Teil 5

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Wie lange stand Dominik schon da und beobachtete mich? Mit unablässigem Blick hatte er jede meiner Bewegungen mit seinen dunklen Augen verfolgt und sein fassungsloses Gesicht verwandelte sich langsam in eine eiskalte Maske. Meine Glieder durchzuckten einzelne Stromschläge, bis ich endlich wieder dazu in der Lage war, etwas zu sagen: "D-Dominik...", stammelte ich und rankte nach weiteren Worten. "Was... was für ein Zufall, dich hier zu treffen! Machst du Weihnachtseinkäufe?", etwas besseres war mir nicht eingefallen und zu spät merkte ich, wie dumm mein Gefasel eigentlich klang. 

"Spar dir die Scheiße!" 

Seine harten, kränkenden Worte waren wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht und verzweifelt stellte ich fest, dass er einen Schritt zurückgegangen war und mich mit einer herablassenden Miene betrachtete. Solch einen niederschmetternden Blick hatte ich noch nie an ihm gesehen und seine strahlenden Augen, in die ich mich verliebt hatte, betrachteten mich mit Abscheu. 

"I-ich kann dir das alles erklären, bitte, Dominik... können wir nicht in Ruhe-", ich versuchte ihn an der Schulter zu fassen, doch er schlug angewidert meine Hand weg. "Reden?!", spuckte er mir entgegen. "Worüber willst du mit mir reden? Dass du eine taubstumme Schlampe bist wie deine zwei Spastifreunde auch?!" 

WUMM! Das hatte gesessen. 

Es war, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich konnte förmlich spüren, wie mein Herz erst schneller anfing zu pochen und dann ein paar Takte aussetzte, ehe es auf den Boden fiel und dort endgültig zerbrach. 

Fassungslos starrte ich mein Gegenüber an, der mich mit einem herausforderndem, verbitternden Blick versah. In diesem Moment tat ich das, was ich die ganze Zeit schon hätte tun sollen. Wie hatte mich dieser Typ die ganze Zeit nur so blind sein lassen, dass ich die Realität vergaß?! 

Ich hatte mein geordnetes Leben für diesen Mistkerl in den Wind geschossen, obwohl ich die ganze Zeit gewusst hatte, dass es irgendwann so weit kommen würde. Ich hatte die ganze Zeit gewusst, dass er mit der Wahrheit nicht umgehen konnte und mir solch verletzende Worte entgegen werfen würde - und trotzdem war ich immer tiefer in die Einbahnstraße gerannt!

Es war egal, wie verzweifelt ich auch versuchen würde, mich anzupassen - die Mauer würde immer da sein. Es war egal, wie oft ich mich selbst verleugnen würde, niemals würde ich es alleine schaffen, die Mauer zwischen Dominik und mir einreißen zu können. 

Alleine war ich aufgeschmissen. 

Aber der Fehler lag nicht bei mir und meinen Hörgeräten, sondern einzig und alleine bei Dominik, denn solange er nicht auch nur nach einem einzigen Mauersteinchen griff, so lange würde ich verzweifelt alleine und vorallem umsonst kämpfen. 

Meine Hand schnellte nach vorne und ehe ich realisierte, was ich tat, war meine Hand auch schon an seiner Wange angetroffen. Tränen der ohnmächtigen Wut und der unendlichen Verzweiflung stiegen in mir hoch und ließen mich vergessen, dass wir uns in der Öffentlichkeit befanden; aber es war mir verdammt noch mal egal - sollte doch alle Welt wissen, was für ein Arschloch dieser Kerl war und was er mir angetan hatte! 

Noch nie in meinem bisherigen Leben hatte ich mich so schlecht gefühlt, so verdammt erniedrigt und gedemütigt. Und das alleine wegen dieser Person, die mich vor Liebe hat blind werden lassen.

"Was bildest du dir eigentlich ein?", zwischte ich ihm leise, meine angestaute Wut unterdrückend, entgegen und funkelte ihn mit meinen tränenüberfluteten Augen so gut es ging wütend an. "WAS BILDEST DU DIR EIGENTLICH EIN, DU IGNORANTES ARSCHLOCH?!?!", meine Stimme überschlug sich, ich war vollkommen in Rage. Einige sensationsgeile Passanten blieben überrascht stehen, um sich das ihnen gebotene Spektakel in der Münchner Innenstadt genauer zu betrachten - ich meine, sowas sieht man ja auch nicht alle Tage. Doch Dominik ließ mein Wutausbruch anscheinend völlig kalt, denn er schaute mich noch immer ungeniert angewidert an, als wäre ich seiner nicht würdig und ein Häufchen Dreck. "Was denn?", fragte er gehässig. "Kannst du es etwa plötzlich nicht mehr ertragen, wenn dir jemand die Wahrheit sagt? Ich dachte du findest es gut, wenn man offen und ehrlich zueinander ist.", seine Stimme triefte nur so von Sarkasmus und genau das brachte mich nur noch mehr auf die Palme. 

Wenn Worte keine Bedeutung habenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt