9. 1 - Jeglicher Körperkontakt am Morgen zählt nicht

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Wie erhofft, entdeckten wir eine kleine Höhle - die eher als Einkerbung im Fels bezeichnet werden konnte - nur einige Stunden später, als ich gedacht hatte. Ich war hundemüde und konnte nur noch mit Mühe meine Augen offen halten. Es musste bereits der frühe Nachmittag angebrochen sein, als ich meinen Schlafsack auf den Boden warf. Gleich neben meinem vollgestopften Seesack und den Beinen von Matej, der etwas unschlüssig dort stand und sich das Kinn rieb.

„Was ist los?", fragte ich gähnend, obwohl ich bereits ahnte, was los sein könnte.

„Nichts."

Na klar – nichts. So sah er auch aus, als er betreten auf meinen Schlafsack blickte, in den ich bereits zufrieden geschlüpft war. Ich wartete, dass er etwas sagte, während ich die Verpackung eines Müsliriegels aufriss und laut kauend davon abbiss, während ich ihm einen zweiten hinhielt, den er dankbar annahm. Doch statt noch etwas zu sagen, kniete er sich neben seinen Rucksack, holte eine Wasserflasche und noch ein paar weitere Sachen heraus. Diese Zeit nützte ich, um ihn zu beobachten, während ich im Schlafsack zufrieden seufzte.

Bei der Kälte und meiner Müdigkeit war er einfach himmlisch: warm, weich und kuschelig groß. Was zu einem daran lag, dass der Schlafsack eigentlich Jayden gehörte und für zwei stämmige Personen gedacht war. Ich war nur eine zierliche Person, und auch wenn ich es nicht gerne zugab, im Gegensatz zu meinen Cousins oder Matej, sogar ziemlich winzig. Klein, aber oho – wie es so schön hieß. Neben mir breitete Matej eine Decke aus, setzte sich drauf und hielt mir dann einen Flachmann entgegen.

Moment mal. Ein Flachmann? Von einem Pfarrer?

Skeptisch betrachtete ich das silberne, platte Fläschchen und fragte mich, ob Matej tatsächlich Hochprozentiges eingefüllt hatte. Könnte auch gut sein, dass dort Weihwasser drinnen war. Nur, warum sollte er es mir dann anbieten.

„Keine Angst. Es wird dir schmecken. Genau das richtige für so eine Jagd", erklärte mir Matej, der den inneren Gedankentanz anscheinend an meiner Miene abgelesen hatte. Normalerweise war ich nicht so leicht zu lesen, doch ich musste zugeben, dass ich mich zu wohl an seiner Seite fühlte, und daher nicht so sehr auf meine harte Schale achtete. Nur meine ruppigen Antworten waren noch übrig. Erbärmlich.

„Danke. Vielleicht kann ich etwas Scharfes jetzt tatsächlich gut gebrauchen."
Ich legte den Flachmann an meinen Mund und kippte meinen Kopf nach hinten, um einen tiefen Schluck zu nehmen. Sofort fingen mein ganzer Mund, die Lippen und der Hals Feuer, als mir die Flüssigkeit lodernd hinunterlief. Mit rotem Kopf prustete ich los, da ich mich verschluckt hatte und für einen Moment keine Luft bekam. Ich hatte ja schon viele Gesöffe getrunken, aber das war reinstes Teufelswasser. Schnell sprang Matej auf die Beine, klopfte mir auf den Rücken, während er sich zu Tode lachte. Schließlich bekam er sich doch wieder ein. „Tut mir leid. Ich dachte, du bist starke Getränke gewöhnt. Es ist ein normaler doppelgebrannter Schnaps. Nun ja, vielleicht etwas stärker als der gewöhnliche Fussel. Er ist sogar vom gleichen Barbesitzer, bei dem du deine Collegenummer abgezogen hast."

Statt ihm eine Retourkutsche zu verpassen, hustete ich immer noch, spürte dabei aber seine warme Hand, die nun nicht mehr klopfte, sondern beständig über meinen Rücken rieb. Ein schönes Gefühl. Eines, das eine Schicht der Kälte in mir schmelzen ließ, die sich seit ich klein war, immer weiter ausgebildet hatte. Wieder legte er damit eine neue Seite frei, zeigte mir andere Einblicke in sein Wesen, mit denen ich bei unserer ersten Begegnung nicht gerechnet hätte. Wärme breitete sich weiter in mir in meinem Bauch, meiner Brust aus und ich wusste nicht, was mich in diesem Moment ritt – vermutlich der idiotische Schnaps -, aber die Frage purzelte schneller aus meinen Mund, als mein Verstand begriff, auf was ich mich da eigentlich einließ. „Wenn du willst, kannst du dir den Schlafsack mit mir teilen? Das Wetter ist viel zu kühl für deine dünne Decke."

Er riss die Augen auf und schien nicht minder überrascht über mein Angebot. Tja, da waren wir schon zu zweit. Doch bevor ich es mir anders überlegen konnte, antwortete er mit einem „Danke, das ist sehr zuvorkommend", öffnete den Reißverschluss und saß auch schon neben mir, die Beine lässig ausgestreckt. Ein Lächeln auf den Lippen, das nicht ganz zu seinen kultivierten Worten passte.
Pah, Männer! Egal welche Berufung sie hatten, in solchen Dingen dachten sie alle gleich. Statt noch einen Blödsinn, einen weit schlimmeren Fehler zu machen und kopflos zu sein – ich doch nicht – legte ich mich hin, nuschelte: „Gute Nacht" und drehte mich auf die Seite, um ihm meinen Rücken zuzukehren. Neben mir raschelte es, da Matej sich ebenfalls niederließ. „Schlaf gut. Danke, dass du über deinen Schatten springst und mich hier bleiben lässt. Ich weiß, wie wenig es dir gefällt."

Seine Stimme war tief und samtig. Ich presste die Lider noch fester zusammen, um mich nicht zu ihm umzudrehen, ihn nicht anzusehen. „Schon gut."

Danach glitt ich gegen aller Erwartung schnell in den Schlaf. Nur von der Ferne kam es mir so vor, als würde mir jemand über die Haare streichen und etwas Weiches – eine Decke? – über meine Schulter legen. Aber das musste ich bereits träumen, ganz eindeutig. Mich hatte seit ich klein war, niemand mehr zugedeckt.

***

Schlaftrunken bewegte ich mich, rieb mit der Wange am Kissen und seufzte zufrieden. Im Hinterkopf rief mir zwar eine nervige Stimme zu, endlich aufwachen und zwei Gänge zulegen sollte, aber es war gerade so angenehm warm und bequem, dass ich mich nicht einmal dazu aufraffen konnte, die Augen zu öffnen. Durch diesen Dämmerzustand hinweg bemerkte ich dennoch, wie sich das Kissen unter mir rhythmisch auf und ab bewegte. Komisch, bin ich auf einem Boot?

Während ich benebelt meine Gehirnwindungen durchforstete, drückte ich mich noch enger in mein Bett, da es nicht nur kuschelig war, sondern auch noch himmlisch roch. Ein Duft nach frischem Gras, nach Waldwiese, der so schön herb und männlich war, dass sich meine Brustwarzen aufrichteten.

Wie bitte – männlicher Duft?

Kurz blieb meine Atmung, womöglich auch mein Herz stehen. Erst jetzt spürte ich auch eine Hand auf meinem Hintern und hörte ein leises Atmen, aber nicht länger Schnarchen, das ich vorhin meinte, mir eingebildet zu haben. Ungläubig öffnete ich blinzelnd ein Lid und sah einen Typen unter mir liegen. Schnell schloss ich die Augen ganz fest und redete mir gut zu: Du träumst, du träumst, das ist eine Fata Morgana. Du warst so geil auf den Pfarrer, dass du jetzt von seinem warmen Köper phantasierst. Als ob er die Hand auf deinen Arsch legen würde, vorher würde er sie wahrscheinlich abhacken.
Aber was, wenn das doch kein Traum ist, rief mir eine kleine Stimme zu, die ich am liebsten stranguliert hätte.

Oh Gott, hoffentlich hatte ich nicht gesabbert, kam mir der nächste Gedanke.

Schnell wischte ich mir über den Mund, öffnete mit neuer Entschlossenheit die Augen und stieß ein Quicken aus, als ich in Matejs Gesicht starrte. Das mich zuerst verträumt anlächelte und dann einen erschrockenen Ausdruck bekam, als es auch durch seine Gehirnwindungen gesickert war, in welcher eindeutigen Pose wir zusammenlagen. Ich zuckte etwas zurück und lehnte mit auf den Ellbogen, als ich „Entschuldigung" murmelte. Matej stammelte indessen ein „Guten Morgen", und schaute auf seine Brust hinunter, wo ich gerade noch mit meinem Kopf gelegen hatte.

„Ist das Spucke?", fragte er verwirrt, rührte sich aber nicht, als ich auch schon hastig mit dem Ärmel meiner Jacke seine Brust trocken rieb. „Was? Nein! So ein Blödsinn. Wie kommst du denn darauf? Das muss der Tau sein..."

Nachdem ich damit fertig war, wollte ich weiter weg rutschen, am besten ans ganze letzte Ende des Schlafsacks, wurde aber von einem warmen Griff aufgehalten. Wieder kreischte ich mit den Worten „Sie haben Ihre Hand auf meinem Hintern", auf und fragte mich gleichzeitig, warum ich so prüde auf ihn reagierte.

„Du. Bitte."

„Verdammt! Du hast deine Hand auf meinem Arsch!"

„Entschuldigung", entgegnete er im besten Gentlemen–Ton, nahm die Hand fort und zog den Reißverschluss auf, um aufzustehen. Kälte strömte durch meine Klamotten, über meine Haut, genauso wie es sein sollte.

***



MONSTER GEEK: Die Gefahr in den WäldernWhere stories live. Discover now