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Kian
Ich ritt auf meinem schwarzen Hengst durch die Stadt. Mein Gefolge hatte ich im Palast gelassen und nur meine Leibwächter mitgenommen. Ich ritt durch den Markt und alle verbeugten sich wie auf ein Zeichen. "Erhebt euch! Ich habe nichts zu verkünden", befehle ich in die eingetretene Stille. Langsam trat der Marktlärm wieder ein und wir ritten weiter durch die Strassen gefolgt von den neugierigen Blicken der Einwohner. Es war ein ständiges Treiben: Händler prisen ihre Waren an, Esel wiehrten und Kamele wankten als Karavanen durch die Gassen. Ich war froh um meinen Hengst, da ich mich durch ihn nicht durchs Gedrängel schieben musste. Ich müsste mich zwar nie, im Hinblick, dass ich der einzige Prinz von Malem bin, durch die Menge kämpfen. Da mein Hengst aber noch eher jung und unerfahren war, fing er schon wieder an zu tänzeln und zucken. Ich versuchte ihn zu beruhigen, aber ich spürte wie sich seine Muskeln unter meinem Sattel immer wieder anspannten. In meinem Augenwinkel sah ich plötzlich ein ruckartiges Aufblitzen und mein nervöser Rappe Shiran erschrak und machte einen Satz nach vorne. Von seiner Angst getrieben preschte er drauf los.

Ich war trotz all den Anzeichen etwas unvorbereitet und musste erst mein Gleichgewicht wiederfinden. Als ich mich gefangen hatte, versuchte ich Shiran zu verlangsamen indem ich an den Zügeln zog. Das schien ihn aber nur noch seine Angst zu schüren. Langsam bekam auch ich es mit der Panik zu tun, denn meine Leibwächter hatte mein Hengst abgehängt und wir rasten auf das Stadttor zu. Sobald ich ausserhalb des Stadttores war, lief ich in Gefahr zu verschollen und verdursten: Dort liegt eine riesige Wüste. Panisch riss ich an den Zügeln, doch Shiran schüttelte widerspenstig nur den Schaum von seinem Maul. Kurz vor dem Tor sah ich eine verhüllte Gestalt und hatte Angst, dass mein Hengst sie unter seinen Hufen zermahlen würde. "Vorsicht!", schrie ich ihr entgegen, aber die Gestalt bewegte sich kein Stück auf die Seite. Ich war nur noch wenig Meter vor ihr entfernt, als ich wie in eine Blase eintrat, die von Ruhe durchflutet wurde. Auch Shiran beruhigte sich augenblicklich und fiel in den Schritt zurück, bis auch er zitternd und schnaufend zu stehen kam.

Erst jetzt bemerkte ich wieder die weibliche Gestalt in der Niquab und auch sie verstand plötzlich, wer vor ihr stand und fiel in die Knie. "Erhebe dich!", befahl ich," Und verrate, mir wer du bist!" Langsam stand sie auf und hielt den Blick demütig gesenkt. Sie antwortete nicht auf meine Frage, weshalb ich sie noch einmal stellte. Wieder folgte Schweigen und langsam ärgerte ich mich und befahl: "Zeig mir dein Gesicht!" Zögernd hob sie ihren Kopf, doch sehen konnte ich wegen ihren Tüchern nur die Augen.

Ihre Augen. Sie waren speziell, nicht so braun wie die Augen aller andern Frauen in Malem. Nein, ihre Augen waren umrandet mit grünen Sprenkeln und von einem viel helleren Braun. Im ersten Moment war ich perplex, bis mir wieder einfiel, dass sie mir noch immer nicht geantwortet hatte. Doch ihre Augen, die mich erwartungsvoll und leicht misstrauisch ansahen, liessen meinen Ärger verrauchen. Also fragte ich sanft: "Wo wohnst du?" Sie bedeutete mir schweigend ihr zu folgen. Ich sah mich erst nach meiner Leibgarde um. Zu ihr sagte ich: "Ich muss noch auf meine Leibwächter warten." Sie nickte. Taub war sie also nicht.

Nach einer schweigenden Weile sah ich Sunil, den Anführer der Leibgarde auf uns zu galoppiern. Verwirrt sah er zwischen mir und dem Mädchen hin und her. "Mein Prinz, wir sollten zurück in den Palast. Euer Vater, der König, macht sich bestimmt Sorgen."
"Erst muss ich mich bei meiner Helferin bedanken. Sie hat es geschafft meinen jungen Shiran zu beruhigen", antwortete ich und klopfte meinem verschwitzten Hengst den Hals. "Und da sie schweigt, muss ich mich bei ihrem Vater bedanken." Bei diesen Worten zuckte sie zusammen, aber macht keine Anstalten zu fliehen. Also bedeutete ich ihr, trotz des skeptischen Blickes von Sunil, uns den Weg zu zeigen. Sie lief eilig und mit gesenktem Kopf los, während wir ihr auf unseren Pferden folgten. Wir ritten in ein ärmeres Viertel der Händler und machten vor einem Blockhaus aus Lehm halt. "Wohnst du alleine hier?", fragte Sunil. Sie schüttelte den Kopf. Sunil wendete sich zu mir und raunte: "Wir wissen nichts über dieses Mädchen. Ich traue ihr nicht ganz....".

Ich liess meinen Leibwächter reden und gab dem Mädchen ein Zeichen zu klopfen.
Sie drehte sich um und es schien als würde sie ein Klopfmuster machen. Nur ganz kurz, aber dennoch konnte man einen leichten Unterschied merken. "Ich komme!", erklang es aus dem Innern des Hauses. Die Tür wurde schwungvoll geöffnet und der kleinere, rundliche Mann erstarrte in der Bewegung. Er trug die Kleider eines Händlers. Sein freundliches Gesicht wurde von dunklen, zerzausten Locken umrandet, die auch wieder eine Waschschüssel sehen sollten. Völlig überrascht stand er im Türrahmen."Eu..Eure Hoheit!", stotterte er und fiel vor mir und meinem Leibwächter auf die Knie. Auch das Mädchen verbeugte sich. Ob das wohl ihr Vater ist? , dachte ich. "Wie komme ich zu der Ehre, euch begrüssen zu dürfen?", riss mich der Handelsmann ängstlich aus meinen Gedanken, "Hat Amira etwas angestellt?"
"Amira heisst sie also. Ein schöner Name", rutschte es mir aus meinem Mund. "Nein, ihre Tochter " -wieder ein Zucken aus Amiras Richtung- "hat nichts getan", fügte ich schnell hinzu. "Im Gegenteil: Sie hat meinen jungen Hengst hier soweit beruhigt, dass ich nicht mehr in Gefahr schwebte, mitten in die Wüste zu reiten. Aber bitte erhebt euch."

Nach einem erstaunten Blick bat uns der Händler in sein Haus. "Entschuldigt, ich habe uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Yaver und das ist Amira. Also glaube ich zumindest..." An das Mädchen gewandt sagte er: "Setz uns doch bitte einen Tee auf." Leise ging sie mit einem kurzen Nicken an mir vorbei in das Haus hinein und verschwand im Halbdunkel. Yaver bat auch uns herein. Ich stieg mit Sunil von dem Pferd ab. Wir liessen die Tiere beim Rest der Leibgarde und folgten dem Händler ins Innere des Baus.

Meine Augen mussten sich erst an das schummerige Licht gewöhnen und ich konnte einen niedrigen Tisch erkennen. Im hinteren Teil des Raumes befand sich eine Treppe und eine Türe die wahrscheinlich in die Küche führte. Ich ging mit entschlossenen Schritten auf den Tisch zu und setzte mich. Meine Neugier meldete sich und so fragte ich: "Ihr sagtet, ihr wüsstet nicht genau, wie eure Tochter heisst..."

"Oh, bitte entschuldigt. Sie ist nicht meine Tochter. Sie ist vor ungefähr einem Mond zu mir gekommen und hatte einen Brief bei sich. Dort drin stand: 'Bitte sorge gut um Amira und....' Das Amira konnte ich noch knapp entziffern, aber das zweite....", erklärt er mir.
Ich war erstaunt und hakte nach: "Habt ihr den Brief noch?"
"Aber sicher. Ich gehe in holen." Mit diesen Worten lief er eilig die Treppe hoch.
"Ich traue weder ihr noch ihm ganz. Er könnte eine Waffe holen gehen und euch töten!", zischte Sunil mir zu. Ich tat seine Worte mit einem Kopfschütteln ab und wartete auf Yaver und den Brief. Mittlerweile war auch der Tee fertig und Amira kam mit den Tassen herein. Mit gesenktem Kopf goss sie den Tee ein und verschwand wieder. Im selben Moment stürmte Yaver mit dem Brief in der Hand herein. Sunil hatte schon die Hand an seinem Schwert, als er erkannte, dass mir keine Gefahr drohte. In meinem Augenwinkel sehe ich auch, dass sich AMiras Haltung auch wieder etwas entspannte, als hätte sie jemanden verteidigen wollen. Doch ich tat diesen Gedanken ab und widmete mich dem Brief in Yavers Hand.

Ihre AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt