Milchweiß

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„Was machst du hier?", fragte er und kam ein paar Schritte näher.
Mein Blick wanderte zwischen ihm und der teuren Flasche in meiner Hand umher.
„N-Nix.", behauptete ich dann beschwipst und versteckte schnell den Alkohol hinter meinem Rücken. Es glich einem Wunder, dass ich überhaupt noch ein Wort rausbrache, so betrunken wie ich war...
„Also nach nichts sieht das aber nicht aus.", meinte er mit ernster Stimme.
Hinter mir kicherte Jake leise.
„Psssst!", machte ich und fuhr zu ihm herum, dabei vergaß ich, dass ich den Alkohol ja eigentlich vor Adrien verstecken wollte. Was natürlich nicht klappte, wenn ich ihn hinter meinem Rücken versteckte und ihm diesen nun zudrehte.
„Schei leeeise. Schonst kriegen wir noch Ä-Ä-Ärger!!", schimpfte ich und kicherte. Gott ich war ja wirklich total zu.
„NEIN!", lachte Jake nur. „Du kriegscht kein Ärger. Aber isch. Weil isch den Alkohol geklaut hab."
Ich kicherte wieder drauflos, dabei wusste ich gar nicht warum. Die Situation war nämlich eigentlich alles andere als witzig.
Wackelig drehte ich mich wieder zu Adrien. „Wie du siehst..." Ich machte eine Pause und betete, dass der Raum aufhörte sich zu drehen. „...geht es mir gut."
Mit einem Finger zeigte ich auf seine Brust. Das heißt ich wollte. Meine Sicht war so verschwommen, dass das nicht ganz klappte. Also schloss ich ein Auge und versuchte seine Brust als Ziel für meinen Zeigefinger zu nehmen.
Adrien sah mir eine Weile dabei zu, bis er den Kopf senkte und kurz schüttelte. Dass er dabei lachte, konnte ich in meinem Zustand nicht sehen.
„Und jetzt geh!", rief ich, als er mich wieder ansah. „Wir wollen weiterfeiern!"
„Oh nein, Madame! Das kannst du vergessen! Die Party ist zu Ende!", pfiff er mich an und kam zu mir.
„Warum denn?", nörgelte ich. „Sonst interessiert es dich doch auch nicht, was ich mache."
„Das stimmt nicht.", verteidigte er sich und die Belustigung wich aus seinen Augen.
„Ach wirklich? Du bist doch nie da um mit mir Spaß zu haben. Duuu machst es dir leicht. Schiebst mich auf Rafael ab." Ich sagte meine Worte zwar schmollend und vollkommen alkoholisiert. Aber wir wussten alle, dass ein Fünkchen Wahrheit in ihnen war.
Adrien packte mich am Oberarm und riss mir die Flasche aus der Hand. Kurz warf er einen Blick auf das Etikett und als er erkannte um was für eine Flasche es sich handelte, sah er aus als würde er gleich ohnmächtig umkippen.
Er atmete tief durch und sah zu Jake. „Bist du bescheuert?", fragte er ihn. „Weißt du was das ist, was ihr in eurem Suff gerade getrunken habt?"
Jake schüttelte den Kopf und auch ich versuchte die Flasche genauer zu betrachten, aber ich konnte nicht einmal meine eigenen Füße sehen, von daher scheiterte ich alleine bei dem Versuch daran der Flasche näherzukommen.
„Das ist ein Dalmore 62 Single Highland Malt Scotch! Das WAR zumindest mal einer." Adrien wurde bei jedem Wort ein wenig lauter, was wohl hieß, dass dieser Scotch teuer war. Ziemlich teuer wahrscheinlich...
„Der kostet fast 60.000 Dollar! Und du hast ihn einfach so weg.ge.kippt." Beim letzten Wort betonte er jede einzelne Silbe, aber das musste er schon gar nicht mehr.
Mir wurde jetzt noch schlechter. Und das nicht, weil ich zu viel Alkohol konsumiert hatte: Sondern weil ich gerade eine Flüssigkeit im Wert von 60.000 Dollar getrunken hatte.
„Ich muss hier raus.", flüsterte ich heiser. Offenbar hatte die Zahl eben einen solchen Schock in mir ausgelöst, dass ich schlagartig wieder nüchtern war. Oder fast...
Ich begann mich unruhig unter Adriens Griff zu winden. Er sah mich an und bemerkte wohl was ich hatte, denn er schüttelte nur nochmal den Kopf, knallte die teure Flasche auf die Werkbank, warf Jake einen bösen Blick zu und loste mich nach draußen.
„Das wird Konsequenzen haben.", sagte er noch nach hinten die Werkstatt, ehe er die Tür in die Angeln warf.
Draußen empfing kalte Nachtluft mich und ich atmete erstmal tief durch. Mein Kopf dröhnte jetzt schon.
„Bist du sehr sauer wegen dem Scotch?", wollte ich wissen, während wir auf das große Haus zu liefen. Das hieß, Adrien lief. Ich stolperte mehr hinterher.
Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Nein."
„Aber warum dann? Ich weiß, dass du wütend bist. Aber du bist nie da. Ich brauche dich. Hier bei mir. Verstehst du das denn nicht?", fragte ich ihn und machte einen Schmollmund. Meine Stimme klang wie die eines kleinen Kindes. Hoch und... betrunken! Okay, also nicht ganz wie die eines kleinen Mädchens.
„Talia.", mahnte Adrien. „Ich werde, dass nicht jetzt und nicht hier mit dir besprechen."
Böse blickte ich ihn an. Okay ich versuchte es. Aber letzten Endes sah ich mehr aus wie ein schielendes Eichhörnchen. Danke lieber Alkohol...
„Und was ist, wenn ich das jetzt aber mit dir besprechen will?" Ich baute mich schwankend vor ihm auf.
An seinem Gesichtsausdruck konnte man sehen, dass er nicht wusste ob er lachen oder wütend sein sollte.
„Mich interessiert ausnahmsweise mal nicht, was du willst.", erklärte er freundlich, schnappte sich wieder meinen Arm und zog mich zur Terassentür.
„Das tut es nie!", keifte ich und versuchte seinen Griff um meinen Arm zu lösen.
„Das stimmt nicht, und das weißt du.", knurrte er als die Treppe in Sicht kam.
„Lass. Mich. Los!", brabbelte ich und zerrte an meinem Arm.
Und das war der Moment in dem ihm offensichtlich der Geduldsfaden riss.
Er stieß meine Hand weg und schüttelte mich.
„Bist du noch bei Sinnen?", brauste er auf. „Ich kann vergessen, dass du gerade einen 60.000 Dollar teuren Scotch ausgetrunken hast. Ich kann auch vergessen, dass du mich beleidigst. Und ich kann auch vergessen, dass du meine Autos zerstörst. Aber..."
„Ich hab den Bugatti nicht zerstört.", korrigierte ich und wurde mit jeder Silbe leiser und wahrscheinlich kleiner, da sein Blick meinem betrunkenen „Ich" gerade echt Angst einjagte.
„ABER...", wiederholte er. „Ich kann nicht vergessen, dass du Anschuldigungen machst und keine Ahnung hast, warum ich das tue. Also tu mir den Gefallen und sei einfach still, ja?"
Ich sah ihn mit großen Augen an und nickte langsam. Vielleicht hatte ich es ein bisschen zu weit getrieben...
„Und jetzt geh in dein Zimmer und schlaf deinen Rausch aus, bevor ich ausraste und es hier Tote gibt!", drohte er und ich ging vorsichtig rückwärts aus seiner Reichweite.
Weit kam ich jedoch nicht, denn ich hatte die Treppe vergessen und fiel gleich erstmal die ersten Treppen hoch.
Ich fluchte und keuchte schmerzgequält und hörte Adriens Stöhnen. Bevor ich mich aufrichten konnte, hatte er mich schon hochgehoben und in mein Zimmer getragen.
Er setzte mich erst ab, als ich in meinem Zimmer stand und er mir gegenüber im Flur.
Verwundert sah ich ihn an.
„DA ist dein Bett. Und DA legst du dich jetzt rein und DA bleibst du liegen, bis du deinen Rausch ausgeschlafen hast, verstanden?", knurrte er gereizt.
Ich nickte zum tausendsten Mal an diesem Abend.
„Gut. Ich wünsche dir eine angenehme Nacht.", meinte er noch und warf die Tür ins Schloss.
Nach der Aktion gerade war mir plötzlich nach Weinen zumute.
Dieser doofe Alkohol! Ich würde nie wieder etwas trinken! Nie wieder! Und ich hasste mich dafür, dass ich gerade versuchte meinem Verstand ein Versprechen zu geben, dass ich eh nicht halten konnte.
Mein Blick glitt durch das verlassene Zimmer und blieb an meinem Bett hängen. Ich quälte mich aus den Schuhen und torkelte darauf zu.
Der Stoff war so weich, als ich darüber strich und so fiel ich angezogen und kopfüber hinein.
Es dauerte nicht lange, bis ich eingeschlafen war.

Knurrend erwachte ich am nächsten Morgen und richtete mich langsam auf. Ein schrecklicher Fehler, wie sich keine Sekunde später herausstellte. Es fühlte sich an als würde mein Kopf explodieren. Stöhnend zwang ich mich dazu aufzustehen und erstmal das Zimmer zu verdunkeln. Die Sonne, die offenbar schon ziemlich lange schien, blendete mich und ich ging mit geschlossenen Augen durch das Zimmer. Widerlich diese Helligkeit. Warum musste dieses gottverlassene Haus auch nur so viele Fenster haben?
Danach ging ich ins Bad und stellte mich vor den Spiegel. Doch als ich mein Spiegelbild entdeckte, hätte ich fast laut geschrien! Was war mir den bitte passiert?
Angestrengt versuchte ich den gestrigen Abend in meinem Kopf zu rekonstruieren. Das letzte an das ich mich erinnerte war, wie die Musik ausging und Adrien in der Garage stand. Alles was danach geschehen war? Fehlanzeige! Na klasse. Ein Filmriss war so absolut das letzte, das ich jetzt brauchte. Ich hoffte nur, dass ich nichts Hirnloses gemacht hatte.
Ich kannte mich und ich wusste, dass ich dann gerne provozierte oder Dumme Aktionen startete.
Plötzlich kam mir eine Zahl wieder in den Sinn: 60.000 und ein anderes Wort: Dollar.
Ich würde Adrien später fragen, was es damit auf sich hatte.
Angewidert befreite ich mich von der alten Kleidung und putzte gefühlte zehn Stunden meine Zähne. Bis der schale Alkoholgeschmack endlich verschwunden war und mein Atmen wieder normal roch.
Stöhnen kroch ich dann unter die Dusche und stellte das Wasser auf Eiskalt.
Als die ersten Tropfen meine Haut berührten atmete ich tief durch um nicht zu schreien. Verdammt war das kalt!
Das war der Nachteil am Feiern, man hatte immer einen Kater! Immer!
Nach dem Duschen zog ich mich an und tapste runter in die Küche. Fast hätte ich gefaucht, als ich das Wohnzimmer betrat und Sonnenstrahlen mich berührten.
Aber da ich ein Mensch war, begnügte ich mich mit einem leisen Grummeln und kniff schnell die Augen zu.
„Ich wünsche dir auch einen guten Tag, meine Liebe.", erklang Adriens Stimme irgendwo vor mir und kurz darauf hörte ich ein gleichmäßiges Summen und Schatten traf auf mein Gesicht.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen und versuchte mich an das schummrige Licht zu gewöhnen. Die Jalousien waren heruntergelassen und ich sah, dass Adrien die Fernbedienung dafür in der Hand hielt.
„Morgen.", brummte ich und ging in die Küche.
„Morgen?", echote Adrien und ich konnte das unterdrückte Lachen in seinen Worten hören. „Es ist gleich halb vier. Aber hey: Wer feiert muss auch die Folgen tragen können.", meinte er noch und ich wäre am liebsten an die Gurgel gegangen.
Also begnügte ich mich mit einem echt bösen Blick, bei dem es mich wunderte, dass er nicht tot umkippte.
Er jedoch zog nur amüsiert die Augenbrauen in die Stirn.
Ich nahm mir ein Glas und schüttete vorsichtig Milch hinein. Und Vitamine. Ich brauchte Vitamine. Das jedenfalls hatte meine Oma mir immer geraten. Aber sie war schon vor vielen Jahren verstorben.
Mürrisch sah ich mich im Raum um, ob ich irgendwo Obst fand.
„Im Kühlschrank sind Himbeeren und Bergpfirsiche. Tu dir keinen Zwang an und bediene dich.", drang Adriens Stimme an mein Ohr.
Ich öffnete also den Kühlschrank und nahm mir besagtes. Dann wanderte ich an den Esstisch, wobei ich die Hälfte der Milch schon auf dem Weg dahin verlor, weil ich der Meinung war beim Gehen - was eigentlich ein Schlurfen war - trinken zu können. Ich glaube der Boden und meine Kleidung hatten mehr davon als ich und mein Magen.
„Und an was erinnerst du dich noch?", zog mein Gegenüber mich auf, als ich meinen Kopf auf die kühlende Tischplatte gelegt hatte.
„An dich und dass ich „Hi" gesagte habe.", nuschelte ich und drückte mir die Hände auf den brummenden Schädel.
Adrien lachte.
„Und noch etwas. Da ist eine Zahl in meinem Kopf und ich weiß nicht wie die da rein kommt. Vielleicht kannst du mir sagen, was es damit auf sich hat.", bat ich und sah ihn flehend an.
Jedes Wort hallte laut in meinem Kopf nach und vergrößerte den Schmerz. Ich stöhnte.
Er grinste. „Bestimmt. Schieß los."
„60.000.", entgegnete ich also und blickte ihn abwartend an.
„Willst du das wirklich wissen? Ich könnte mir vorstellen, dass es dir nicht gefällt.", behauptete er, während ich die ersten Himbeeren in meinen Mund schob.
„Bitte sag es mir einfach. So schlimm wird es hoffentlich nicht sein.", betete ich laut und sah ihn auffordernd an.
Währenddessen griff ich nach der Milch und führte das Glas an meine Lippen. Der Geschmack erinnerte mich an meine Kindheit.
„Okay, es waren 60.000 Dollar. Und das ist der Wert des Scotch den du gekillt hast.", erklärte er.
Ich sah ihn ungläubig an und als er nickte, spuckte ich laut prustend die gesamte Milch über den Tisch.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now