Ausflug mit gutem Ende

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Mit einem lauten "Aufstehen Talia!" wurde ich an nächsten Morgen geweckt. Verschlafen versuchte ich mir die Decke über den Kopf zu ziehen, aber man gab mir nicht einmal die Chance sie auch nur ansatzweise höher zu raffen.
"Lass mich in Ruhe, Adrien!", knurrte mich und musste mich kurz darauf etwas besseren belehren lassen.
"Ich bin's Cam. Adrien wartet in der Garage auf dich."
Sofort war ich hellwach. "Was?"
"Ich glaube nicht dass ich mir wirklich wiederholen muss, oder?" Ein amüsiertes Lächeln zierte seine Lippen.
Rasch setzte ich mich auf und sah in fragend an. "Warum wartet dein Bruder in der Garage auf mich?", wollte ich wissen und fuhr mir durch die verstrubbelten Haare.
"Das musst du ihn schon selber fragen. Er wollte von mir, als dein Arzt, nur wissen ob du fit genug für einen kleinen Ausflug bist.", erklärte er und keine zwei Sekunden später war ich ins Bad gestürmt.
"Du sollst Kleidung zum Wechseln einpacken!", rief er mir hinterher, aber ich konnte nicht Antworten da ich bereits meine Zahnbürste zwischen den Zähnen hatte.
Warum wollte Adrien einen Ausflug mit mir machen? Und warum sollte ich Kleidung zum Wechseln mitnehmen? Verwirrt duschte ich in Rekordgeschwindigkeit und zog mich an. Als ich das Bad verließ, lag ein Dunkler Rucksack auf dem Bett, den ich mir schnappte und wild einfach irgendwelche Klamotten hineinwarf.
Schnell warf ich ihn mir über die Schulter und zog im Laufen meine Schuhe an. Das heißt ich versuchte es. Auf der Treppe rutschte ich schließlich aus und musste feststellen, dass es nicht möglich war Schuhe anzuziehen während man Stufen runterrannte.
Cam drückte mir noch schnell ein Toastbrot in die Hand, welches ich auf dem Weg zur Garage hinunterschlang. Die Sonne schien und ich rückte mir meine Sonnenbrille auf der Nase zurück. Ich hatte sie in den Rucksack gefunden und gleich aufprobiert. Sie passte und sah gut aus. Auf der Seite stand ganz klein RayBan. Die Gläser hatten diese typische Pilotenbrillenform und Silber verspiegelt. Kurz: Sie gefiel mir.
Als ich mich der Garage auf wenige Meter genähert hatte, ging das große Tor auf und ich wäre fast ohnmächtig umgefallen.
Adrien saß am Steuer seiner Corvette und das hatte bereits das Verdeck abgebaut, so dass wir ein Cabrio hatten. Aus der Anlage des Wagens dröhnte laut Jungle von X Ambassadors. Die Erde erbebte unter dem schweren Bass.
Adrien trug ebenfalls seine Sonnenbrille und seine Haare standen in BadBoy-Manier wild vom Kopf. Seine Finger trommelten im Tackt auf das Lenkrad während der Lack reflektierend in die Sonne eintauchte.
Am liebsten hätte ich bei diesem Anblick laut geschrien, aber bei den Bässen um uns herum hätte man das wahrscheinlich eh nicht gehört.
Als Adrien mich sah, lächelte er und eine seiner Augenbrauen hüpfte kurz über den Rand seiner Brille. Verdammt war er heiß!
Das Lied endete und man konnte das Grollen der Corvette besser hören.
Adrien stieg lässig aus und schloss das Garagentor.
Ich hatte es noch immer nicht geschafft mich aus meiner Starre zu lösen.
Grinsend kam er zu mir. "Willst du nicht einsteigen?", fragte er und nahm mir den Rucksack ab. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er mir von der Schulter gerutscht war.
"Doch... Schon.", stotterte ich und ließ mich von ihm zum Auto schieben. Ehrfürchtig strich beim Vorbeigehen mit meinen Fingern über die vibrierende Motorhaube, ehe ich mich auf den schwarzen Sitz fallen ließ.
Adrien lachte während er selber Einstieg und dann unendlich langsam über die Auffahrt fuhr. Ich wusste, dass ich ihn fragen sollte, wo wir hinfuhren. Was er vorhatte. Warum ich Wechselkleidung einpacken sollte. Aber ich blieb still und genoss das Gefühl eines starken amerikanischen Motors unter meinen Hintern zu haben.
Cam winkte uns zu, als wir über den Hof fuhren.
Sobald wir festen Asphalt unter den Reifen hatten, gab Adrien Gas und die Corvette schoss davon. Ich johlte begeistert auf. Das war doch ein etwas anderes Gefühl, als Ein Dodge.
Adrien lächelte mich an und driftete um eine Ecke. Er wusste dass mir so etwas Spaß machte. Extrem viel Spaß.
Und eines musste ich ihm lassen: Autofahren konnte er.
Ich meine ich fuhr ja auch nicht gerade wie ein Anfänger, aber bei Adrien war da noch mal ein ganz anderes Wissen. Er kannte seinen Wagen genau und die kleinen Stunts die er machte waren nur ein Vorgeschmack auf sein wahres Können.
"Cam sagte du hast einen Shelby?", fragte ich als wir an einer roten Ampel standen.
Adriens Blick flog durch seine Brille zu mir. "Hat er das?"
Ich bejahte. "Aber ich hab ihn nicht in deiner Garage gesehen."
"Das hat auch seinen Grund.", meinte er und sah wieder zur Ampel. Rot wurde zu Gelb und dann zu Grün. Mit quietschenden Reifen fuhr er wieder an.
"Darf ich fragen welchen?" Ich lächelte ihn an und rückte meine Sonnenbrille zurecht.
"Klar darfst du." Er grinste "Ich hab ihn bei meinem ersten illegalen Rennen in den Vereinigten Staaten gewonnen. Und wenn die Ami's eine Sache gut können, dann Autos tunen."
"Du bist in Amerika Rennen gefahren?!", rief ich und starrte ihn ungläubig an. Stolz nickte er.
"Wow.", kommentierte ich nur.
"Tja und deswegen werde ich ihn auch nie hergeben.", lachte er und ließ eine Hand aus dem Auto hängen.
"So wie bei dir und deinem Dodge.", setzte er dann noch dazu und zwinkerte mir zu.
"Stimmt.", sagte ich und hielt die Arme nach oben. Es fühlte sich an als könnte ich den Himmel einfangen. Er war so nah.
"Ich würd gerne mal gegen dich fahren.", meinte er nach einiger Zeit in der wir nur über Landstraßen fuhren. Anfangs hatte ich noch versucht mir den Weg zu merken. Für den Fall der Fälle aber spätestens nach der ersten Kreuzung hatte ich den Faden verloren. Adrien war nicht dumm. Sein Anwesen lag weit entfernt von jeglicher anderer Zivilisation.
"Oh glaub mir du würdest eh gewinnen.", lachte ich nur und strich mir einmal erfolglos durch die flatternden Haare.
"Wie kommst du darauf?" Erneut zog er eine Augenbraue über die Fassung der Brille und blickte kurz zu mir.
"Weibliche Intuition.", erklärte ich und biss mir grinsend auf die Unterlippe.
Er lachte. "Nein. Jetzt mal ernsthaft: Warum denkst du, dass du verlieren würdest?"
"Man sieht dir die Erfahrung an. Die Art wie du fährst. Die Lockerheit mit der du die Corvette steuerst. Ich weiß auch nicht genau...", versuchte ich meine Eingebung in Worte zu fassen.
"Sieht man es mir wirklich so an, dass ich ungeschlagner Fahrer bei illegalen Straßenrennen bin?", lockte er und geizte nicht mit Prahlerei.
Lachend schlug ich ihn leicht auf die Schulter.
Er tat gespielt entsetzt und fuhr mit Absicht ein paar Schlangenlinien.
Ich lachte noch lauter als die Autos hinter uns entsetzt hupten. Aber bei Adrien war ich mir irgendwie ziemlich sicher, dass wir uns nicht aus Leichtsinn mit der Corvette überschlugen.
Ein paar Kilometer weiter fuhr er auf die Autobahn und nachdem wir uns eingefädelt hatten, drückte er das Gaspedal voll durch.
Begeistert feuerte ich ihn an und als er sich, ohne das Tempo zu verringern, verbotener Weise zwischen ein paar anderen Autos durchquetschte hatte ich mein Glück im Döschen.
Irgendwann hatten wir das Radio eingeschaltet und hörten gerade eine von Adriens Playlisten. Sein Musikgeschmack war im ersten Moment laut, dunkel und mit viel Bass. Aber ich musste sagen, dass ich dieses Genre mochte. Es wurde nie langweilig.
Das letzte Lied endete und keine Sekunde später tönten die ersten Takte von Fall Out Boy durch die Anlage.
"Du hörst Fall Out Boy?!" Meine Augen weiteten sich überrascht.
"Ja, warum denn nicht?" Er war genauso überrascht.
"My Songs know what you did in the Dark ist einfach nur genial!", freute ich mich und Adrien drehte noch lauter. Es war perfekt!
Laut sang ich den Refrain mit und konnte gar nicht oft genug betonen, wie glücklich ich gerade war.
Ich hatte keine Ahnung wie lange wir so fuhren, bis sich der Himmel irgendwann verfinsterte und ich kurz darauf den ersten Regentropfen abkriegte.
"Es regnet.", brachte ich überrascht hervor.
"Ich weiß. Lass uns kurz irgendwo Pause machen. Ich muss eh Tanken.", entschied er und fuhr wenige Meter später die nächste Abfahrt runter und zur Tankstelle. Ich drehte das Radio leiser und einige Leute drehten sich zu uns um, als wir an die Zapfsäule fuhren. Adrien baute erst das Dach wieder auf das Auto, ehe er den Tank wieder auffüllte.
Entspannt lehnte ich an der Karosserie und beobachtete ihn.
Mein Blick flog umher und ich wägte kurz ab ob ich eine Flucht wagen sollte. Hier waren genug Menschen. Ich müsste eigentlich nur laut schreien. Aber wollte ich denn überhaupt noch fliehen? Adrien sah wohl an was ich dachte, denn er kam zu mir, lehnte sich vor und flüsterte in mein Ohr. "Denk nicht einmal dran. Da hinten ist ein Vater mit seinen zwei kleinen Töchtern, ich möchte sie nicht töten müssen nur weil sie Zeuge wurden wie du versucht hast abzuhauen." Seine Worte waren wie Messerstiche für mein Herz und erinnerten mich daran wen ich hier vor mit hatte.
"Keine Sorge, ich hatte nicht vor abzuhauen.", flüsterte ich und schaffte es nicht meine Angst zu verstecken.
"Gut. Dann hätten wir das geklärt, möchtest du einen Kaffee?", fragte er so froh wie vorher. Ich schüttelte den Kopf und ging vor ihn her in das Tankstellengebäude.
Ich wusste dass er mich nicht aus den Augen ließ, denn seine Blicke brannten sich in meinen Rücken. Und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Wäre ich er hätte ich auch damit gerechnet, dass ich einen Fluchtversuch starten würde.
Als wir nebeneinander an der Kasse standen wollte ich mich einen - wirklich nur einen - Schritt von ihm wegbewegen, da schoss seine Hand vor und umklammerte mein Handgelenk schmerzhaft.
"Ich dachte ich hätte mich klar ausgedrückt.", knurrte er nachdem er mich zurückgezogen hatte. Für Fremde mussten wir wohl aussehen wie ein Liebespaar.
"Hast du.", giftete ich leise zurück und brachte ihn gerade mit meinen Blicken um.
"Das hoffe ich. Um deinetwillen." Seine Lippen streiften sanft mein Ohr.
Er bezahlte als wäre nichts passiert und kaufte dann noch zwei Kaffee. "Schwarz mit zwei Stücken Zucker.", sagte er und stellte den Pappbecher vor mich auf den Stehtisch.
"Stimmt. Woher weißt du das?", verlangte ich irritiert zu wissen.
"Ich weiß mehr als dir lieb sein sollte.", antwortete er und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Und um ehrlich zu sein machte er mir damit ein bisschen Angst. Dass er so viel über mich wusste, war wirklich beängstigend. Irgendwie. Es glich der Angewohnheit eines Stalkers. Aber das sagte ich ihm nicht.
Vorsichtig nippte ich an dem heißen Getränk und blickte nach draußen. Der Himmel war dunkel und schwere Gewitterwolken hingen vor der Sonne.
Dicke Regentropfen fielen auf den Boden und bildeten große Pfützen. Donner und Blitz wechselten sich ab und mir wurde bewusst, dass dies das erste richtige Sommergewitter in diesem Jahr war. Adrien musterte mich verstohlen von der Seite.
Langsam leerte ich meinen Becher. Wirklich scharf darauf in das Unwetter zu fahren, war ich eher nicht.
Der Kaffee war gut. Aber auch nur weil ich so lange keinen richtigen mehr hatte.
"Wie lange sind wir schon unterwegs?", seufzte ich und stützte mein Gesicht auf meine Hände.
"Knapp 5 Stunden.", entgegnete er.
"5 Stunden?", echote ich und meine Hoffnung sank.
"Und wie lange müssen wir noch?" Ich schluckte den letzten Kaffee.
"Nochmal 4 bis 5."
Bei seinen Worten ließ ich meinen Kopf mit einem dumpfen Knall auf die Tischplatte fallen und stöhnte laut.
"Wo fahren wir überhaupt hin?", meckerte ich.
"Das wirst du schon sehen wenn wir da sind.", erwiderte er und um seinen Mund kräuselte es sich amüsiert.
Ich stöhnte noch lauter und ein LKW-Fahrer neben und drehte sich genervt zu mir um.
Glucksend zog Adrien mich aus der Tankstelle zurück zum Wagen und wir rannten das kurze Stück, welches nicht überdacht war. Trotzdem reichten die wenigen Schritte um meine Haare zu verstrubbeln.
Angewidert ließ ich mich auf meinen Sitz gleiten und genoss die vorhandene Wärme.
Kurze Zeit später waren wir wieder auf der Autobahn.
Adrien und ich redeten fast eine Stunde über Gott und die Welt, bis das graue Wetter mich allmählich müde machte.
Ich zog die Beine auf den Sitz und war kurz darauf eingeschlafen.

Als ich langsam wieder wach wurde, war es draußen bereits dunkel und es hatte aufgehört zu regnen. Allerdings waren die Straßen noch immer nass.
"Auch mal wieder wach?", provozierte Adrien direkt und lächelte.
"Ja ich hab dich auch lieb.", knurrte ich und setzte mich auf.
Doch als ich aus dem Fenster blickte, erschrak ich. Die Gegend kam mir seltsam bekannt vor.
Diese Straßen. Die Läden. Die Schilder. Die Clubs.
Verunsichert warf ich einen Blick zu Adrien. Er schien es nicht zu bemerken und so sah ich wieder nach draußen.
Wir hielten an einer roten Ampel und wenige Meter neben mir erkannte ich einen leuchtenden Schriftzug. "Das Midnight?", wisperte ich und legte eine Hand auf das Fenster als wir weiter fuhren. Adrien sah mich an um meine Reaktion abschätzen zu können.
Ich schluckte schwer. Das hier war meine Stadt. In dieser Sekunde bog Adrien in meine Straße ein.
Ich fröstelte vor dem Ende der Straße. Ich wusste was mich dort erwarten würde.
Aber ich wollte es nicht sehen.
Mein eigenes Blut rauschte viel zu laut in meinen Ohren als Adrien die Corvette schräg gegenüber meines eigenen Hauses parkte und das Licht abschaltete. In der Küche brannte Licht und ich sah meine Mutter die mit müden Augen am Herd stand.
Tränen brannten in meinen Augen und mit dünner Stimme hauchte ich ein leises: "Ich bin Zuhause!"

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now