Vorbereitungen

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Er hievte sich schlaftrunken aus dem Bett. Es war bereits acht Uhr. Er hatte verschlafen. War aber eigentlich ohnehin egal. Er hatte eine eigene kleine Trafik direkt am Bahnhof und öffnete nach Belieben. Natürlich hatte er offizielle Öffnungszeiten und meistens hielt er sich auch daran. Er schlurfte zum Fenster hinüber und sah hinunter. Noch immer keine Polizei! Er ging empört in die Küche und stellte sich einen Kaffee zu. Lächelnd sah er auf sein Notizbuch. Ich werde richtig berühmt, dachte er. 

Er holte sich aus dem Kühlschrank Butter und Marmelade und aus der Brotdose ein Brötchen. Als der Kaffee fertig war, setzte er sich an den Tisch. Er starrte auf sein Brötchen. Brot, Brötchen...... brotbacken.....Hänsel und Gretel.......Frau Holle, ja......zwei hübsche Mädchen blond und dunkel..... , nein ein Mädchen, zuerst blond und dann dunkel. Und ich bin Frau Holle. Jawohl, das ist eine sehr gute Idee. Und das Ende habe ich auch schon im Kopf, grinste er schadenfroh.

Er stand auf, ging ins Badezimmer und putzte sich die Zähne. Nach kurzer Katzenwäsche und zwei Strichen mit der Bürste durch sein kurzgeschnittenes Haar machte er sich auf den Weg zu seinem geliebten Kiosk.

Er verkaufte einige Packungen Zigaretten, zwanzig Tageszeitungen und Postkarten. Da sah er sie. Blonde lange Haare, ein Puppengesicht. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen. Das wäre ihm sicher aufgefallen und..... sie kam direkt auf ihn zu. Auf seinen Kiosk.

"Hallo! Einmal den Kurier bitte!", erklang eine zuckersüße Stimme wohlig in seinem Ohr. Wie ein Glöckchen, dachte er. Eine richtige Goldmarie. "Hier, bitteschön. Bist du neu hier? Ich habe dich noch nicht hier gesehen!", fragte er. "Ich arbeite seit einer Woche hier. Jetzt gehöre ich wohl zu den Pendlerinnen!", lachte sie. "Ach, du arbeitest hier. In der Nähe des Bahnhofs?", fragte Ralf unschuldig. "Ja, gleich in der kleinen Modeboutique schräg gegenüber des Bahnhofs. Bin noch im Probemonat. Werden uns jetzt ja sicher öfters begegnen." Sie gab ihm ihr bereits abgezähltes Kleingeld.  "Ja, bis demnächst!", lachte er.

Weg war sie. SEINE Goldmarie. Und Pechmarie. Sie würde bestimmt zur rechten Zeit kommen. Dann würde er nicht zögern. Er wusste es. Er hatte auch nicht bei Isa gezögert. Er war der Chef. Er konnte alles machen. Er würde sich zu göttlicher Konkurrenz entfalten. Herr über Leben und Tod und Herr über alle Märchen. 

Er machte ein sehr gutes Geschäft an diesem Tag. Um 18 Uhr schloss er seinen Kiosk ab und schlenderte durch die Bahnhofshalle. Vor dem Bahnhof blickte er auf die kleine Boutique, dem Bahnhof gegenüber. Bald schon werden wir uns sehen, kleine Goldmarie. Dann bist du mein! Er ging genau in die gegengesetzte Richtung zu seinem Auto. Auf dem Weg nach Hause blieb er vor einem DM stehen und ging hinein. Bei den Haarfarben blieb er stehen. Viele Haarfarben, dacht er, zu viele. Er hatte keine Ahnung davon. Es musste unkompliziert sein. Auf das trockene Haar auftragen, einwirken lassen und dann ausspülen, Pflegecreme auftragen.......usw. Nein, das war ihm alles viel zu kompliziert. Da hatte er eine gute Idee. Er befand sich eindeutig im falschen Geschäft. Er trat aus dem Geschäft und ging nur ein Haus weiter in einen Bastelbedarfsshop. Vor den Spraylacken blieb er stehen. Acrylfarbe zum Sprayen. Jawohl, das war das Richtige. Er kaufte eine Flasche glänzenden, schwarzen Lack.

Anschließend fuhr er nach Hause. 19 Uhr. Ein Polizeiwagen vor der Haustüre. Aha, haben diese Schlafhauben jetzt endlich kapiert, dass sie fehlt? Oder, haben sie Isa etwa schon gefunden? Er rannte die Stiege hinauf und schaltete das Radio ein. Waren ja Nachrichten. Vielleicht berichteten sie bereits von ihr. Bei dem Regen gestern, war sie sicher weggespült worden. Oder, zumindest waren ihre Brüste unter Wasser. Nicht so leicht zu finden.

Im Radio war nichts zu hören. Ein wenig enttäuscht schaltete er ab. Er nahm die Spraydose in die Hand und dachte nach. Seine Hauptdarsteller hatte er bereits. Es fehlten ihm auf jeden Fall ein Brunnen und ein Backofen. Ein Apfelbäumchen stand neben seiner Scheune. In seinem Gehöft war ein altes Ehebett verblieben mit einer gefleckten, uralten Daunendecke. Er würde ein kleines Loch hineinschneiden und dann würde sie ordentlich schütteln müssen. Aber das war kein Problem. Ein alter Backofen stand noch in der Küche. Das Brot würde dann eben dort schreien müssen. Aber, der Brunnen..... er wollte keinen Brunnen graben. Er würde in der Scheune so etwas wie einen Brunnen einrichten müssen. Aber er hatte ja jede Menge Zeit. Sie sollte ja Vertrauen fassen zu ihm, dann wäre es einfacher, sie mitzunehmen.

Diese Woche kam sie noch dreimal zu seinem Kiosk und kaufte ihre Zeitung. Die Suche nach Isabella hatte endlich begonnen.  Im Radio und sogar einmal im Fernsehen. Die weinende Mutter, seine Nachbarin, fragte wer sie gesehen hätte. Hundestaffeln suchten im örtlichen Wald.

 Am Freitag schloss er seinen Kiosk eine Stunde früher und fuhr zu seinem Hof. Er stieg aus und hielt nach seinen Gänsen Ausschau. Ich werde mir einen großen Gefrierschrank kaufen müssen, dachte er...... Hinter dem Haus watschelten sie herum. Zwei Gänse fehlten. Die fielen sicher Mr. Reineke zum Opfer, dachte er. Ralf ging zum Waldesrand und beäugte den Pferdeschädel. Stank noch immer, sah aber schon nicht mehr nach Apfelschimmel aus. Die Augen fehlten. Sicher von den Krähen ausgepickt, dachte er. Die Haut war Großteils abgelöst und das übelriechende Fleisch war in großen Stücken herausgerissen worden. Zunge und Maul waren weitgehend zerstört und überall Ameisen und Fliegen .... einfach widerlich. 

Ralf ging zurück und betrat seine Scheune. Eine lange hölzerne Stehleiter lehnte an der rechten Seite, damit man auf die Tenne klettern konnte. Es lag kaum mehr Heu dort oben. Vorsichtig kletterte Ralf hinauf. Er blieb an einer kleinen Abwurfluke stehen. Darunter war der ehemalige Stall, der an die Scheune angebaut war. Es hatte die Tiefe von ca. drei Metern. Unten am Boden bröckelte der alte, einst viel genutzte Betonboden vor sich hin. Das wird mein Brunnen, freute sich Ralf. Er kletterte die Leiter hinunter und ging um die Scheune herum in den Stall. Er hatte links und rechts jeweils drei Stehplätze für das Rindvieh. In der Mitte ein kleiner Gang und über ihm die Abwurfluke. Ein kleines Fenster ließ nur sehr wenig Licht in den Stall einfallen. Da hatte er die endgültige Planung seines Brunnens abgeschlossen. ER würde Fertigbeton zum Mischen kaufen und das Fenster komplett zubetonieren. Die Türe werde ich mit Holzplanken verriegeln und mit alten Decken verhängen , damit es drinnen stockdunkel ist. Das ist mein Brunnen!

Er verbrachte das ganze Wochenende damit, einen Brunnen herzustellen. Isa war noch nicht aufgetaucht. Seine Nachbarin war ihm noch nicht über den Weg gelaufen.

Der MärchenmörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt