Kapitel 7

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Ende November wurde es schlagartig kalt. Die Tage wurden kürzer. Über Nacht schneite es heftig und weiße Flocken begruben die Landschaft unter sich. Die Bäche und Wassertränken froren zu. Bäume und Büsche trugen Eiszapfen an ihren Zweigen und jegliches Leben erstarrte. Über Nacht veränderte sich alles und ich erkannte die Gegend nicht mehr, als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster sah.

Das Mädchen fand es nicht so schön. Weil keiner mit dem plötzlichen Wintereinbruch gerechnet hatte (schließlich war es die letzten Tage über trocken und mild gewesen), musste sie schon früh Schnee schaufeln gehen und die Reitwege von Eis befreien, zusätzlich zum füttern. Die Boxen wurden dick mit Stroh eingestreut, die Pferde wurden geschoren und trugen dicke Winterdecken.

Die Pferde dampften nach dem Training, kleine Wölcken stiegen aus ihren Nüstern empor. Es war nicht der erste Winter in meinem Leben, aber dennoch eine Jahreszeit, die ich im Gegensatz zum brütend heißen Sommer gernhatte.

Ich war plötzlich energiegeladen. Sobald ich auf die Weide durfte, der Strick mit einem Klicken aushakte, buckelte ich davon, sodass der Schnee in alle Richtungen flog. Ich wälzte mich, bis meine Mähne vor lauter Eiskristallen verklumpte und wurde traurig, als ich wieder in meine Box musste. Es duftete nach Schnee.

Ich stand nun ein halbes Jahr bei Elena. Sie konnte mich problemlos führen, putzen, satteln, longieren und füttern; aber wo eine Baustelle beendet wurde, wurde woanders eine neue eröffnet. Im Winter ging es ans Reiten und das Mädchen konnte bald erahnen, dass alle meine Aussetzer nur die Spitze des Eisbergs waren.

Als ich das erste Mal als „unreitbar" bezeichnet worden war, wusste ich noch nicht, mit welchen Tricks und Mitteln man den Reiter im Sattel loswerden konnte. Aber das lernte ich bald dazu und mein Benehmen wurde immer schlimmer. Schon bald konnte sich keiner mehr lange auf meinem Rücken halten, ich wurde beinahe ein Profi.

Sie ging anders an die Sache heran, benutzte nur eine einfache Zäumung und gewöhnte mich erst an das Gewicht eines Reiters ehe sie sich in den Sattel schwang und selbst dann ließ sie mir genug Bewegungsfreiraum, saß nur tief in den Sattel ein, wenn es nötig war, wenn ich so sehr unter Spannung stand, dass ich loszusprechen drohte.

Tatsächlich schaffte ich es, Elena in den ersten zwei Wochen jedes Mal in den Sand zu setzen. Ich habe gehofft, dass sie mich in Ruhe ließ, sobald ich sie einmal abgebockt hatte, aber damit lag ich falsch. Tatsächlich stand sie auf, klopfte sich den Sand von der Hose und stieg nochmal auf, meistens musste mich jemand festhalten. Ich rannte mit aufgeblähten Nüstern und hochgerissenem Kopf umher, bis ich vor Schweiß glänzte und sie musste mich vor dem Reiten ablongieren.

Elena hatte lange genug mit diesem widerspenstigen Tier gearbeitet, sodass sie wusste, dass es besser war, mir das nicht durchgehen zu lassen. Ich würde es beim nächsten Mal wieder probieren, egal ob sie wieder aufsaß oder nicht. Aber wenn sie mir zeigen konnte, dass es auch eine andere Möglichkeit gab, würde sich meine Einstellung ändern.

Und wie es das Schicksal wollte, fügte ich mich ihm. Erst waren es verhaltene Schritte, dann mutigere. Im Januar konnten wir Runden in der Halle drehen, solang wir wollten. Sie ritt Hufschlagfiguren oder einfach nur ganze Bahn, gab mir Sicherheit und Anlehnung und ich fand Spaß daran. Als der Frühling wiederkam, überall auf der ganzen Reitanlage grünes Gras und kleine Blümchen sprießten und die Luft vom Gezwitscher der Vögel gefüllt war, konnte ich bereits über Stangen traben.

Sie wiederholte all das, was vor ein paar Jahren in kürzester Zeit in mich hineingeprüglt wurde und fing bei den Grundbausteinen an. Es war mühsam, aber es lohnte sich und darum ließ sie mich bald auch galoppieren.

Es war ein tolles Gefühl, endlich nicht von Panik getrieben kopflos loszustürmen, sondern von einem ruhigen Trab in einem schaukelnden Galopp zu wechseln. Es waren nur wenige Sprünge und zum Anreiten zog sie jemanden hinzu, der in der Mitte des Zirkels stand und mich an einer Longe hielt, aber dennoch fühlte ich mich großartig, als sie mit mir noch eine kurze Runde um die Anlage drehte und mich dann meinem Abendessen überließ.







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