Kapitel 14

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Ich bin zurück zur Irina669 gegangen, nachdem Mika verschwunden ist. Wohin auch sonst, ich habe ja hier sonst nichts, dass ich auch nur annähernd ein Zuhause nennen könnte. Ich erblicke den Professor schon von weitem, er scheint jedoch zu vertieft zu sein, um mich zu sehen. Er sitzt vor der Rakete auf einem provisorischen Stuhl und ist tief über seinen portablen Monitor gebeugt.

„Morgen, Professor."

„Oh, Luke. Ich habe dich gar nicht bemerkt. Sieh mal", sagt er und hält mir den Bildschirm unter die Nase. „Ich habe anhand unserer gründlichen Geländeuntersuchungen eine geographische Oberflächenkarte der näheren Umgebung erstellt. Es fühlt sich gut an, etwas in den Händen zu halten, das beweist, dass wir nicht völlig umsonst hierhergekommen sind."

„Das sind wir nicht Professor." Ein müdes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht.

„Ich habe das Gefühl, dir ein Versprechen zu schulden. Nur wegen mir bist du überhaupt hier und ich würde nichts lieber, als dir zu versichern, dass das alles Sinn ergibt und alles gut wird, aber möglicherweise könnte ich kein Versprechen, das ich dir geben könnte, auch halten."

„Das macht nichts. Das müssen sie nicht. Ich bin froh, hier zu sein. Und ich bin mir auch so sicher, dass das alles einen Sinn macht."

„Ich hoffe, du behältst Recht. Mein Junge, wenn du eines auf gar keinen Fall verlieren darfst, dann deine Zuversicht. Die wird uns eines Tages noch retten."

„Es hat sich jedenfalls schon gelohnt, dass ich im Dorf war. Ich bin heute Abend eingeladen zu einem Treffen mit einem anderen Stammeshäuptling."

„Es gibt also noch mehr... Das hatte ich schon vermutet. Mehr Anführer, mehr Stämme, mehr Völker... Vielleicht völlig verschiedene Kulturen, so wie es auch auf der Erde vor einigen Jahrhunderten der Fall war. Das ist unheimlich faszinierend, muss ich gestehen."

„Kommen sie doch mit. Sie müssen auch mal raus aus dieser Zelle. Frische Luft schnappen."

„Vielleicht mische ich mich später unauffällig unter die Masse."

„Klingt nach einem guten Plan", sage ich und grinse. Es besteht absolut keine Chance, dass der Professor, ein stets gut rasierter, weißhaariger Mann in Uniform in einem Haufen dunkler, spärlich bekleideter Riesen mit langen Zöpfen nicht auffallen wird. Ich widerspreche ihm trotzdem nicht. Die Isolation scheint ihm nicht gut zu bekommen. Habe ich ihn zu lange allein gelassen? Nicht, dass er wie ein kleines Kind wäre, auf dass man aufpassen müsste. Er ist ein erwachsener Mann, mit wesentlich mehr Lebenserfahrung, als ich habe. Aber ich kann verstehen, wie er sich fühlt. Die Einsamkeit, die man spürt, wenn man seit wenigen Wochen auf einem fremden Planeten ist, hat nichts mit der bloßen An- und Abwesenheit von Menschen zu tun. Was fehlt ist ein Fundament, etwas Vertrautes. Heimat.

Es ist schon seltsam, denke ich, während ich in die Hygienezelle im hinteren Teil des Raumschiffs steige, dass ich auf einmal anfange, die Erde zu vermissen. Ich habe immer gedacht, mich würde absolut nichts dort halten. Ich habe immer davon geträumt, von dort wegzukommen. Aber jetzt, wo ich es geschafft habe, wo ich tatsächlich hier bin, in diesem Moment kann ich nicht länger verleugnen, dass ich mich getäuscht habe, als ich dachte, ich hätte keinerlei Verbindung zur Erde. Mir wird klar, dass ich mich getäuscht habe bei allem, was ich dachte, auch, als ich Mika gesagt habe, dass die Erde kein Ort ist, an dem man zuhause sein kann. Sicher war es kein schönes Zuhause, kein Ort der Geborgenheit, nicht mal einer, der irgendjemandem gefallen könnte. Aber für etwas mehr als achtzehn Jahre war es das Einzige, das ich kannte. Heimat ist nicht der Ort an sich, sondern die Erinnerungen, die ihn am Leben erhalten. Mein erstes Buch. Richie, der Fisch. Der Geruch der Schulbibliothek. Das eine Mal, als ich mich an meinem zwölften Geburtstag im Planetarium versteckt habe, um die ganze Nacht dort verbringen zu können. Schiefgegangene Experimente. Versengte Augenbrauen. Der nette Kerl aus der Buchhaltung, mit dem ich mich jeden Morgen am Kaffeeautomaten unterhalten habe. Verdammt, ich habe mich nie von ihm verabschiedet. Professor Abernathy. Er ist sogar mehr als eine dieser Erinnerungen. Er ist das letzte Stück Heimat, das ich noch habe.

Ich steige aus der Hygienezelle und hole eine neue Uniform aus dem Regal. Ich mustere mein Gesicht im Spiegel. Ich bin gespannt auf alles, was noch kommt, gleichzeitig habe ich Angst, dass irgendetwas schief geht. Aber der Professor hat Recht, ich darf alles, nur nicht meine Zuversicht verlieren. Selbst wenn wirklich alles schiefläuft, dann will ich wenigstens die Gewissheit haben, dass ich es versucht habe. Für die Mission.

Das Jahr NullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt