Kapitel 1 Ab ins neue Leben

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Leider ist es jetzt so weit, ich muss das Heim, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, nun verlassen. Irgendwie tut es mir weh. Ich habe hier ganze 13 Jahre meines Lebens verbracht, jede Ecke erkundet und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, hier endgültig auszuziehen.

Ich packte teils erleichtert und teils traurig meine restlichen Sachen, wobei es nicht viele waren, in einen großen Karton. Ich sollte das Bettlaken und die Bezüge abziehen und das kleine Zimmer so verlassen, dass gleich jemand neues rein könnte. Als ich dabei war das Bettlaken abzuziehen, hörte ich, dass etwas zu Boden fiel. Es war ein dumpfes Geräusch, was durch die alten Holzdielen verstärkt wurde.

Ich beendete meine Arbeit und schaute dann unter dem Bett nach, was dort runtergefallen war. Es war ein kleines Buch. Ich streckte meinen Arm unter das Bett und streichelte dabei die Staubmäuse, die sich dort seit Jahren befanden. Ich schnappte nach dem kleinen Buch und zog es raus. Mein Ärmel und das Buch hatten eine gute Portion Staub abbekommen. Ich schaute mir das Buch an und blätterte leicht darin. Ich erinnerte mich wieder.
Es war mein Tagebuch, welches ich die ganzen Jahre immer unter meiner Matratze versteckt hatte. Hätte ich die Bezüge nicht abgezogen, hätte ich es wahrscheinlich vergessen und irgendeiner hätte es gefunden.

Ich packte es wortlos und betrübt in den letzten Karton und verschloss ihn provisorisch. Ich setzte mich ein letztes Mal auf das Bett, welches bei jeder Bewegung knirschte. Selbst diese ätzende Geräusche würden mir fehlen.
Das Zimmer hatte hellgraue Wände und sonst nur dunkle Holzmöbel. Ein kleines Fenster schmückte die Wand gegenüber vom Bett. Die Aussicht war bescheiden. Aus dem Fenster konnte ich direkt auf die Hauptstraße schauen, welche doch sehr heruntergekommen und alt wirkte.

Ich reflektierte mein Leben in diesem Heim kurz und kam nach kurzer Zeit zum Entschluss, mich doch eher auf die Gegenwart zu konzentrieren. Ich packte den Karton vor mir und brachte ihn nach draußen zu meinem mein kleinen Auto und verstaute ihn im Kofferraum.
Kurz zu meiner Person; Ich heiße Amina und bin 20 Jahre alt. Ich wurde meinem Vater, mit sieben Jahren, weggenommen und ins Heim gebracht. Meine drei Brüder wurden, soweit ich weiß, bei meinem Vater gelassen, da er nur mich misshandelt hatte.

Ich wollte mein Leben von meiner Kindheit nicht beeinflussen lassen und trotzdem alle Möglichkeiten ausschöpfen und meine Zukunft gut gestalten in shaa allah. Ich habe mein
Abitur gemacht und bald fängt in shaa Allah auch mein Studium an. Ich wurde sehr früh selbstständig und hab immer wieder mal irgendwo gejobbt, um mein eigenes Geld zu verdienen, denn im Heim bekam man nichts. Es war
harte Arbeit, aber umso stolzer bin ich jetzt auf mich. Ich habe meinen Führerschein und mein Auto selbst finanzieren können und ziehe jetzt mit 2 anderen Mädchen in eine WG. Mehr gibt es so eigentlich nicht ,übermich zu erzählen.

Ich verabschiedete mich von ein paar Betreuern und vom Küchenpersonal, was immer sehr lieb zu mit war. Anschließend lief ich zu meinem Auto zurück und stieg ein. Bevor ich den Motor startete, schaute ich nochmal auf das große Gebäude. Ich war mehr als nur bereit, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Die Fahrt dauerte nicht besonders lange und eher ich mich versah, parkte ich vor dem Mehrfamilienhaus, in dem ich ab heute leben würde.

Die zwei Mädchen erwarteten mich bereits und halfen mir, meine Kartons nach oben zu bringen, wobei es nicht gerade viele waren. Wir hatten vor ein paar Tagen bereits alle Möbel aufgebaut, weshalb meine einzige Aufgabe für den Tag das Auspacken meiner wenigen Kartons war, was ziemlich schnell ging. Das Tagebuch fiel mir wieder in die Arme und ich verstaute es nur in der untersten Schublade meines Nachttisches.

Ich betete noch meine Gebete und
ging danach noch eine Runde spazieren, um meinen Kopf frei zu bekommen. Zum Glück waren die Straßen belebt und nicht so verlassen, wie es an manchen Tagen der Fall war. Viele laute Geräusche kamen aus den kleinsten Ecken und Winkeln dieses Stadtteils.

Ich machte mich nach einer kurzen Runde auf den Weg nach Hause. Es war schon relativ dunkel, aber ich hatte keine Angst, dass hatte ich irgendwie nie, ich fürchtete nur den Herrn über mir. Vor der Haustür kramte ich nach meinem Schlüssel und bemerkte garnicht, dass das Licht im Hausflur an war und die Haustür kurz darauf geöffnet war. Ich schreckte kurz zusammen, als zwei junge Männer etwa in meinem Alter aus der Tür kamen. Einer der beiden hielt mir die Tür noch auf, weshalb ich mich verpflichtet fühlte, mich zu bedanken. Der andere guckte mich sehr intensiv an, sodass ich dann einfach nur stumm die Treppen hoch ging. 'Wer wohnt hier wohl noch alles?' fragte ich mich innerlich, aber die Antwort bekam ich nach einigen Tagen dann auch noch.

Ich ging sofort in mein Zimmer und zog mich um. Anschließend setzte ich mich auf mein Bett und holte mein Tagebuch wieder raus. Ich war etwa 5 Jahre alt, als ich es bekam. Ich konnte damals noch garnicht schreiben, weshalb ich versuchte alles zu malen, was mir widerfuhr. Es waren hauptsächlich Bilder, auf denen ein kleines Mädchen weinte und dieses Mädchen war ich selbst.

Meine Mutter starb kurz nach der Geburt von mir und meinem Zwillingsbruder. Mein Vater kam mit der Situation nicht klar, weshalb meine Tante die erste Zeit auf uns aufpasste und uns stillte, aber sie konnte nicht ewig auf uns, bzw. mich aufpassen.

Als wir drei Jahre alt waren, nahm mein Vater uns zurück zu sich. Ich kann mich nur an massenhaft Schläge erinnern, grundlose Schläge und Beleidigungen. Ich sei schuld am Tod meiner Mutter. Mein Vater hatte wahrhaftig große Teile seines Glaubens verloren, als meine Mutter starb.

Er hasste mich, weil ich ihn an sie erinnerte und ihn somit jeden Tag mit ihrem Tod konfrontierte. In der Schule bemerkte man irgendwann schnell, dass mein Körper ständig blau war und ich überdurchschnittlich viele Verletzungen hatte. Die Schule hetze meinem Vater das Jugendamt auf. Ich kann mich bis heute am den Tag erinnern, an dem ich meinem Vater weggenommen wurde und er nichts dagegen getan hatte. Eine Frau kam zu uns. Sie war blond und etwa 30 Jahre alt. Sie hatte eine große Brille mit braunem Gestell und trug eine schwarze Hose mit einer hellen Bluse. Sie hatte ein schwarzes Klemmbrett dabei und notierte sich Sachen. Ich sollte im Zimmer warten. Nach einer halben Ewigkeit kam die Frau ins Zimmer und nahm mich mit. Ich konnte mich nichtmal von meinen Brüdern verabschieden, da sie zu dem Zeitpunkt beim Fußballtraining waren. Danach hörte ich nie wieder etwas von ihnen, obwohl das Heim nicht weit von unserem Wohnort war.

Ich blätterte weiter in dem Tagebuch und fand auf der letzten Seite ein Bild meiner Mutter. Sie sah so aus, wie ich jetzt. Ich strich über das Bild und musste mir Tränen verkneifen. Ich hätte sie sehr gerne kennengelernt und in meinem Leben gehabt...

Liebe auf Umwegen♡ أحبكWo Geschichten leben. Entdecke jetzt