Wäre ja auch nicht so wie so die schlauste Idee. Denkst du ernsthaft, du könntest etwas ausrichten?

Wahrscheinlich hatte die Stimme Recht. Was sollte ich schon tun können? Ich hatte letztendlich keine Ahnung davon, was wirklich in Harry vor ging und was man tun könnte. Aber irgendetwas an Liam machte mich unsicher.

Unabhängig davon, was ich tun und nicht tun könnte, hatte ich doch indirekt viel über Harry gelernt. Allein schon so viel über die unterschiedlichen Persönlichkeiten zu wissen. Wie war das noch? Primär-, Kind-, Peiniger-, Beschützer-, Beobachter- und gegengeschlechtliche Persönlichkeiten? Ich musste unbedingt herausfinden, wer wohl welche Rolle einnahm. Das Harry die Primärpersönlichkeit war, war mir eigentlich recht klar. Ich hatte ihn zwar nie als ängstlich und depressiv wahrgenommen, aber dass er sensibel war und zwanghaft versuchte, gut zu sein, konnte ich mir bei ihm gut vorstellen.

H dagegen musste wohl die Peiniger-Persönlichkeit sein. Und wenn ich mir sein Verhalten ins Gedächtnis rief, das scheinbar das des Peinigers imitieren sollte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Auch, dass H versuchte, Harry und die anderen zu sabotieren, passte zu ihm und seinem geheimen Plan.

Hazzy würde ich wahrscheinlich als Kind-Persönlichkeit einordnen. Nicht nur, dass er sich benimmt wie ein Kleinkind - aber der Zustand, als ich ihn in der Bibliothek gefunden hatte, sprach für die 'heftigen, ausgeprägten Ausbrüche', von denen Liam gesprochen hatte. Dass er wohl das traumatische Erlebnis hielt, machte mich wütend und traurig zu gleich. Es rief mir ein mentales Bild vor Augen, wie ein kleiner Harry missbraucht wurde. Wie er zitterte, während er rohe Gewalt ertragen musste, wie er schrie, als ihm niemand half, wie er still weinend ertrug, was ihm angetan wurde. Ich wollte weinen und schreien zu gleich, weil es sich anfühlte, als würde ich seinen Schmerz teilen. Ich wollte um mich schlagen, wollte ihm helfen. Ich wollte etwas zerstören - am liebsten denjenigen, der ihm das angetan hatte.

Ein wildes Piepen riss mich aus den Gedanken und ich bemerkte, dass der Monitor neben mir verrücktspielte. Ich versuchte mich wieder zu beruhigen, bevor noch eine alarmierte Krankenschwester hereingestürmt kam. Es gelang mir zu einem gewissen Grad und ich zwang mich, an etwas anderes zu denken.

Ich dachte wieder an die verschiedenen Persönlichkeitentypen. Was war wohl Haz?

Ich dachte an die Momente, in denen ich mit Haz zu tun hatte. Seine raue Art, die aber doch ruhig und rational wirkte, würde dafür sprechen, dass er die Rolle des Beschützers einnahm. Er wirkt, als hätte er eine harte Schale, die kaum gebrochen werden konnte und jeden Angreifer bezwingen könnte. Ich musste direkt an den Moment denken, als er mir zuredete, dass ich mich niemals für meine Sexualität schämen sollte. Haz hatte definitiv eine beschützende Ader.

Aber was war Curly? Eine gegengeschlechtliche Rolle schien er ja nicht einzunehmen... oder? War er vielleicht ein Beobachter? Er schien immer so passiv und sanft zu sein. War er eventuell ein 'inner self helper', wie Liam es genannt hatte? Er wirkte so unschuldig und hilflos, dass ich mir das so schlecht vorstellen konnte. Aber vielleicht sah das ja nach innen ganz anders aus?

Auch die Vorstellung, dass Harry noch eine sechste Persönlichkeit beherbergen könnte, faszinierte mich. Wie könnte man soetwas herausfinden? Ob Harry davon wohl weiß? Als Primärpersönlichkeit hat Harry ja wahrscheinlich gar keine Ahnung davon. Vielleicht wusste Haz Bescheid?

Ich musste ihn unbedingt fragen, wenn ich ihn das nächste Mal sehen würd- Moment.

Plötzlich fiel mir wieder die Situation ein, in der Haz den Bluttropfen gesehen hatte. Meine Ausrede hatte er mir nicht geglaubt - was, wenn er nicht locker ließ und wieder darüber reden wollen würde? Ich musste mir dringend eine bessere Erklärung einfallen lassen. Ansonsten würde er sich bestimmt an Liam wenden. Wer weiß, was mir dann blühen würde.

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