Kapitel 1

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----- Isaac -----

Es war ein ruhiger Morgen in dem kleinen Dorf, in dem ich mit meinen zwei Schwestern, meinem Bruder und meinem Vater lebte. Ich war früh wach, mein Vater brauchte dringend Hilfe bei der Reparatur des Daches unseres Hauses. Während er außer Haus war kümmerte ich mich also nicht nur um meine Geschwister, sondern auch um Haushalt, Instandhaltungsarbeiten und musste etwas Geld zu unserer Haushaltskasse zusteuern. Das Dorf, der Bezirk in dem wir lebten, eigentlich das ganze Land waren die letzten Jahre von Dürre und damit einhergehender Armut geplagt. Seit meine Mutter bei der Geburt ihres letzten Kindes verstorben war, nahm das Leben für uns keine gute Wende. Unser zu Hause wurde von trockenen Stürmen dahingerafft, das Geld reichte gerade so, um uns über die Runden zu bringen und auch die vertraute, liebevolle Stimmung war verloren gegangen. Die nötigen Mittel für Bildung waren nie da, meine Geschwister mussten seit frühestem Kindesalter Geld verdienen.

Ein Ereignis, welches das wohlige Familienklima vollends dahingerafft hat, war der Tod meines jüngsten Bruders. Er war drei, als wir ihn auf dem schlammigen Platz hinter der Dorfkirche begraben mussten. Kai war sein Name, er litt an einer einfachen Kinderkrankheit, wie es der Doktor nannte. Im Grunde nicht schwer zu behandeln. Mein Vater kam in Kais letzten Wochen seines Lebens nur nach Hause, um sich Brot und Käse für seine nächste Arbeit zu holen, er arbeitete wie ein Tier, Tag für Tag, Woche für Woche. Der Anfang der Behandlung lief gut, doch auch der Doktor konnte bei mangelnden finanziellen Mitteln nicht viel ausrichten. Seit dem Tag von Kais Tod redet Vater nicht mehr viel, er sieht uns nicht mal in die Augen.

Ich saß gerade auf meinem Bett, als diese Erinnerungen wieder in mir hochkrochen und ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht weinen zu müssen. Mein Bett - das ich mir seit ich Denken konnte mit meinem 12-jährigen Bruder teilen musste - stand neben dem Hochbett meiner zwei jüngeren Schwestern, die jeweils 9 und 7 waren. Das Zimmer war klein und hatte nur ein winziges Fenster, das sich nicht öffnen ließ. An den Kopfenden standen zwei alte, von Holzwürmern durchlöcherte Truhen, in denen sich Kleidung, Bettzeug und wenige persönliche Gegenstände von uns befanden. Auch ein unscheinbares Tischchen mit einem kunstvoll geschnitzten Stuhl stand in einer Ecke. Meine Mutter hatte ihn mir zu meiner Einschulung geschenkt, zu Zeiten, in denen Geld für mehr als Lumpen, Brot und Kohle gereicht hat.

Es war mein Plan, auszuziehen, sobald ich auf eigenen Beinen stehen konnte. Doch als es so weit war, ließ mich mein Vater nicht gehen. Ich hasste ihn eine lange Zeit dafür, doch über die Jahre tat er mir nur noch leid. Ich erkannte, dass er das Leben nicht ohne mich bewältigen konnte.

Ich schwelgte in diesen Erinnerungen, ohne dass ich bemerkte, dass mein Vater nach Hause gekommen war. Plötzlich stand er in dem Zimmer und sah mich zornig an. Er war kein strenger Mann, nur gezeichnet vom Leben, der nicht mehr viel für Liebe und Freude übrig hatte. Wer konnte es ihm verübeln...

"Das Obst? Von Fräulein Himmer?", fragte er, man konnte hören, dass es erschöpft war.

"Sie hat mich um elf zu ihr bestellt um es abzuholen, ich werde mich gleich auf den Weg machen. Die Wäsche ist auch fertig."

Er nickte nur leicht und stürmte aus dem Zimmer.

Wie ich versprochen hatte, ging ich also kurze Zeit später aus unserem Haus. Von Außen betrachtet konnte einem unsere Familie nur leid tun. Die Fassade lag blank und an vielen Stellen grob mit Stroh und Holz geflickt, die Gläser der Fenster waren trüb und spröde und auch das Dach, nun, die Holzplanken hielten auch nur das Nötigste aus.

Dabei war unsere schlechte Wohnsituation bei Weitem kein Einzelfall. Im Gegenteil. Ein intaktes Haus mit einer gesunden Familie wäre in diesem Dorf ein Wunder. Die Menschen kippten Abfälle und Gülle in die Steinrinnen vor ihren Häusern, nicht selten waren Tierkadaver anzutreffen. Manchmal sieht man einen solchen Kadaver und denkt sich, dass das ein recht großes Schwein ist und muss dan mit Erschrecken feststellen, dass es eine menschliche Leiche ist.

Dementsprechend war der Geruch und die grauenhafte Hygiene. Die Leute wurden von den verschiedensten Krankheiten dahingerafft, manchmal reichte eine Erkältung, um ganze Generationen zum Tode zu verurteilen.

Mir mein Hemd über Mund und Nase ziehend bahnte ich mir einen Weg durch Gassen, vorbei an stinkenden Eseln, schreienden Frauen und betrunkenen Männern, bis hin zu dem unscheinbaren Platz vor dem Gemeindehaus. Dort befand sich ein kleiner Markt mit Ständen die Waren und einfache Dienstleistungen anboten. Von Fisch, den ich hier nebenbei bemerkt im Leben nicht kaufen würde, über Eselfohlen und Hühnerküken bis zu alten Männern, die ihre Arbeit als verzweifelte Tagelöhner anboten.

Doch heute scharrte sich die Menge statt um die Stände um das Gemeindehaus, denn dort war vor nicht allzu langer Zeit seltener Besuch. Die Garde des Königshauses.

Egal wen man fragt, fällt in Gesprächen der König oder der Palast gibt es einen Aufstand. Die Menschen kämpfen tagtäglich um ihr Überleben und verzweifeln bei dem Gedanken an den morgigen Tag. Der Grund liegt selbstredend in der Führung des Königs. Gnadenlos und unerbittlich werden Steuern, Güter und Dienstleistungen eingefordert. Wer nicht mit Münzen und Getreide zahlt, zahlt mit dem Leben. Er wird so sehr gehasst und verabscheut, gleichzeitig aber so gefürchtet, dass es niemand wagt, aufsässig zu werden.

Dem Tumult nachgehend hatte ich Fräulein Himmer längst vergessen und bahnte mir meinen Weg nun durch die tuschelnde Menge. Wider meiner Erwartungen wurde nicht gepöbelt oder geschimpft, es machte sich lediglich eine Verwunderung breit.

An den Toren waren zwei große Schriftrollen befestigt, auf denen lange Texte standen. Nur die Wenigsten hier konnten lesen, ich gehörte zu den Glücklichen die es beherrschten, also wurden Fetzen für die Allgemeinheit vorgelesen.

"Der Prinz des gelobten Vaterlandes Kensai er...", rief eine alte Frau.

"Er soll heiraten!", schrie es aus einer anderen Ecke.

Eine junge Frau drängte sich durch die Menge und brachte sie mit einer flinken Handbewegung zum Schweigen.

"Der Prinz Rinnero Hall wird mit Erreichen des 20. Lebensjahres als der neue Herrscher des Landes hervortreten. Um das Erbe des Palastes zu sichern und eine stabile Herrschaft zu führen wird er vermählt werden.", lies sie mit leiser, aber durchschneidender Stimme vor. Die Menge lauschte gespannt.

"Hierfür wird eine Dame noblen Standes ausgewählt, nachdem sie ein halbes Jahr in königlichem Hause verbracht hat. Auf Wunsch unserer Innenminister werden zu diesem Anlass auch Gäste des einfachen Volkes in den Palast geladen. Die teilnehmenden Damen müssen ein Alter von 16 Jahren überschritten haben, aus gutem Hause sein, die nötige Etikette besitzen, sowie einen gebärfreudigen Mutterleib ihr Eigen nennen. Um aufkommende Kosten zu entlasten, wird den Familien der Teilnehmer wöchentlich eine Entschädigung in Form von finanziellen Mitteln und feinsten Speisen zukommen gelassen."

Dabei wurde Isaac hellhörig. Bedingungslose Unterstützung vom König? Entweder er wurde urplötzlich zu einem Wohltäter, oder aber er ist verzweifelt...

"Soller doch mich heiraten, ich kann genauso ne' noble Dame sein!", lallte ein Mann und deutete einen Knicks an, was die Menge zum Lachen brachte.

Was Issac nicht wusste, war, dass die Reiter der königlichen Garde vom Wege abkamen. Ihr Auftrag war es, die frohe Kunde in die Nachbarstadt zu bringen, in der sich das wohlbetuchte Volk tummelte. Stattdessen waren sie müde von der langen Reise und wollten die Schriftrollen so schnell wie möglich loswerden. Für sie Bequemlichkeit, für Isaac ein gewaltiger Schicksalsschlag.

The prince or the kingdom Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt