Warum?

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Er stand vor der alten Scheune und konnte es kaum glauben. Warum funktionierte es nicht? Fliegen summten um den Pferdekopf. Die Gänse watschelten vor dem Stall herum. In seinen Frauenkleidern und mit dieser blonden Langhaarperücke sah er dämlich aus. Es war ihm egal. Er war sich zu 100 % sicher, dass es funktionieren würde. Er trieb die Gänse mit einem Stöckchen abermals durch das Scheunentor in den Stall  und sagte sein Sprüchlein:

"O du Falada, da du hangest!"

Eigentlich müsste der scheiß Gaul jetzt mit:

"O du Jungfer Königin, da du gangest, wenn das deine Mutter wüsste, ihr Herz tät ihr zerspringen!", antworten.

Der tote Pferdekopf sagte natürlich nichts. ER konnte es nicht verstehen. Aus seiner Sicht hatte er doch alles richtig gemacht......

"Die Gänsemagd" - Es war schon seit seinen Kindheitstagen sein Lieblingsmärchen und außerdem hatte er davon geträumt.

Es war nicht einfach einen Pferdekopf zu bekommen. Noch dazu von einem Apfelschimmel. Es konnte sich bei diesem Märchen der Gebrüder Grimm nur um einen Apfelschimmel handeln. Schon als er noch ganz klein war und erst langsam zu begreifen begann - es war immer dieses mächtige Pferd. Weiß mit schwarzen Punkten. Ein Apfelschimmel eben.  Es hatte ihm einige Überredungskunst gekostet in der großen Metzgerei des Nachbarortes den Metzger zu überreden, ihm einen Pferdekopf zu überlassen. Natürlich hatte er dabei eine größere Menge an Trinkgeld zu übergeben. Bei den Gänsen war es da schon einfacher. Die musste er nur im Geflügelhandel bestellen.

Er hatte sich alte Leinenkleider aus Kohlensäcken genäht. Die Kleidung sehr schlicht. Ja, so hatte eine Magd von damals auszusehen. Den Pferdeschädel hatte er auf den Stall genagelt. Das war ein hartes Stück Arbeit. Er brauchte unzählige lange Nägel, die er zuerst durch übelriechende Haut und Pferdefleisch durchschlug, um diese dann tief in die  Holzwand zu treiben. Fliegen umschwärmten seinen Kopf. Dabei hatte er auf einer Leiter zu stehen. Der Schädel war so schwer, dass er dessen Mähne bei den Stirnfransen mit einem Seil verknüpft hatte und mit einem Flaschenzug in die Höhe befördern musste. Nägel, durch Haut, Fleisch, Muskeln. Es war nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte. Der Kopf musste ja von oben auf ihn herabblicken.  Irgendwie hatte er es dann geschafft. Schwitzend und schnaufend stand er da und  sah dem Gaul vom unten in die Augen. Tot und leblos blickten sie herab. Die Unterlippe des Pferdes hing leicht nach unten und man konnte seine gelben und mit Zahnstein überzogenen Zähne klar erkennen. Tja, dieser Gaul war eben nicht mehr der Jüngste.

Er zog sich seine Leinenkleidung an, setzte sich die teure Langhaarperücke auf und holte die Gänse, die in einem Gitter neben dem Auto warteten. Er trieb die Gänse unter dem Scheunentor hindurch und sagte das Sprüchlein. Hier stand er nun. In dieser alten Scheune und der Gaul hatte nicht gesprochen!

 Warum redete dieser dämliche Gaul nicht mit ihm? Er hatte schon in seiner Jugend davon geträumt. Er ging seinen Plan noch einmal gedanklich durch. Alles passte!

Vielleicht lag es an ihm. Die Prinzessen war als Gänsemagd gekleidet, doch sie war weiblich. Er war und blieb ein Mann. Er würde niemals eine Frau ersetzen können. Oder, es lag daran, dass ihm das Kürtchen fehlte.

Nun kam es ihm wie ein Gedankenblitz. Er würde sich eine Frau "ausleihen" müssen. Dann könnte er als Kürtchen in Aktion treten und er könnte auch gleich noch die Szenen auf der Wiese nachstellen.

Und zwar rasch! Der Pferdekopf roch nicht mehr allzu appetitlich und duzende Fliegen ließen sich darauf ununterbrochen nieder. Sie saßen auf seinen toten Augen und krabbelten in seinem toten Maul herum. Interessant und ein klein wenig widerlich.

Er hatte es eilig. Er wollte den Kopf nicht wieder abnehmen. Es musste schnell eine Gänsemagd gefunden werden.

Er trieb die Gänse wieder in das Gitter und schloss die Türe. Lautes Protestgeschnatter wurde ihm zuteil. Haltet eure Klappe, dachte er. Ich werde so bald wie möglich zurückkehren und bringe euch eine richtige Gänsemagd.

Er zog die Leinengewänder aus und schlüpfte in seine Jeans. Er zog sein T-Shirt an und schlüpfte in seine Sportschuhe. Zu guter Letzt nahm er noch die Perücke vom Kopf und legte sie sorgfätlig in die Schachtel am Beifahrersitz.

Er stieg ins Auto ein und fuhr los um sich eine Gänsemagd zu " besorgen".

Der MärchenmörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt