Kapitel 1

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„Was soll der Scheiß eigentlich? Kann mir das mal bitte jemand erklären?" Die wütende Stimme von Mr. Parker zerreißt das schwere Schweigen im Raum. Ich sehe mich um und mein Blick begegnet dem von Alex. Seine Augen sind vollkommen ausdruckslos und bohren sich in meine. Um seine Lippen spielt etwas, aber angesichts der Situation kann ich mir kaum vorstellen, dass es ein Grinsen ist. Bevor sich mein Mund zu einer Art aufmunterndes Lächeln verzieht, wende ich den Blick ab und lande bei Loe. Ihre zarte Gestalt sitzt zusammen gekauert auf der Couch und lässt den Wutausbruch ihres Vaters über sich ergehen. So niedergeschlagen und aufgelöst habe ich sie in all den Jahren, die wir uns schon kennen, nicht gesehen. Aus der Küche dringt das vertraute Geräusch von klapperndem Geschirr. In der Luft hängt noch der köstliche Geruch, des vergangenen Essens und macht das Szenario noch unwirklicher als es ohne hin schon ist. Niemals hatte ich daran gedacht, dass ich einmal bei meiner besten Freundin säße und zusehen muss, wie sie durch das Gebrüll ihres Vaters immer mehr in sich zusammen sinkt und keinen Ton sagt. Ihr Gesicht ist zum Teil von ihren Haaren bedeckt, aber ich kann durch die einzelnen Strähnen erkennen, dass ihr Tränen über die Wangen laufen. Ihre Hände liegen verkrampft in ihrem Schoß und bei jedem Wort, das ihr Vater hervor presst, verknoten sie sich mehr. Mir ist klar, dass ich ihr helfen muss. Ich kann nicht einfach dabei zusehen, wie ihr Vater ihr Dinge an den Kopf wirft für die sie keine Schuld trägt.

„Wie, um alles in der Welt, habt ihr euch das vorgestellt? Was bitte sollen eine dumme kleine Schülerin und ein Studienabbrecher bewirken? Wolltet ihr das wirklich hinter meinem Rücken machen? Ich glaub nicht, dass meine eigenen Kinder so dumm sind." Er schüttelt fassungslos den Kopf. Wut kocht in mir hoch. Es gibt einen Unterschied zwischen wütend auf jemanden sein und jemanden hemmungslos beleidigen, ohne jeden Grund. Und ich bin mir vollkommen sicher, dass diese Grenze schon längst überschritten ist. Das Schweigen ist zum Zerschneiden und ich kann nicht länger still da sitzen und so tun als sei dieser Augenblick nicht dermaßen absurd. Doch zu meinem Glück kommt Alex mir zuvor.

„Dad, es reicht."

Er bleibt ruhig sitzen, als sein Vater sich tonlos umdreht und ihn mit funkelndem Blick anstarrt. Zu meinem Entsetzten breitet sich doch ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht aus. Ich schnappe hörbar nach Luft und kann nicht glauben, dass er seinem Vater gerade in dieser Situation die Stirn bieten muss.

„Du hast mir nicht zu sagen, wann es reicht. Du hast überhaupt nicht das Recht hier irgendwas zu sagen. Du, –" er weist drohend mit dem Finger in seine Richtung. „du hast mit der ganzen Sache nichts zu tun, also verschwinde." Sein Gesicht glüht vor Wut und der Finger macht seine Erscheinung noch machtvoller als ich es je gesehen habe. Jetzt ist der Punkt gekommen an dem ich die Flucht ergriffen hätte. Doch Alex bleibt ganz entspannt sitzen und überschlägt lediglich die Beine. Seinen Arm legt er auf die Lehne und sieht lächelnd in die Runde. Ich bewundere seinen Mut. Er reagiert absolut nicht auf das wutverzehrte Gesicht seines Vaters, welches von Sekunde zu Sekunde roter wird, bis man ihn mit einer Tomate verwechseln kann. Ich sehe panisch zu Loe, doch die hat die Hände vor ihr Gesicht geschlagen und weint bitterlich. In mir breitet sich das Gefühl aus sie trösten zu müssen, doch ich bin wie versteinert. Die Anspannung im ganzen Haus erdrückt mich und lässt nicht zu, dass ich mich auch nur einen Millimeter bewege. Das Atmen fällt mir schwerer als sonst und ich starre panisch auf die Auseinandersetzung. Alexs provokantes Grinsen wird noch breiter. Mr. Parker hebt die Hand in die Höhe und macht sich auf den Schlag bereit.

„Komm doch her und schlag mich." Alex springt auf und stellt sich dicht vor seinen Vater. Zwischen ihnen ist kaum noch ein halber Meter.

„Schlag doch zu. Auf was wartest du?" Ich sehe gebannt zu, wie der Bruder meiner besten Freundin seinem Vater wütend anknurrt und ihm einladend die Wange hinhält. Ich kann nicht fassen, dass ich im Augenblick hier auf der Couch sitze und zusehen muss, wie die Familie meiner Freundin in Schutt und Asche zerfällt, anstatt zuhause in meinem Bett zu liegen. Wie konnte es nur soweit kommen? Was musste passieren, dass ein Mann bereit ist seinen eigenen Sohn zu schlagen? Ich kann das Zögern in seinen Augen sehen, während er die Hand langsam wieder sinken lässt.

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⏰ Last updated: Nov 20, 2015 ⏰

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Sakura rain - Das VersprechenWhere stories live. Discover now