Der Nackte und der Königliche

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Sie rannte, wie sie es nie zuvor getan hat. Das Geräusch, das ihre nackten Füße auf dem Boden machten, blieb ihr noch lange im Kopf. Während ihres Sprints war sie so fuchsteufelswild, dass sie alles um sich vergaß, dass sie nackt war, die schreiende Zofe und auch die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Sie rannte und rannte, sie bekam kaum noch Luft, doch sie wusste, sie musste weiterrennen. An der Palastmauer angekommen kletterte sie gleich einem Eichhörnchen in die Freiheit und als seine blutenden Füße zum ersten Mal den Waldboden berührten, konnte er atmen. Er spürte seine raue Haut und die Stoppeln, die an seinen Waden wuchsen und er fühlte sich selbst.

Aus Angst und aus noch mehr Angst lief er bis es dunkel wurde. Mit dem ersten Licht des nächsten Tages machte er sich nach einer schlaflosen Nacht wieder auf den Weg. Er stoppte nur, um aus einem glasklaren Bach zu trinken und um einem Handelsreisenden die Kleidung zu stehlen, die der arme Mann zum Trocken vor sein Zelt gehangen hatte.

Zu Hause freute man sich natürlich sehr über seine Rückkehr, doch schnell setzte bei ihm erneut das befremdliche Gefühl ein, nicht dorthin zu gehören. Niemand hatte ein Ohr für das, was er fühlte, sie wussten nicht, dass er ungewollt zu einer anderen Person geworden ist. Er wollte nicht mehr Caasi sein, doch auch Isaac war ihm fremd geworden. Genauso wenig konnte er in Worte fassen, was ihm den Verstand vernebelte.

Seiner Schwester ging es jeden Tag besser. Das versprochene Geld hatte tatsächlich seinen Weg ins Dorf gefunden und die Bewohner nutzten es als eine Gemeinschaft. Sie richteten einen kleinen Handelsposten ein, der dem Dorf langsam aus dem Elend half und die Ansätze eines Bildungs- und Versorgungssystems schuf. Der Geist seines Vater konnte heilen, doch kurz nach der Rückkehr seines Sohns konnte er spüren, dass er jetzt neu zu sich finden musste. Bis dahin konnte auch er keinen Frieden finden.

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Der Andere schwebte ebenso im Ungewissen. Den einen Moment sah er sich als der hoffnungsvoll Verliebte und ein entblößtes Geschlechtsteil später fand er sich wieder am Anfang seiner zerstörerischen Selbstzweifel. Der restliche Palast betrachtete den Vorfall als nichts weiter als kopfschüttel-würdig. Man wunderte sich, dass die merkwürdige Gestalt entkommen konnte, kümmerte sich jedoch auch nicht weiter darum. Doch der Königliche focht täglich aufs Neue einen Kampf mit seinem Herzen aus. Mal dominierte betrogener Zorn, mal war es dieses melancholische Elend, von dem er bereits in den Romanzen der Bibliothek gelesen hat. Er war so voller Erwartungen und Hoffnungen, bis der Nackte sie mit sich über die Mauern nahm. Zum Schutze seines Geistes zwang er sich, die porzellane Miene aufzusetzen und weiter mit den Mädchen im Palast zu tanzen. Seine Träume wurden nicht mehr von der zierlichen Frauengestalt heimgesucht, sondern wurden jetzt überflutet von einem blutenden Mann und er wachte genauso schweißgebadet auf.

Doch sie bereuten einander nicht. Nicht ihr Kennenlernen, nicht ihre gemeinsam verbrachte Zeit und vor allem nicht, aber das wollten sie sich nicht eingestehen, die tiefen Gefühle, die sie füreinander hegten. Keine Sekunde verging, in der sie nicht aneinander dachten. Gedanken triefend vor Zorn, vor Schmerz und vor Sehnsucht.

Gedanken triefend vor Liebe.

The prince or the kingdom Kde žijí příběhy. Začni objevovat