend den Kopf. "War auch nicht zu übersehen." "Warum fragst du dann?" zicke ich zurück. Heute war einfach der anstrengendste Tag, den ich seit langem hatte, und sie wollte, dass ich ihr zuhöre, wenn sie von ihrem ach so perfekten Leben erzählt, nein danke! "Jetzt krieg dich mal wieder ein! Schließlich wolltest du, dass wir nicht über dich reden!" "Ja, aber wollte ich, dass du mir dein perfektes Leben unter die Nase reibst? Nein." Jetzt verdrehte sie genervt die Augen. "Mein Leben ist nicht perfekt..." verteidigt sie sich.
"Ach, was passt dir denn nicht?" frage ich skeptisch und verschränke meine Arme vor der Brust. "Dein Benehmen. Tschüss, ich geh zu Matt." ruft sie aus, und springt vom Sofa auf.
"Ja, laufe vor deiner nervigen Mitbewohnerin und besten Freundin weg, und werfe dich theatralisch in die Arme deines perfekten Freundes, der dir sagt, wie perfekt eure Beziehung und dein fucking Leben ist!" schreie ich ihr hinterher, als die Tür ins Schloss fällt.
Grimmig werfe ich ihr noch ein Kissen hinterher, das an dem Holz abprallt und zu Boden fällt.
Wäre auch zu schön gewesen, wenn es durch die Tür, die Treppe runter, und ihr an den Kopf gefallen wäre!
Wütend stehe ich auf, und durchsuche den Kühlschrank nach etwas essbaren.
Ich wette sie ist dran mit einkaufen! Denke ich, als ich nichts finden konnte, und als nächstes zur Gefriertruhe gehe. Hoffentlich haben wir noch Eis!
Bangend öffne ich die Tür, und ziehe nach einander drei Truhen heraus, bis ich in der letzten Schokoladeneis finde. Zwar angebrochen, aber etwas mehr als die Hälfte reicht vollkommen.
Triumphierend schnappe ich mir einen Löffel, flenze mich auf das Sofa, nachdem ich mir eine DVD herausgesucht habe, und mache mich an mein Eis.


Gott, Avery. Du guckst einen Kinderfilm und fängst an zu heulen, was ist nur schief gelaufen? Frage ich mich selbst, da die Tränen gar nicht mehr auf hören wollen.
Aber Kinderfilme sind echt das schlimmste!
Deprimiert schiebe ich mir noch einen Löffel voll Schokoladeneis in den Mund.
Obwohl kaum gesprochen wird, ist die story einfach nur mitreißend und ergreifend.
Wieder fange ich an zu heulen, als er gefangen genommen worden ist.
Zuvor habe ich bei seiner Geburt geweint... ich weine eigentlich schon die ganze Zeit.
Bei Spirit ist es wie mit Hachiko, ich muss die Namen nur hören, und könnte schon los heulen.
Ich sehe den Kampf, den das Tier ausübt. Sehe sein Leid, die Verzweiflung und Sehnsucht in seinen Augen. Der Film ist wunderschön und traurig zu gleich, und das obwohl er nicht von Disney ist.
Als sie in dem Lager ankommen, und er "gezähmt" werden soll, schiebe ich mir Hass erfüllt den nächsten Löffel in den Mund. "Ihr bescheuerten Wichser! Wie könnt ihr das nur einem unschuldigen Tier antun?" schreie ich den Fernseher an, und werfe ihn mit einem Kissen ab.
"Reg dich ab, es ist nur ein Film." lässt mich eine Stimme zusammen schrecken. "Es ist nicht nur ein Film, es ist die beschissene Realität, welche in einen Kinderfilm mit Happy End verpackt wurde." knurre ich, da es niemand wagen sollte meine Lieblings Filme zu beleidigen. Als ich mich umdrehe, erstarre ich. Hinter mir steht niemand, den ich kenne. Ich dachte, dass es vielleicht Matt wäre, dass Liz mit ihm hierher gekommen ist, aber es ist eine hochgewachsene Gestalt mit eisblauen Augen.
"Oh mein Gott, was machen Sie hier, in meinem Wohnzimmer, und wie sind Sie hier rein gekommen?" fange ich an histerisch herum zu schreien. "Beruhige dich."
"Beruhigen? Ich soll mich beruhigen?! Sie sind in meine Wohnung eingebrochen!" schreie ich, und springe auf. "Soweit ich weiß, gehört dir diese nicht alleine."
Entsetzt sehe ich in die zwei eisblauen Augen. "Sind Sie etwa ein perverser Stalker, der darauf gewartet hat, dass ich alleine bin, um mich kaltblütig zu ermorden?"
"Was redest du nur für einen Scheiß! Und hör verdammt nochmal auf mich zu siezen. Das ist echt creepy." Sprachlos sehe ich ihn an. Genervt schiebt er sich die Kapuze über den Kopf, und fährt sich durch seine blonden Haare. "So rede ich mit jedem, den ich nicht kenne." gebe ich flüsternd zu. Die ganze Situation verwirrt mich, und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich davon halten soll, das ein blonden Typ auf meinem Sofa sitzt, und anscheinend alles was mich betrifft zu wissen scheint.
"Dann kannst du mich ja jetzt duzen, da wir uns kennen."
"Das nennst du kennen? Du tauchst plötzlich in meinem Wohnzimmer auf,  und redest ungefähr zwei Minuten mit mir, um danach zu behaupten, dass wir uns kennen?" ungläubig sehe ich ihn an. Das kann doch nicht sein Ernst sein?!
"Erstens, wir haben eine Minute und siebenundvierzig Sekunden geredet. Zweitens, kennen wir uns schon unser gesamtes Leben, und drittens, habe ich wie jeder normale Mensch die Tür benutzt."
"Aber ohne meine Erlaubnis. Wie hast du die überhaupt aufgekriegt, sie war doch verschlossen?"
Da bildet sich ein Lächeln auf seinen Lippen. "Ich habe den Ersatzschlüssel unter der Matte genommen." "Ich glaube dir nicht." Bei meinen Worten wurde sein Lächeln breiter. "Ich meinte Ihnen.  Ich glaube Ihnen nicht." Doch konnte ich sein stetig wachsenes Grinsen nicht mehr vertreiben. Genervt schnappe ich mir mein Eis, und setze mich ihm gegenüber.
"Also, was machst du hier, und was meinst du mit, "wir kennen uns unser gesamtes Leben"?" beginne ich das Kreuzverhör, während ich weiter mein Eis esse.
Denn gefährlich scheint er nicht, und raus aus meiner Wohnung bekomme ich ihn auch nicht, jemanden anrufen würde nichts bringen, also versuche ich es mal auf die dümmste Weise, die mir einfällt. Fragen stellen, Zeit tot schlagen, und hoffen, dass Liz wieder kommt.
"Wollte dich sehen." "Das hört sich an, als wären wir gute Freunde. Wir sind aber Fremde. Also, was willst du?" Da schleicht sich erneut dieses Grinsen auf seine Lippen. "Fremde? Aber wir duzen uns schon, und außerdem sind wir uns nicht fremd. Wir haben uns gestern Nacht gesehen. Und ich weiß, dass du von mir träumst." Wie ertappt, fällt mir der Löffel aus der Hand. "Bitte?" frage ich nach, und fische nach dem Löffel. "Du hast mich schon verstanden, obwohl du eher von meinen Augen, als von mir an sich, träumst."
Meine Finger berührten den Löffel, schlossen sich darum, und ich saß wieder gerade.
"Woher weißt du das?" schaffe ich, nach einer langen Stille, zu fragen.
"Dein Blick in deinen Augen, als du mich gestern Nacht gesehen hast, als würdest du mich kennen, oder eher erkennen..." murmelte er. "Außerdem träume ich von dir." fügt er hinzu, als würde das alles erklären.
"Weißt du, unsere Schicksale sind verbunden. Ich weiß, ob du in Gefahr bist, ob du in welche geraten wirst, oder wann du meine Hilfe brauchst, und ich kann dich spüren. Denn -" "Wie du kannst mich spüren?" entsetzt umschlinge ich mich mit meinen Armen. "Nicht dich direkt, deine Nähe, Anwesenheit." erklärt er sich, und ich atme erleichtert aus, bis ich angeekelt den Löffel von meinem Shirt ziehe.
Den hatte ich vollkommen vergessen. Als es klirrt, realisiere ich erst, dass ich ihn gedankenverloren in meine Eisschale geworfen hatte. "Nein... das wollte ich doch noch essen." seufze ich, und ignoriere gekonnt das schallende Gelächter von dem blonden Typen.
Wütend funkel ich ihn an, stehe auf, und bringe mein heißgeliebtes Eis weg.
"Willst du mir nicht endlich mal erklären, wer du bist?" frage ich ihn, während ich den Fernseher ausschalte. "Ich bin ich." lautet seine schlichte Antwort.
"Boah, du nervst. Ich meine, du tauchst hier auf, scheinst alles über mich zu wissen, und tust so, als würden wir uns kennen, und ich habe keine Ahnung, was hier läuft! Also entweder, du erzählst mir, was ich wissen will, oder du verschwindest."
"Ich habe dich echt netter in Erinnerung." und damit reißt bei mir der Geduldsfaden.
"Hör auf so eine Scheiße zu erzählen! Wir. kennen. uns. nicht!" schreie ich ihn an, während ich rasend mit Kissen nach ihm werfe. "Gott, Avery. Beruhige dich." versucht er mich zu beruhigen. "Woher kennst du jetzt auch noch meinen Namen?" schreie ich histerisch, bevor ich, als er immer näher kommt, anfange wild um mich zu schlagen, und zu treten.
Doch anstatt die Flucht zu ergreifen, schließt er mich in seine Arme, und hält mich fest.
Er ist kühl, wie seine Augen strahlt sein Körper eine Kälte aus, die mich erzittern lässt, aber gleichzeitig gibt er mir das Gefühl von Sicherheit. "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich weiß, dass dir deine Erinnerungen genommen wurden, jedoch werde ich dir helfen dich zu erinnern. Dich an mich zu erinnern." flüstert er beruhigend auf mich ein. Schwach sacke ich in seinen Armen zusammen. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Der Tag heute war der schlimmste, den ich je hatte, und jetzt sein merkwürdiger Besuch.
Müdigkeit überfiel mich, und ich war versucht dem Gefühl nachzugeben. Einfach hier und jetzt in seinen beschützenden Armen einschlafen. In den Armen eines fremden.
Ruckartig richtete ich mich wieder auf. Jetzt war ich hellwach, und sah ihm misstrauisch in seine eisblauen Augen.
"Warum sollte ich dir vertrauen?"
"Das habe ich nie von dir verlangt."
Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Er ist bei mir eingebrochen, hat sich auf mein Sofa gesetzt, behauptet, dass wir uns kennen, und will, dass ich das alles einfach akzeptiere, ohne ihm zu vertrauen...
Misstrauisch sehe ich zu ihm hoch. "Ich bin kein kranker Stalker, noch bin ich ein mordlüsternder Perverser. Ich bin ein alter Freund, an den du dich nicht erinnern kannst." erklärt er sich.
"Du hast eiskalter Psychopath vergessen." entfährt es mir, während sich meine Nägel in seine Jacke krallen. "Auch so einer bin ich nicht. Versprochen." skeptisch sehe ich ihn an.
"Warum sollte ich dir glauben?"
"Weil ich die Wahrheit sage."
"Die Wahrheit ist nur ein Puzzle, indem die Teile passend gemacht wurden, bis ein glaubhaftes Bild entsteht." erwidere ich.
"Woher weißt du, dass deine Wahrheit glaubhaft ist, und nicht ein passend gemachtes Bild?"
Stille entstand. Ohrenbetäubende Stille.
"Und woher willst du wissen, dass meine Wahrheit nicht die einzig wahre ist?"
"Ich weiß es nicht." gebe ich zu, und meine Finger lösen sich von seiner Jacke.
Behutsam zieht er mich mit sich herunter. "Aber will ich wissen, ob mein Bild eine Fälschung ist?" frage ich ihn. Wann haben wir nur angefangen zu philosophieren?
"Wollen tust du es bestimmt nicht, aber müssen."
Da kracht die Tür gegen die Wand. "Avery? Ist alles in Ordnung? Ich habe gesehen, dass das Schloss aufgebrochen wurde! Geht es dir- Gott, du kranker Perversling, geh gefälligst runter von ihr!" schrie sie aufgebracht los, und schnappt sich den Regenbogen farbenen Regenschirm.
Erschrocken springe ich auf, wobei ich mir den Kopf an seinem anschlage.
In dem Moment saust ein Regenbogen auf Blondie hinab, welchen er geschickt fängt, und in einer fließenden Bewegung aus Liz' Hand entwendet.
Sprachlos sehe ich zwischen den beiden hin und her. Blondie legt den Regenschirm beiseite, während Liz ungläubig ihre Hände betrachtet.
Dann schaltet sie das Licht an. In ihren Augen kann ich Verwirrung, Wut und Sorge erkennen.
"Ave, wer ist das?" bringt sie schließlich heraus. "Ich weiß nicht..." gebe ich ehrlich zu.
"Wie du weißt es nicht?"
"Ich bin Ethan. Ein alter Freund." stellt sich Blondie vor.
Ethan also, denke ich während ich ihn mustere. Die eisblauen Augen leuchten belustigt, sein blondes Haar ist zu einem leichten Undercut geschnitten worden, durch den seine Strähnchen betont werden. Sein blondes Haar wird nämlich durch hellere und dunklere Strähnen durchzeichnet.
Seine Kleidung bildet einen beinahe schon grotesken Kontrast, zu seinen hellen Haaren.
Er trägt einen dunkelgrauen Hoodie, der fast schwarz scheint, darüber eine schwarze Jeansjacke.
Da fiel mir die Situation auf dem Campus wieder ein, und die eisblauen Augen, als ich gerade an der Uni ankam. War er heute dort?
Ich weiß, ob du in Gefahr bist, ob du in welche geraten wirst, oder wann du meine Hilfe brauchst.
Das hatte er vorhin gesagt. Waren es vielleicht doch keine leeren Worte? Und diese Gewissheit, als ich ihn gestern sah, und wusste, dass er mir nichts tun würde... Vielleicht kannten wir uns wirklich. Nein, das kann nicht sein, das bildete ich mir bloß ein! Weiter nichts, als reine Einbildung.
So musste es sein! Überfordert schüttelte ich meinen Kopf, vielleicht werden so meine Synapsen wieder mit den richtigen verbunden. Um mich von diesen absurden Gedanken abzulenken, betrachtete ich ihn einfach weiter.
Seine Beine stecken in einer schwarzen verwaschenen Jeans, und dazu trägt er schwarze Sneakers. Als ich wieder hochgucke, sehe ich zum ersten Mal, dass er einen gepflegten Dreitagebart hat. Betonung liegt auf gepflegt.
Auch, wenn meine Gedanken absurd klingen... er steht dennoch in meiner Wohnung, und scheint sich gerade mit Liz anzufreunden.
"Aha... Ethan. Ich wusste gar nicht, dass du heute wen aufreißen wolltest, Ave." entsetzt sehe ich sie an. "Und, dass du dabei einen solch guten Geschmack beweisen würdest, hätte ich auch nicht gedacht." neckt sie mich, mit einem diabolischen Lächeln.
Sprachlos starre ich einfach weiter. "Kaffee?" fragt sie dann. "Ihr scheint ja schon fertig zu sein." grinst sie, und schlendert in die Küche. "Ich bin übrigens Liz." ruft sie noch über die Schulter gewandt, bevor ich sie Kaffee aufsetzen hören kann.
Ethan hat währenddessen nichts besseres zu tun, als in sich hinein zu lachen. "Ich mag deine Mitbewohnerin." 

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⏰ Last updated: Mar 13, 2016 ⏰

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