5. 1 - Bleibe immer in deiner Rolle

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Einige Zeit später war der Kanister in meinem Zimmer versteckt, mein Fläschchen in meiner Jackentasche hatte ich bis obenhin befüllt und ich befand mich am richtigen Ort, um mit meiner Recherche zu beginnen: der hiesigen Bar. Dabei hatte ich keinen schicken Club gewählt, den es sogar in diesem verschlafenen Nest im Zentrum der Stadt gab, sondern eine ältere Bar, die hauptsächlich Bier, Whisky und Schnaps ausschenkte, mit einem Klientel, das entweder schon betrunken war oder auf dem besten Weg dorthin. Perfekt!

An der Theke bestellte ich mir zunächst einen Whisky, den ich mit einem Zug hinunterschüttete. Die Flüssigkeit brannte angenehm in meiner Kehle und gab mir das Gefühl, richtig lebendig zu sein. Als das Brennen verschwand, verlor sich das leuchtende Aufleben und schrumpfte in sich zusammen. Mit dem Oberkörper lehnte ich mich an den Tresen und holte aus meiner linken Hosentasche einen kleinen Block und einen Stift hervor, die ich für diese Gelegenheiten mitgenommen hatte. Zur Unterstreichung meiner Rolle hatte ich mir eine schwarz umrandete Brille aufgesetzt und strich mir nun ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht, die meinem hohen Pferdeschwanz entschlüpft waren.

Sobald der Barmann im mittleren Alter auf seiner nächsten Runde an mir vorbeiging, hob ich schnell meinen Arm und rief ihn dadurch zu mir. „Entschuldigen Sie bitte, Sir. Würden Sie mir ein paar Fragen beantworten? Zu den verschwundenen Kindern aus der Gegend?"

Skeptisch musterten mich seine braunen Augen von oben bis unten und wurden immer enger, je mehr Details er dabei erfasste. Ich hatte mir extra eine neue, aber gleichzeitig zerrissene Jeans, ein Shirt mit Aufschrift einer Uni und eine leichte Jacke übergeworfen – ein Bild der Unschuld. Doch davon wollte der Barkeeper nichts wissen und schnauzte mich an: „Sind Sie von der verschissenen Presse?"
Mist! Keine Unizeitung gewünscht. Neue Rolle, aber zackig!

„Nein, natürlich nicht! Wo denken Sie denn hin?", gab ich in meinem besten überraschten Tonfall zurück und verzog angewidert das Gesicht, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. Ratternd bewegten sich die Zahnräder in meinem Gehirn und beinahe hätte ich wie Wicki erfreut den Zeigefinger in die Luft gestreckt, als mir ein Geistesblitz kam. „Ich studiere an der Uni Kriminalpsychologie. Momentan gehen wir ungelöste Fälle mit verschwundenen Opfern durch und müssen dazu eine Abhandlung schreiben. Eine verdammt lange, wie ich erwähnen möchte. Daher dachte ich, ich könnte hier über den aktuellen Fall ein paar Details erfahren. Ich komme von auswärts, aber meine Großmutter wohnt in der Nähe."

Ein weiteres Mal musste die besagte Großmutter herhalten und bei meinen ganzen Lügen lag ein kleiner Funke Wahrheit darin – immerhin kam ich tatsächlich von auswärts. Theoretisch hätte ich mich als Cop ausgeben können, um an ein paar Informationen zu gelangen. Doch meist waren die Menschen in der Nähe von Ordnungshütern steif und verschreckt, wollten nichts tun oder zu viel sagen, was sie selbst irgendwie in ein falsches Licht bringen konnte. Darauf war ich nicht aus. Ich wollte die ungeschönte Wahrheit, die schmutzigen Geschichten, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, wenn eben kein Offizieller anwesend war.

Unbehaglich, doch nicht länger unfreundlich kratzte er sich am Ellbogen und rang sichtlich mit sich. Als ich ihm noch mein süßestes Lächeln schenkte und säuselte: „Bitte, Sir. Sie würden mir damit wirklich zu einer guten Note verhelfen, Sir", hatte ich ihn am Haken.
„Na schön, was möchten Sie wissen?"

***

Gut gelaunt schlenderte ich nach zwei weiteren Gläsern Whisky, einer vollgekritzelten Blockseite, die bloß Show gewesen war, und neuen Informationen Richtung Tür. Musik wummerte durch den rauchgetränkten Raum, der nach Schweiß und Hochprozentigem stank.

Der Barmann hatte mir nicht viel über die aktuellen Geschehnisse erzählen können. Nur dass die ersten Kinder vor drei Wochen verschwunden waren.

MONSTER GEEK: Die Gefahr in den WäldernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt