Erwischt

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Die Dusche tat unendlich gut und entspannte meinen vom Einrichten zermarterten Körper. Als ich fertig war, zog ich mich an. Jake hatte mir eine enge dunkle Hose und ein graues T-Shirt mit V-Ausschnitt herausgesucht.
Seufzend stand ich nun vor dem großen Spiegel und betrachtete mich. Ich sah schrecklich aus. Aber das lag nicht an der Kleidung. Diese passte eigentlich sogar ganz gut.
Wahrscheinlich sah ich aus wie immer und meine Psyche sagte mir einfach nur etwas anderes. So musste es sein.
Mein Blick fiel auf das Handy, das Jake mir gegeben hatte. Ich hatte es neben das Waschbecken gelegt, bevor ich unter die Dusche gestiegen war.
Ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein, griff ich danach und reif den Sperrbildschirm auf. Es gab kein Kennwort.
Mein Finger drückte auf das Kontakte-Symbol und keine Sekunde später blätterte ich durch Jakes Favoriten-Kontakte.
Natürlich wusste ich, dass mich das nichts anging, aber ich tat es trotzdem.
Die meisten Profile waren mir unbekannt oder es handelte sich dabei um andere Schwingen der Nacht.
Bei einem Namen stockte mein Atem jedoch. Da stand ein Wort. Vier Buchstaben. Chef.
Hatte Jake Adrien unter Chef eingespeichert? Konnte es wirklich so einfach sein?
Ich schluckte und warf einen Blick runter auf die Straße. Jakes BMW war noch lange nicht zu sehen.
Und bevor ich begriff, was ich da gerade eigentlich tat, hatte mein Finger bereits auf den grünen Hörer gedrückt und auf dem Bildschirm stand nun: Rufaufbau Chef.
Meine Finger zitterten als ich das Smartphone an mein Ohr hielt.
Einige Zeit tutete es friedlich und das waren die schlimmsten Minuten meines Lebens. Würde er rangehen? Oder würde einfach der Anrufbeantworter anspringen?
Mein Herz raste und ich biss mir auf die Zunge um mich etwas zu beruhigen. Aber natürlich brachte das nicht viel...
Dann, nach einer halben Ewigkeit, sprang schließlich doch nur der AB an.
Enttäuscht sackte ich ein Stück zusammen. Warum hätte er auch rangehen sollen? Jake hatte bestimmt auch schon tausend Mal versucht, ihn auf diesem Weg zu erreichen. Warum sollte es ausgerechnet klappen wenn ich anrief?
Es wäre ja auch zu schön gewesen.
"Hallo dies ist der Anrufbeantworter von Adrien DeManincor. Offenbar bin ich gerade zu beschäftigt um ans Handy zu gehen. Am besten versuchen Sie es später oder gar nicht. Meine Leute wissen, wie sie mich auch ohne Mobiltelefon erreichen können. Danke für den Anruf ohne Erfolg. Falls Sie trotzdem noch der Meinung sind, mich erreichen zu wollen, so hinterlassen sie mir einfach eine Nachricht nach dem Piepen.", drang seine Stimme durch den kleinen Handylautsprecher und ich lächelte. Ja das war definitiv Adrien.
Kein kleines Schluchzen schlüpfte aus meinem Hals.
Dann ertönte das Piep und ich dachte nicht lange darüber nach, ob ich ihm eine Nachricht hinterlassen sollte: Ich tat es einfach.
"Hey Adrien. Hier ist Talia." Ich war überrascht wie sicher und deutlich meine Stimme klang. "Ich mache mir Sorgen um dich. Ich... Ach ich weiß auch nicht. Ich drehe fast durch. Ich brauche dich, hörst du? Falls du das hier hören solltest, lass mir einfach ein Zeichen zukommen, damit ich weiß, dass du noch lebst."
Danach trennte ich die Verbindung und legte auf.
Meine Hände zitterten noch, als ich das Handy in meine Hosentasche schob und mich am Waschbecken abstützte.
Mir war schlecht. Alles drehte sich.
Weiß traten meine Knöchel hervor, so sehr klammerte ich mich an das Keramik.
Dann ertönte ein lauter Knall unter mir und kurz darauf schrie Jake durchs Haus.
"Bin wieder da!"
Ich erwiderte nichts. Meine Welt drehte sich noch immer. Wenn ich jetzt antworten würde, würde an meiner Stimme sofort hören, dass etwas nicht stimmte. Auch wenn er das eh herausfinden würde, wenn es stimmte was er mir vor wenigen Stunden gesagt hatte.
"Talia?" Ich hörte Schritte im Flur und kurz darauf klopfte es an der Badezimmertür. Schnell warf ich einen Blick in den Spiegel. Meine Haare waren noch nass. Sehr gut, dass hieß ich hatte die perfekte Ausrede.
Bevor er nochmal klopfen konnte, öffnete ich die Türe von innen und sah ihm entgegen.
"Hey.", begrüßte ich ihn und lächelte. "Entschuldige ich war bis eben duschen. Hast du alles erledigt?"
Etwas misstrauisch sah er mich an, dann streckte er die Hand aus und ich gab ihm sein Handy zurück.
"Ja. Ich hab alles bekommen. Alles in Ordnung bei dir?", fragte er und blickte hinter mich ins Bad.
"Hm? Ja alles gut. Du glaubst gar nicht wie sehr ich die Ruhe genossen habe.", schwärmte ich und drängte mich an ihm vorbei in mein Zimmer.
Er folgte mir kopfschüttelnd. Offenbar hatte ich es geschafft ihm etwas vorzumachen. Zumindest für heute.
"Ich habe dir ein bisschen Kleidung mitgebracht. Schau einfach mal, was dir passt und gefällt. Wir gehen in den nächsten Tagen einfach nochmal ordentlich zusammen shoppen.", erklärte er und erst da bemerkte ich die vielen Tüten, die auf meinem Bett standen.
Auf den Fersen drehte ich mich zu ihm um. "Hattest du gerade nicht gesagt "Ein bisschen"?", fragte ich ungläubig und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
"Ja.", drugste er herum. "Ich wusste nicht was dir gefällt."
"Und da hast du einfach alles in meiner Größe gekauft?", wollte ich wissen.
"So ungefähr, ja.", gestand er. "Die Beraterin hat mir geholfen."
Jetzt war es an mir den Kopf zu schütteln. "Du bist verrückt."
Vorsichtig spähte ich in die erste Tüte und erkannte darin nur Jeans.
"Jap. Du bist definitiv verrückt.", wiederholte ich und erntete damit nur Jakes Lachen.
"Damit kann ich leben. Und jetzt zieh dich um. Ich bereite das Essen vor. Chris müsste in ungefähr einer halben Stunde kommen.", sagte Jake und sah auf seine Uhr.
Danach verschwand er aus meinem Zimmer und ich war wieder alleine.
Dann würde ich mich jetzt mal fertig machen, damit ich ein wenig mehr nach Mensch aussah, als heute Morgen.
Aber nicht zu viel. Ich wollte schließlich immer noch ich bleiben.
Da kam mir der IPod wieder in den Sinn und so fischte ich ihn aus dem Karton von heute Mittag. Ich erstellte eine neue Playlist und schloss das Gerät an die schwarze Sony Stereoanlage an. Der Sound war einfach nur genial! Zuhause wäre ich für so ein Teil gestorben!
Durch die Lautsprecher tönte nun Paramore mit "Misery Business". Ich tanzte im Takt durch das Zimmer und sortierte die neue Kleidung aus den Tüten in den Schrank.
Die Musik hallte im ganzen Haus wieder und ich fühlte mich allmählich wieder richtig gut. Das missglückte Telefonat war bereits vergessen.
Jetzt stand ich vor dem Haufen ungetragener Kleidung und war total überfordert. Was sollte ich anziehen? Wäre Cassy doch nur hier. Sie wüsste sofort, was mir stehen würde und was nicht. Ja, ich vermisste meine beste Freundin.
Der IPod war inzwischen fast am Ende der Playlist und statt Paramore hörte ich jetzt You Me At Six mit "No One Does It Better".
Wahllos entschied ich mich für eine helle Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber zog ich ein kariertes Hemd.
Danach kämmte ich noch meine Haare und das wars dann eigentlich auch schon.
Ich beseitige das Chaos, das ich beim Einräumen der neuen Kleidung hinterlassen hatte und sang dabei mit. Es tat so gut, meinen ganzen Frust einfach mal raus zu lassen.
Früher hatte ich immer gesungen. Immer. Egal ob ich wütend, traurig, enttäuscht oder einfach gut drauf war. Die Musik war schon früh ein wichtiger Teil meines Lebens gewesen.
Doch irgendwann hatte ich vergessen, was es mir bedeutete, weil ich einfach keine Zeit mehr dafür hatte.
Als das Lied zu Ende war und der Müll ebenfalls fort war, stand ich atemlos in meinem Zimmer. Es war ruhig.
Doch dann erklang hinter mir plötzlich leichter Applaus. Verwirrt fuhr ich herum und wurde hochrot, als ich Jake und Chris sah, die in der Tür standen und klatschen.
"Du bist gut.", meinte Chris und lächelte anerkennend. Das wars dann also mit dem zweiten - dem besseren - Eindruck.
"Wusste gar nicht, dass du singst.", sagte Jake nur. "Aber das war echt toll."
Mein Kopf wurde noch röter, falls das überhaupt ging.
"Was macht ihr hier?", fragte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now