Teil 6

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Wir nähern uns langsam aber sicher dem Ende der Geschichte :) 

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Ich schwieg dazu, doch innerlich gab ich ihm Recht. Im Nachhinein betrachtet gab es wirklich genug Dinge, die mich hätten auffliegen lassen können, doch Dominik hatte nie etwas bemerkt. "Du solltest es ja auch nicht merken.", gab ich mit einem schwachen Lächeln zu.

"Dominik,... warum hast du so heftig darauf reagiert, als du gesehen hast, dass ich Hörgeräte trage?", ich konnte nicht anders, ich MUSSTE es einfach wissen! 

"Ich will dich nicht verletzen, Miriam... okay, hab ich ja eh schon, aber in dem Moment, als mir klar wurde, dass du anders bist als ich, es war als würde ich dich nicht kennen. Auf einmal war da eine Grenze zwischen uns."  Ich schluckte leicht, denn er meinte genau die Grenze, die ich mein ganzes Leben schon vor Augen hatte. Die Grenze, die mich daran gehindert hatte, ehrlich zu Dominik zu sein.

"Irgendwie hatte ich Angst." 

Es waren die gleichen Worte wie bei Herr Clausen und doch hatten sie für mich dieses Mal eine ganz andere Bedeutung. Eine viel tiefere, wichtigere Bedeutung. Ich hob den Kopf und suchte seinen Blick. "Willst du gegen diese Angst ankämpfen?", meine Stimme klang sehr viel leiser, als ich es beabsichtigt hatte, doch Dominik, der mittlerweile kaum mehr als zwei Schritte von mir entfernt stand, hatte mich aus der Fassung gebracht. Stand er nicht vorhin noch mindestens drei Meter von mir entfernt? Aber das war nun nicht mehr von Bedeutung. Ich konnte die Tiefe seiner Augen sehen, als wäre viel mehr dahinter als Nerven, atmete seinen unverkennbaren Duft ein und musste den Impuls unterdrücken, mit meiner Hand über seine verletzte Wange zu streichen. "Ja", sein Atem streifte nun mein Gesicht, er war noch näher an mich herangetreten. "Aber ich möchte, dass du mir dabei hilfst...", die Worte waren so leise, dass ich sie kaum verstanden hatte, aber allein das Gefühl, Dominik endlich wieder nahe zu sein hätte gereicht, um mir klarzumachen, welchen Sieg wir gerade errungen hatten. Es war der Sieg gegen Dominiks Angst und ich glaubte fest daran, wenn er er jetzt wirklich wollte, und die andere Seite an mir wirklich eines Tages akzeptieren konnte, dann konnten die anfänglichen Gefühle, die sich in den letzten Wochen zwischen uns entwickelt hatten, an Tiefe gewinnen, die uns beiden noch vollkommen fremd war. 

Ich spürte, wie Dominiks raue Hand meine berührte. Zärtlich strichen seine Fingerspitzen zuerst über meine Handoberfläche, so, als ob sie ein bisher unberührtes Land erkunden würden. Diese eine zärtliche Geste ließ mich lächeln. Wie sehr hatte ich mich in den letzten Wochen nach seiner Nähe gesehnt? Die Antwort war einfach: viel zu sehr. Ich bemerkte, dass sich nun auch seine andere eingebundene Hand sanft um meine schloss und blickte direkt in sein wunderschönes Gesicht. Die Verletzungen taten seiner unglaublichen Ausstrahlung keinen Abbruch und ein einziger Blick in seine fast schwarzen Augen genügte, um meine Knie weich werden zu lassen. 

Dominik lächelte, als er bemerkte, dass nicht nur er auf unsere verhakten Hände gestarrt und nun sein Gesicht gemustert hatte. 

"Vielleicht sollten wir aufhören, einander anzustarren.", grinste ich und der Vorschlag schien meinem Gegenüber zu gefallen, denn Dominiks Gesicht näherte sich meinem. Vorsichtig , fast schon zögernd legten sich seine Lippen auf die meinen. Für meine Verhältnisse waren sie unnatürlich warm und ich schmeckte unwillkürlich den Geschmack von Pfefferminztee. Erneut musste ich grinsen und löste mich aus dem Kuss, auch wenn ich spürte, dass er eigentlich vorgehabt hatte, ihn zu vertiefen.

"Dominik?", säuselte ich lieblich, woraufhin er ein grummelndes Geräusch von sich gab. "Könntest du in Zukunft vielleicht Früchtetee trinken?" Er lachte sein unwiderstehliches Lachen und lehnte seine Stirn an meine. "Machen wir einen Kompromiss: ich trinke Hagebuttentee und du hörst auf, diese ekelhaften Erdbeerkaugummis zu kauen." Kritisch hob ich meine Augenbrauen an und wollte gerade Einspruch einlegen, doch Dominik legte ohne ein weiteres Wort zu dulden erneut seine Lippen auf die meinen.

Na gut, setzte ich in Gedanken dazu, ich verzichtete auf Erdbeerkaugummi, aber Kirsche dürfte ja dann wohl erlaubt sein. 

"Spielst du etwa Klavier?", ich konnte es nicht fassen, als ich das Musikinstrument neben dem Bett stehen sah; es war mir gar nicht aufgefallen, als ich das Zimmer betreten hatte. Wir hatten es uns auf ebendiesem superbequemen Bett gemütlich gemacht und Dominik schloss die Augen. "Ja, ein bisschen. Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich irgendwas musikalisches mache.", er schien es nicht sonderlich zu mögen, auf den weißen Tasten herumzuhauen. Doch das war mir in diesem Moment herzlichst egal. "Kannst du ein Stück mit tiefen Tönen spielen?", wollte ich begierig wissen und er nickte zögerlich. Ich war so davon begeistert, dass ich sofort aufsprang und Dominik an seiner unverletzten Hand aus dem Bett hochzog. "Aber wehe du lachst!", warnte er mich und schenkte mir einen - gespielt - ärgerlichen Blick und setzte sich auf den Klavierhocker. Ich versicherte, dass kein Laut der Belustigung über meine Lippen kommen würde und Dominik setzte misstrauisch mit geschlossenen Augen zum ersten Akkord an. 

Ich in der Zeit hatte es mir auf dem Bett bequem gemacht und lauschte den tiefen Tönen, die klangen, als würde er nicht jede Taste einzeln drücken, sondern so, als ob das Stück von einem Band abgespielt wurde. Trotz seiner Verletzung an der Hand, spielte er ohne Unterbrechung oder abgehackte Töne. Ich war nie ein großartiger Fan von solcher Musik gewesen, doch als ich begriff, welches Bild sich mir bot, wurde ich von dem Moment eingefangen und gefesselt. Es gab kein Wort auf dieser Welt, das diesen zauberhaften Augenblick beschreiben könnte. Es war wundervoll, unbeschreiblich und ich konnte nicht anders als gebannt auf die Finger von Dominik zu starren, die wie als wäre es das Normalste dieser Welt über die weißen Tasten schwebten. 

Ohne zu zögern griff ich in meine Tasche, in der sich zu meinem Glück noch meine Kamera befand. Ein Blick durch den Sucher, die Lichtverhältnisse eingeschätzt und ein wenig gezoomt - so entstand mein Bild, das ich zu dem Fotowettbewerb schickte. 

Ich hielt den einmaligen Moment fest, in dem Liebe und Musik zu Einem verschmolzen und war acht Wochen später stolze Drittplatzierte des Wettbewerbs. 

Wenn Worte keine Bedeutung habenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt