Epilog

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»Das ich ... glaube ich ... sehe!«, Amanda lachte laut und einige Passanten an dem Bahnsteig drehten sich erschrocken zu ihr um. Ich stand mit einigen Klassenkameradinnen am Münchner Hauptbahnhof und in wenigem Minuten würden wir mit dem Zug zum größten Handballturnier des Landes fahren, das jedes Jahr kurz vor den Pfingstferien stattfindet. Na ja, zumindest das Größte unter den Schulen für Hörgeschädigte und ich hatte die große Ehre, seit der fünften Klasse meine Schule zu vertreten. Allerdings hatte ich die Nacht zuvor bei Dominik verbracht und dummerweise meine Sportschuhe in seinem Zimmer liegen lassen. Ich hätte ein klitzekleines Problemchen gehabt, wenn Dominik nicht in diesen Minuten auftauchte, um sie mir zu bringen. 

»Miriam! Ich habe... Typen einmal gesehen und kenne ihn... besser...du! Diese Sorte Kerl... niemals quer durch die Stadt schlängeln nur...vergesslichen Perle Sportschuhe, ich betone Sportschuhe...bringen!« In der Tat. Amanda hatte Dominik wirklich nur ein einziges Mal getroffen und zwar auf unserer Weihnachtsfeier der Schule. Sie mochte ihn nicht, aber das beruhte glücklicherweise auf Gegenseitigkeit, was wohl an erster Stelle daran lag, dass sie für verschieden Fußballmannschaften schwärmten. So ein Pech aber auch...

»Du...bescheuert, Dominik mit Manuel auf eine Stufe zu stellen...keine faire Art!«, gab Carolin empört ihren Senf dazu und fuchtelte wie wild vor meinem Gesicht herum. Frederiks Einfluss in den letzten Monaten hatte sich stark bemerkbar gemacht, denn aus meiner einst schüchternen, süßen Freundin war ein selbstbewusstes, lockeres Mädchen geworden, das mittlerweile auch gar keine Probleme mehr damit hatte, einmal einen Fehler bei der Aussprache zu machen. Manuel, der sich zu uns gesellt hatte, bot uns an, unsere Sporttaschen abzunehmen um sie im Zug zu vertauen und ich überreichte sie ihm dankbar. Als er sah, um welches heikle Thema es ging, warf er mir einen genervten Blick zu und verschwand in dem Zug - ich war ihm wirklich dankbar, dass er sich nicht auch noch eingemischt hatte. 

»Ich wette mit dir um 20 Mäuse...Dominik kommt!«

»Carolin!«, jetzt reichte es mir aber. »Seit wann benutzt du Umgangssprache?« Diese zuckte allerdings nur mit den Schultern und Amanda ging bereitwillig auf das Angebot ein. Manchmal hasste ich meine beiden besten Freundinnen für solche Aktionen. 

Eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht streichend, wendete ich mich von den beiden ab und ließ mir lächelnd die warme Sonne ins Gesicht scheinen. Mein Lächeln wurde noch breiter, als ich meinen Freund erkannte, der mit suchendem Blick auf Gleis 24 herumirrte. Auch er schien mich gesehen zu haben, denn er steuerte geradewegs auf mich zu. Hinter mir bemerkte ich, wie Carolin zufrieden grinsend das Geld von Carolin einkassierte, doch die Tatsache, dass Dominik wirklich hergekommen war, lenkte mich in diesem Moment ab. Ich rannte ihm ein paar Schritte entgegen und schlang meine Arme um ihn. "Danke, danke, danke!", bei jedem 'danke' drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange, was ihn etwas peinlich berührt zur Seite sehen ließ. "Ja, ja, is' schon gut, hier sind sie", er reichte mir meine schwarzen Nikes und nickte über meine Schulter hinweg. "Darf ich fragen, warum Wachmopp Carolin Geld gibt?" Ich musste über die Bezeichnung meiner Freundin kichern, denn das war weiß Gott der netteste Spitzname, den er für sie übrig hatte. "Sie haben darum gewettet, ob du wirklich kommst oder nicht." Sofort zierte sein Gesicht ein schadenfrohes Grinsen und ich wusste, dass er sich freute, dass Amanda Geld verlor. "Hol dir die Kohle, sie gehört mir!"

Daraufhin verpasste ich ihm einen leichten Rippenstoß. "Männer!" Lächelnd griff er nach meiner Hand und begleitete mich bis zum Zug. Dort angekommen scheuchte uns Herr Clausen, der als zweite Aufsichtsperson mitfuhr, in den Zug. Dabei bemerkte ich, wie er Dominik einen kurzen Blick zuwarf und ich bildete mir sogar ein, dass sich kurzzeitig ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen schlich. 

"Also, ich muss dann mal los.", ich wollte gerade hinter Carolin in den Zug steigen, als Dominik mich am Arm fasste und mich zurückzog, um mir einen leidenschaftlichen Abschiedskuss zu geben. Jedes Mal überraschte er mich mit seiner stürmischen, besitzergreifenden Art, mit der er mich in einen Kuss

verwickelte. Das hieß natürlich nicht, dass ich sie nicht begrüßte - ganz im Gegenteil, ich liebte sie. "Komm mir ja nicht ohne Pokal wieder.", sagte Dominik und ließ mich, wenn auch etwas widerwillig, in den Zug steigen. Kaum war ich im Abteil angekommen, suchte ich nach Carolin, Manuel und Amanda, die mir versprochen hatten, einen Platz frei zu halten und kaum hatte ich sie gefunden, wurden die Türen des Zugs geschlossen. Natürlich war mein Platz am Fenster, sodass ich Dominik hinterherwinken konnte, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. 

Angestrengt versuchte ich das Fenster des alten REs aufzuklappen, doch - was hatte ich anderes erwartet? - es klemmte. Dominik, der sich köstlichst über mein verbissenes Gesicht amüsieren zu schien, grinste mir von draußen entgegen. "Verdammt!", schimpfte ich. Dabei wollte ich ihm doch sagen, dass er mich am Sonntag vom Bahnhof abholen sollte! Dann müsste ich dies wohl über die neumodischere Art und Weise tun und ihm eine SMS zukommen lassen. 

Ich fischte also mein heißgeliebtes Spielzeug aus meiner Hosentasche und zeigte darauf, damit Dominik wusste, dass ich ihm jeden Moment eine Nachricht schreiben würde, allerdings reagierte mein Freund nicht, sondern starrte mich nur an. Ich stutzte und winkte ihm lächelnd zu, doch er reagierte nicht darauf. Was war denn jetzt los mit ihm? Warum sah er mich auf einmal so ernst an? 

Plötzlich zuckte Dominik zusammen und ich schlussfolgerte daraus, dass der Schaffner gepfiffen hatte. 

Aber dann geschah etwas, womit ich nie im Leben gerechnet hatte und was ich niemals vergessen würde. Langsam und unsicher hob Dominik seine Hände. Zuerst wusste ich nicht, was er damit bezwecken wollte, doch dann erkannte ich die Zeichen, die er versuchte zu formen. Es war das allererste Mal, dass Dominik die Gebärdensprache vor meinen Augen gebrauchte. An seinem Blick sah ich, dass es ihm unangenehm war, vor meinen Freunden, die ihn wachsam beobachteten, zu zeigen, was er mir nicht sagen konnte. 

Der Zug setzte sich mit einem Quietschen langsam in Bewegung und er verschwand aus meinem Blickfeld. Vollkommen neben der Spur starrte ich noch immer aus dem Fenster, als würde Dominik noch immer dort stehen. Erst als Amanda mir spielerisch in die Seite piekte und ich erschrocken zusammenfuhr, wurde mir bewusst, dass Dominik die Angst, die ihn oft unsicher wirken ließ hinter sich gelassen hatte. 

Noch vor einigen Wochen hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass irgendwann einmal der Tag kommen würde, an dem mir ein hörender Junge in meiner Sprache das sagen würde, was sich zig tausende Liebespaare täglich ins Ohr hauchten. Dominik hatte seine Gefühle mir gegenüber immer in Gesten ausgedrückt, Worte waren seiner Meinung vergänglich. Jedoch schien er heute seine Meinung geändert zu haben und augenblicklich breitete sich ein wohliges Gefühl in mir aus. Augenblicklich wurde mir klar, dass es sich genau so anfühlen musste, wenn man das größte Glück gefunden hatte, das man sich nur wünschen konnte. 

Diese drei kleinen Zeichen, die für manch einen sinnloses Rumgefuchtel darstellte, waren für mich dieselben Worte, die sich hundert andere Menschen täglich ins Ohr flüsterten. Der kleine, aber deutliche Unterschied bestand lediglich darin, dass Dominik nicht mit den Lippen flüsterte, sondern mit seinen Händen. Ganz still und zaghaft hatten mich diese drei kleinen Worte durch die Glasscheibe erreicht. Eine Wand, die zuerst unsere Grenze symbolisierte und schließlich mit vereinter Kraft eingerissen worden war. 

»Ich liebe dich.« 

~ THE END ~ 

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So. Das wars.

Wenn das hier überhaupt jemals jemand liest: danke fürs lesen! ;D 

zeitvorhang

Wenn Worte keine Bedeutung habenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt