Kapitel 17

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Ich öffnete meine Augen zwar für einen kurzen Moment, als ich aufwachte, aber schloss sie kurz darauf schon wieder, um im nächsten Moment dann festzustellen, dass ich nicht wie an jedem Schultag durch das Klingeln meines Weckes geweckt wurde und ich musste nicht mal auf die Uhr sehen, um zu wissen, dass ich zu spät sein würde.

Mein Versuch mich abrupt aufrecht zu setzen, scheiterte wegen dem Jungen, der direkt neben mir im Bett lag, sein Arm um mich gelegt und er selbst immer noch am Schlafen. 

"Dylan!"

Ich sprach seinen Namen nicht allzu laut aus, denn allein von dem nicht gerade unsanften Lösen aus seinem Griff sollte er schon wach geworden sein und das war glücklicherweise auch tatsächlich der Fall, denn ebenso wie ich sprang er aus dem Bett und verschwand im Badezimmer, das ich ihm unter Hektik gezeigt hatte, bevor ich mich in meinem eigenen Zimmer umzog und dann einen Blick auf die Uhr warf. In zehn Minuten fing der Unterricht an. Wir würden zu spät kommen und das wäre dann das zweite Mal. 

Als ich das Badezimmer betrat, war Dylan gerade dabei sich die Zähne zu putzen, mehr oder weniger. Ohne Zahnbürste ging das schlecht, weshalb er zumindest durch die Mundspülung einen frischeren Atem hatte. 

"Liv."

"Hm?"

Er sah ein wenig amüsiert aus, als er mich ansah und ich hatte keine Ahnung, weshalb. Ich sollte diejenige sein, die ihn so ansah, denn seine Haare standen in alle Richtungen ab und ließen ihn verschlafen aussehen, während ich noch einigermaßen akzeptabel aussah. 

"Du hast dein Shirt falschrum angezogen", antwortete er und mit anfänglicher Verwirrung sah ich an mir herunter, um festzustellen, dass er Recht hatte. Ich konnte nicht anders als die Augen über meine eigene Dummheit zu verdrehen. Sein Glück, dass er mitdachte und das Bad verließ, sodass ich meine Zähne zu Ende putzen und mir mein Shirt anziehen konnte -dieses Mal natürlich richtig herum. 

Wir redeten auf dem Weg zur Schule -den wir übrigens laufen mussten- nicht wirklich viel. Ich für meinen Teil war in meinen eigenen Gedanken versunken, was Dylan anging, schien es nicht besonders anders zu sein. Der Stress heute früh hatte mir gar keine Zeit gelassen, um mich an die gestrigen Ereignisse zu erinnern. Erst der Mann, der wie aus dem Nichts gegen Dylans Auto gefahren war und dann die Dinge, die er mir vor und nach dem Unfall, der ja nicht wirklich einer gewesen war, erzählt hatte. Natürlich hatte ich darüber nachgedacht und natürlich hatte ich nochmal alles hinterfragt, ohne dass es mir aber etwas gebracht hatte. Immer noch erschien mir alles unreal und absurd, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fing ich an zu glauben. Zu glauben, dass das doch stimmte. 

Wir beeilten uns nicht mal mehr; wir waren sowieso schon zu spät und ob es fünf oder zehn Minuten waren, zählte jetzt eigentlich auch nicht mehr. Am liebsten wäre ich einfach Zuhause geblieben, einen Grund hätte ich nach dem Autounfall sogar mehr oder weniger gehabt, aber ich konnte mich nicht immer zu zurückziehen. Ich tat oft gewisse Dinge, die ich nicht wollte und das nur, um mich gegen mich selbst durchzusetzen. So war ich zu meinem starken Willen gekommen. 

"Wir sollten uns auf eine Ausrede einigen, bevor wir zwei verschiedene Lügen erzählen", stellte ich fest, als wir das Schulgebäude schließlich betraten. Abgesehen von einer Lehrerin, die kurz an uns vorbeilief -und das überraschenderweise ohne etwas zu sagen- begegneten wir glücklicherweise niemandem. Kein Wunder, immerhin waren alle anderen gerade bei ihrem Unterricht, pünktlich.

"Probleme mit dem Auto", schlug er vor und ich gab mich damit zufrieden, denn auf die Schnelle fiel mir selbst nichts Besseres ein. Etwas Anderes wäre wahrscheinlich auch nicht viel glaubhafter gewesen als eine einfache Autopanne. 

"Wir sehen uns später?"

Ich nickte und unsere Wege trennten sich, als ich auf den Chemieraum zulief, während er in eine andere Richtung lief, da er in der ersten Stunde einen anderen Kurs hatte -welchen wusste ich nicht mal. 

Mit einer Entschuldigung und der zuvor besprochenen Ausrede ließ ich mich auf einem freien Platz nieder und versuchte dem Unterricht zu folgen. Versuchte. Ich konnte nicht mehr aufhören, daran zu denken. Ich wollte einen Zusammenhang zwischen all den Dingen finden, aber jedes Mal, wenn ich glaubte, eine sinnvolle Theorie zu finden, stellte ich im Nachhinein fest, dass meine Vermutungen doch keinen Sinn ergaben. Es war ein endloser Teufelskreis. Und dabei wusste ich, dass ich von alleine nicht auf viel mehr kommen würde, als ich schon wusste. 

Ich nahm mir vor, Dylan nochmal zu fragen. Er wusste mehr als er mir erzählt hatte. Zwar war die gestrige Information erstmal genug zum Verarbeiten gewesen, aber heute war ein neuer Tag und konnte es eigentlich noch schlimmer oder kurioser werden? Selbst wenn, in diesem Fall wäre das zusätzliche Wissen mein Vorteil. Je mehr ich darüber wusste, desto besser.

Und dann fiel mir ein, was Dylan mir über diesen Psychologen erzählt hatte. Den Psychologen, der nicht nur Psychologe war. Die Person, von der all das wusste, was er mir gestern erzählt hatte und vielleicht noch erzählen würde. Wieso sollte ich also Dylan ausfragen, wenn es eine Person gab, die sich damit auskannte, mehr oder weniger sogar darauf spezialisierte? Es war auf keinen Fall mein Wunsch, zum Psychologen zu gehen, denn trotz allem, was mir in den letzten Tagen und Wochen widerfahren war, konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es mir gut ging, aber wenn das eine Möglichkeit wäre, das alles besser zu verstehen, dann nahm ich das in Kauf.  

Den Rest der Stunde verbrachte ich damit, mir zu überlegen, wie ich genau diesen Psychologen finden sollte, wenn ich weder seinen Namen, noch den Namen der Praxis hatte. Ich wusste ja nicht mal, ob diese Praxis in Beacon Hills war. 

Schlussendlich endete meine geniale Idee also doch darin, dass ich Dylan fragen müsste, genau das, was ich mit diesem Einfall eigentlich hatte vermeiden wollen. Gott, ich hasste es so sehr, wenn ich auf andere Leute angewiesen war, sei es auch nur eine Kleinigkeit oder eine einzige Frage. Wenn ich etwas schaffen wollte, dann wollte ich es selbst schaffen. Wenn ich etwas herausfinden wollte, dann kam ich von alleine darauf. Also nein, ich würde ihn nicht fragen. Wie viele Psychologen konnte es hier und in der Umgebung auch schon geben?

Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now