Ich hol mir die Goldmarie

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Gut gelaunt machte er sich auf den Weg in die Arbeit. Vor dem Bahnhof angekommen, ging er zum Kofferraum um die Rolle mit dem Silberklebeband mitzunehmen. Den ganzen Tag lag er auf der Lauer. Das Gechäft lief sehr gut, doch seine Goldmarie kam nicht. Es war bereits 18 Uhr und er dachte schon daran das Geschäft zu schließen, als er sie sah. Sie rannte quer durch die Bahnhofshalle, direkt auf seinen Kiosk zu.

Er blickte sich um. Es waren kaum mehr Leute in der Halle. "Warte, ich möchte bitte noch einen Kurier", schrie sie ihm entgegen. Lächelnd reichte er ihr die Zeitung. "Ein bisschen spät um die Nachrichten von gestern zu lesen, oder?", fragte Ralf. "Ich habe mich total verspätet am Morgen und hatte leider keine Zeit mehr bei dir vorbeizuschauen. Aber dafür habe ich jetzt ausreichend Zeit beim Heimfahren zu lesen!", lachte sie.

"Könntest du mir eventuell kurz behilflich sein?", fragte er sie aus seinem Verkaufsfenster. Goldmarie überlegte kurz: "Na, klar! Habe ja noch etwas Zeit, bevor der Zug kommt. Was brauchst du?"

"Du könntest mir kurz den Teppich herausziehen, und ich hebe die Kiste hoch, die darauf steht. Es ist hier drinnen so wenig Platz, dass ich erst alles umschichten müsste. So würde das viel einfacher gehen", log er. "Ich öffne dir die Türe auf der Rückseite, dann kannst du eintreten. Es wird nur ganz kurz dauern. Da errreichst du deinen Zug locker. Dafür ist die Zeitung heute aber umsonst", lachte er.

Goldmarie ging um den Kiosk herum und trat ein. Er zeigte mit der linken Hand auf ein Stück Teppichboden. In seiner rechten Hand hielt er hinter dem Rücken einen großen bronzenen Briefbeschwerer. Goldmarie lächelte noch einmal und bückte sich. Ralf sah sich noch kurz um und schlug mit großer Kraft zu. Goldmarie lächelte nicht mehr. Sie war zu Boden gegangen. Sofort drehte er sich erneut um und sah aus seinem Fenster hinaus. Es standen zwei Personen am Gleis,  dem Rücken  ihm zugewandt.. Es hatte sich nichts geändert. Keiner hatte ihn gesehen. Schnell bückte sich Ralf und klebte ihren Mund zu. Anschließend fesselte er ihre Hände mit dem Klebeband. Rundherum, zwischen beide Hände durch. Und nochmals. Erst als er das Gefühl hatte, sie würde sich, nach dem sie das Bewusstsein erlangt hatte, nicht befreien können, ließ er davon ab. Blut sickerte aus einer Wunde am Hinterkopf. Schade, es versaut ihre blonden Haare, dachte er und legte eine Mülltüte unter ihren Kopf um seinen alten, gefleckten Teppich nicht noch mehr zu versauen.

Gerade, als er sein Fenster schließen wollte, kam ein Mann angeeilt. Ralf schob das Mädchen mit den Füßen ganz unter die Verkaufstheke und stellte den linken Fuß locker auf ihren Hals. Wenn sie sich bewegt, trete ich zu. Dann muss ich mir eben eine andere Goldmarie suchen. "Ich will gerade schließen!", sagte er nicht gerade höflich zu dem Herrn. "Ich möchte bitte eine Schachtel Marlboro! Bitte! Dann bin ich auch schon weg. Ich habe leider kein Kleingeld für den Automaten!", bettelte er. 

Ralf nahm seinen Fuß kurz von ihrem Hals und holte eine Schachtel. Er überreichte sie dem Herrn. "Bitte schön!", er wechselte den Hundert Euro Schein und sah dem Mann nach. Goldmarie war immer noch ohne Bewusstsein. Er schloss das Fenster und die Türe von seinem Kiosk ab und hängte ein "Geschlossen" Schild auf. Er ließ auch das metallene, einbruchsichere Rollo herunter. Dann setzte er sich zu Goldmarie auf den Boden. Es war viel zu früh, sie abtransportieren zu können. Er würde bis nach 22 Uhr warten. Da waren so ziemlich alle Pendler zu Hause und die Züge fuhren nur mehr stündlich ein. 

Er hatte seine Goldmarie..... nein, jetzt war sie eher eine Pechmarie in ihrer Situation. ER lachte. Jetzt war es aber Zeit sich Gedanken um den Abtransport zu machen. Bis zum Auto sind es einige Meterchen und quer durch die Bahnhofshalle......

Plötzlich hatte er eine Idee. 

Um 19.30 erwachte seine Goldmarie. Hat DIE lange geschlafen! Wohl ein wenig zu fest hingelangt, dachte er und flüsterte: "Wenn du dich bewegst, mit verklebtem Mund zu schreien versuchst, oder versuchst mit Lärm auf dich aufmerksam zu machen, töte ich dich." Mit großen, angsterfüllten Augen starrte Tanja ihn an. Sie traute sich nicht zu bewegen. Furcht lähmte ihr Gehirn und ihren Körper. Minuten wurden zu Stunden. Aber, sie hatte keine Wahl. 

So verharrten sie bis 22 Uhr. Ihr Mund war trocken, ihr war kalt und dennoch schwitzte sie. Das nackte Grauen kroch über ihren Rücken. Um 22 Uhr stand Ralf auf. Leise öffnete er die Türe. Kein Mensch war zu sehen. Ralf flüsterte:"Ich komme gleich wieder und von dir will ich nichts hören!" Schon schlüpfte er aus der Türe und schloss hinter sich ab. Tanja wollte schreien, doch selbst wenn sie kein Klebeband auf ihren Lippen kleben hätte, könnte sie kaum mehr als ein Krächzen von sich geben, da ihre Kehle so ausgetrocknet war und eher einem Reibeisen glich. Was kann ich tun, überlegte sie verzweifelt. Er hatte sie die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen und dennoch versuchte sie ihre gefesselten Hände hinter ihrem Rücken zu befreien, wenigstens zu lockern. KEINE CHANCE. Der Typ musste eine halbe Rolle Klebeband verbraucht haben. Sie versuchte sich ein wenig wegzubewegen von der Verkaufstheke um mit ihren Beinen auf die Innenwand des Geschäfts zu schlagen. Sie konnte gerade einmal ordentlich zutreten und es gab auch einen schönen, dumpfen Schlag, als die Türe wieder aufgesperrt wurde und Ralf den Kopf  hereinsteckte. Schnell schlüpfte er durch den Eingang. "Du willst nicht folgen, nicht verstehen, oder? Willst du unbedingt sterben? Blöde Fotze!" Er schloss die Türe hinter sich.

Ralf kramte aus einer Bodenschublade ein Stück Plastik heraus. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Nein, kein Stück Plastik, ein großer Müllsack. Und das gleich mal zwei. Er zerrte sie an ihren langen Haaren von dem Ladentisch hervor. "Du wirst genau das tun was ich dir sage, hast du verstanden?" Tanja nickte und Tränen brannten auf ihren Wangen. "Steig hinein!"; verlangte er von ihr und hielt einen Müllsack auf. Tanja, die auf dem Rücken lag, wollte nicht. Ihre Beine hoben sich ohne ihren Willen von selbst und er zog ihr den Müllsack darüber. Anschließend riss er ihren Oberkörper an den Haaren hoch und stülpte ihr einen zweiten Sack über ihren Oberkörper. Er zog die Säcke etwas übereinander und verschloss sie, so gut es ging. Gottlob war sie nicht allzu groß. Anschließend verpasste Ralf ihr wieder einen Schlag auf den Kopf, denn er wollte nichts riskieren. 

Er hatte einen Gepäckswagen geholt und vor seinem Geschäft abgestellt. Er hiefte ihren bewusstlosen, in Müllsäcken verpackten Körper auf den Wagen, schmiss noch eine alte Decke lieblos darüber und steckte  zwei alte Kartons darauf. Wenn man genauer hinsehen würde, wäre er geliefert. Aber vielleicht wird mir ja gar niemand begegnen, hoffte er. Er verschloss das Geschäft hinter sich und machte sich mit seinem Müllberg auf den Weg, quer durch die Bahnhofshalle zum Ausgang. Menschenleer. Weiter zum Auto. Auf der gegenüberliegenden Gehsteigseite war eine alte Dame mit ihrem Dackel. Früher hatte er in seinem Auto auf der Abdeckung hinter den Rücksitzen einen Wackeldackel. Er liebte ihn. Er wackelte ständig mit seinem Kopf: Ja, ja, ja, Ralf! Du hast immer recht! Ja, ja, ja.....

Er öffnete den Kofferraum und warf seinen "Müll" hinein. ER schloss ab und brachte den Gepäckwagen zurück. Fröhlich pfeifend stieg er in seinen Wagen und fuhr auf seinen alten Hof.

Der MärchenmörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt