Kapitel 4

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Den Westflügel habe ich das letzte Mal an meinem ersten Tag am Institut betreten. Der Direktor persönlich hat alle neuen Studenten durch das Gebäude geführt und uns jeden Winkel gezeigt. Ich habe ganz vergessen, wie riesig er ist. Also, der Westflügel, nicht der Direktor.

Es handelt sich dabei um einen einzigen, monströsen Raum, so groß wie ein Fußballfeld. Im hinteren Teil erstreckten sich abgestufte Sitzreihen, wie im Kino. Alles in allem sieht es aber mehr nach Gerichtssaal, als nach Kino aus. Gut die Hälfte der Ränge ist schon voll mit Mitarbeitern des Instituts und es strömen immer mehr Menschen hinein.

Ich komme mir ein wenig albern vor in dem braunen Anzug, den der Professor mir geliehen hat. Er ist zu klein und gleichzeitig zu groß, weil der Professor zwar kleiner, aber auch breiter ist, als ich. Aber ich scheine nicht der Einzige zu sein, dem es so geht, viele sehen so aus, als hätten sie sich hastig das nächstbeste übergeworfen und wären hierher geeilt.

Wir setzen uns auf einen noch freien Platz und warten, bis die Konferenz beginnt. Sie war für sechs Uhr angekündigt, jetzt ist es kurz vor sieben. Zwischenzeitlich wurde durchgesagt, dass wir noch auf die Ankunft des Präsidenten warten müssen. Um halb acht ist es so weit. Ich kann den Anfang der Konferenz hören, bevor ich ihn sehen kann. Ein Raunen geht durch die Menge, als der Präsident erscheint, zusammen mit dem Direktor. Dieser wischt sich nochmal über die Stirn, sagt etwas zum Präsidenten und betritt dann das Podium.

„Es ist mir eine große Ehre, verkünden zu dürfen, dass meinem hervorragenden Team heute unter meiner Leitung ein Durchbruch gelungen ist, von dem man noch in Generationen..." Moment. MOOOMENT. Meinem hervorragenden Team unter meiner Leitung? Ich bin nun wirklich nicht der Typ, der unbedingt Bestätigung für sein Ego braucht, aber das geht wirklich zu weit. Wie dreist ist der denn bitte? Erst brüllt er mich an, glaubt mir nicht und jetzt will er die Lorbeeren für meine Entdeckung einheimsen, von der er erst gar nichts wissen wollte? Ich sehe entsetzt und auch ein bisschen wütend zum Professor, der mir mit einer Geste andeutet, dass ich ruhig bleiben soll.

„Gönn ihm den Ruhm. Den Preis holen wir uns später. Merk dir meine Worte." Ich verstehe noch nicht was er meint, nicke aber.

Ich versuche immernoch, die Wut runterzuschlucken, währenddessen berichtet vorne Direktor Grimsky schon seit einer halben Stunde von seiner großen Entdeckung, die alles verändern wird, von der Stunde der Not, der aktuellen Lage der Erde... bla bla bla. Nichts dabei, was man nicht auch schon vorher gewusst hätte. Dafür, dass er es vorher so eilig hatte, lässt er sich jetzt ganz schön Zeit. Dann wird es endlich konkret.

„Schon vor einiger Zeit vermuteten Astronome einen bislang unbekannten Himmelskörper beim nördlichen Dreieck, der unseren sensiblen Messinstrumenten nur deshalb entgehen konnte, weil er sich genau vor einem mehrere Lichtjahre entfernten Stern befindet und wir ihn in dessen Licht nicht sehen konnten. Es wurde die These aufgestellt, dass dieser Himmelskörper sich im gleichen Abstand zur Sonne befinden müsste, wie die Erde, und sich der unbekannte Planet deshalb als ein lebensfreundlicher erweisen könnte, falls es darauf Wasser gäbe." Okay, die Entdeckung ist wohl doch nicht allein mein Verdienst. Seiner aber auch nicht. „Leider konnte die Existenz dieses Planeten durch die angefertigten Aufnahmen nicht ausreichend bewiesen werden. Bis... zum heutigen Tag." Die Stimmung im Saal ist zum Zerreißen gespannt. Ein guter Zeitpunkt für dramatische Musik, wie ich finde. Aber der Tontechniker erhört meine Gedanken nicht. Es ist so gespenstisch still hier.

„Meine Damen und Herren, ich bin froh und stolz, ihnen mitteilen zu dürfen, dass uns hier und heute nun endlich der entscheidende Beleg erbracht wurde. Die zweite Erde existiert. Der Beweis erfolgte heute durch eine Kollision mit einem Asteroiden. Meine Damen und Herren, das kann man wohl nur als Schicksal bezeichnen. Dank der Brillanz meines Teams, das uns diese Entdeckung offenbarte, können wir nun in der Tat von einer Revolution sprechen." Jetzt setzte die Musik ein und auf drei Leinwänden gleichzeitig erschienen Bilder vom Asteroidenaufprall. Links der Asteroid (winzig) rechts ein Ausschnitt einer blendend hellen Kugel (riesig). Auf den ersten Blick sah es aus, wie ein gewöhnlicher Stern. Doch, wenn man genauer hinsah, konnte man einen leichten Rand einer etwas kleineren (trotzdem noch riesigen) Kugel erkennen. Ich verstand, was Grimsky meinte. Dieser kaum sichtbare Rand allein hätte (wenn man die unvermeidbare Ungenauigkeit der Messinstrumente bedenkt) als Beweis sicher nicht ausgereicht, wenn nicht ausgerechnet heute, ausgerechnet dort ein Asteroid vorbeigeflogen wäre. Oder besser, hinein.

„Professor Abernathy?", flüstere ich ihm zu.

„Ja, was ist Luke?"

„Wenn Wissenschaftler diesen Planeten schon vor Längerem vermutet haben, warum sind sie dann nicht längst dort hingeflogen? Er dürfte doch nicht mehr als ein paar Tagesreisen entfernt sein."

„Wenn sie die Mittel dazu gehabt hätten, wäre das sicherlich schon geschehen. Aber, wie immer, wenn es um Krisensituationen geht, erweist sich aufs Neue, dass das Leben des Menschen sich immezu um Geld und Macht dreht. Sehr bedauerlich, wenn du mich fragst. Diesen ganzen... Zirkus hier veranstaltet Direktor Grimsky nicht zum Spaß. In diesem Saal sitzen Geschäftsleute, Privatinvestoren und, nicht zu vergessen, der Präsident persönlich. Er treibt Gelder ein für eine Expedition."

„Also geht es ihm im Grunde gar nicht um persönlichen Ruhm und Macht?"

„Doch. Im Grunde geht es doch immer nur darum." Der Direktor ist inzwischen mit seiner Rede fortgefahren.

„Und genau aus diesem Grund, schlage ich eine Expedition zu unserer möglichen neuen Heimat vor. Wir werden Transportmittel brauchen, Proviant, Kommunikationstechnik und geeignete Ausrüstung zur Erkundung des fremden Terrains. Ich weiß, es ist viel Geld, das unsere Mission kosten wird, aber es wird es wert sein. Zwei Personen dürften genügen, um sich ein grobes Bild von der Lage zu verschaffen. Und damit sie sich sicher sein können, dass diese enorme Summe in guten Händen ist, werde ich selbst die Mission leiten, zusammen mit einem meiner hochqualifiziertesten Mitarbeiter."

Und wieder herrscht gespenstische Stille. Neben mir steht der Professor auf.

„Einspruch!" Seine Stimme schneidet die Stille.

„Was haben Sie vor?", wispere ich, während der Direktor noch verdattert guckt.

„Ich hole uns den Preis zurück."

„Setzen Sie sich wieder hin, Professor Abernathy!" schreit der Direktor. Nicht, weil er unfreundlich klingen will (wie bei mir vorhin), wahrscheinlich einfach aus Reflex, weil der Professor auch reichlich laut ist. Der muss aber auch schreien, weil man ihn auf die Entfernung sonst nicht verstehen würde. Es wäre wesentlich einfacher, wenn die beiden ein bisschen näher beieinander stünden. Als hätte er er meine Gedanken erhört beginnt der Professor langsam, über den Mittelgang den Abstieg.

„Zunächst möchte ich klarstellen, dass weder das Schicksal, noch die Brillanz irgendeines Wissenschaftlers uns diesen unbekannten Planeten offenbart hat, sondern einzig und allein der verunglückte Asteroid. Des Weiteren bin ich der Meinung, dass die Ehre, mit auf die Expedition zu dessen Absturzstelle zu dürfen, demjenigen zukommen sollte, der ihn entdeckt hat. Keinem geringeren, als Ihrem Praktikanten Luke Sherman." Dadadadaaaam. Grimmig guckt Grimsky in meine Richtung. „Oder sollte ich vielleicht eher sagen, der Fluch? Schließlich wissen wir ja noch längst nicht, ob der neuentdeckte Planet tatsächlich Leben zulässt. Möglicherweise gibt es dort ja giftige Gase oder..."

„Das reicht." Jetzt wirkt er einfach nur noch verzweifelt. Wahrscheinlich sieht er das Geld schon davonschwimmen. Klar, wer sponsert schon gerne eine unsichere Mission zu einem unbekannten Planeten, den nie jemand zu Gesicht bekommen hat und wo es möglicherweise gefährlich werden könnte. Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich da wirklich hinwill. „Meine Damen und Herren, die Konferenz ist beendet. Einzelne Personen möchte ich bitten, mir zu einer kurzen Besprechung in mein Büro zu folgen." Er zählt eine Reihe von Namen auf, die wichtig klingen, dann den Professor und mich. In nur einem Tag vom Praktikum ins Chefbüro. Nicht schlecht.

Etwas abseits der Masse, die zügig den Saal verlässt, steht Professor Abernathy und zwinkert mir zu. Eins muss man ihm lassen, er weiß, wie man einen guten Auftritt hinlegt.

Das Jahr NullWo Geschichten leben. Entdecke jetzt