Thema: Hallo, ich bin ein stiller Leser

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Wer die Inhalte zu diesem Beitrag geliefert hat, bleibt anonym. Ich bitte um euer Verständnis.


„Eigentlich ist mir nicht ganz wohl bei der Sache. Denn ich bin von Natur sehr introvertiert. Der Umgang mit anderen Menschen fällt mir nicht so leicht. Auch nicht online. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass ich mich kurz zu Wort melde. Denn mein Ruf auf dieser Plattform ist ziemlich übel. Deswegen möchte ich gern paar Dinge erklären:

Ich bin ein leidenschaftlicher Leser. Zu Hause habe ich eine kostbare Kollektion an Büchern, die mir sehr am Herzen liegt. Allein der Duft, wenn ich eins davon in den Händen halte, tut mir einfach gut.

Irgendwann entdeckte ich die Onlinewelt der Bücher. Es ist eine ganz andere Erfahrung, der ich skeptisch gegenüber stand. Aber nach und nach öffnete ich mich dem unbekannten Terrain. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Unterwegs kann ein dicker Wälzer schon mal zum Problem werden. Vor allem auf Reisen will man keinen unnötigen Ballast mitschleppen.

Ich wurde immer neugieriger und stieß irgendwann durch Zufall auf diese interessante Plattform. Hier hat jeder noch so unerfahrene Hobbyautor die Möglichkeit, seine Werke zu veröffentlichen. Ein spannendes Konzept! Ich blieb also hier hängen.

Ich laß erst Bücher von Autoren, die bereits recht erfolgreich sind und von der Plattform beworben werden. Eins fiel mir dabei natürlich direkt ins Auge - diese merkwürdigen Pluszeichen am Ende jeden Kapitels. Was hatte das zu bedeuten? Ich stellte fest, hier melden sich Leser fleißig zu Wort und kommentieren den Geschichtsverlauf. Sie freuen oder ärgern sich über das Handeln der Protagonisten, weisen auf Schreibfehler hin oder geben Verbesserungsvorschläge ab. Verrückt, dachte ich mir. Warum tun die Leser das? Was motiviert sie dazu?

Ich saß also da und dachte über das mir unbekannte Konzept nach. Wenn ich in einer Hand mein Tablet halte und in der anderen meinen wohltuenden Früchtetee, wie soll ich da noch Kommentare verfassen? Ich war allein von dem Gedanken irgendwie angestrengt.

Aber neugierig war ich trotzdem. Irgendwie juckte es mich dann doch in den Fingern mitzumachen. Also traute ich mich, an einer spannenden Stelle in einer Geschichte, meinen Senf abzugeben. Tja, das wars dann auch. Der Autor reagierte darauf nicht. Und auch die anderen Leser schienen sich herzlich wenig für meine Meinung zu interessieren. Dann eben nicht, dachte ich mir. Es unterbricht sowieso nur meinen Lesefluss. Ich will mich lieber in dem Werk verlieren und nicht darüber diskutieren.

Mir fiel noch eine andere Sache auf, die anders war, als in klassischen Büchern. Man durfte jedem Kapitel ein Sternchen vergeben. Gute Sache, dachte ich mir. Eine wertschätzende Anerkennung für den Autor war durchaus angemessen, wenn ein Kapitel im besonderen Umfang überzeugte. Ich freute mich, als ich an einer Stelle des Buches, das ich las, tatsächlich das Bedürfnis verspürte, dem Autor einen Stern da zu lassen. Die Story hatte sich sehr spannend entwickelt und mich an dieser Stelle richtig überrascht. Bitte sehr, ein Sternchen. Dieses Kapitel hatte es sich wirklich verdient.

Mit der Zeit entdeckte ich auf dieser Plattform auch Geschichten, die noch keinen großen Bekanntheitsgrad hatten. Mit einer gezielten Suche nach besonderen Inhalten, bin ich erst auf sie gestoßen. Doch es hatte sich gelohnt. Auch die eher unbekannten Autoren hatten fantastische Geschichten im Angebot. Hin und wieder ließ ich ein Sternchen da, wenn mir eine Stelle besonders gut gefallen hat. Das Kommentieren konnte sich bei mir jedoch nicht durchsetzen. Es war nicht mein Ding. Ich bin ein sehr ruhiger Mensch und habe einfach kein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis.

Eher zufällig stieß ich schließlich auf Beiträge von Autoren, die ihren Unmut über stille Leser äußerten. Einem Leser, wie mir, der wenig bis garnicht mit dem Schriftsteller interagiert. Die Vorwürfe waren knallhart: Ihr lest hier umsonst, also ist das Mindeste was man erwarten kann ein Vote oder mal ein anerkennendes Feedback! So schwer ist das nicht! Jeder kann das! Wegen euch verlieren die Autoren die Lust zu schreiben und verschwinden von der Plattform!

Wie bitte, dachte ich. Umsonst?! Ich habe doch ein Abo und zahle jeden Monat meinen Beitrag, um hier werbefrei lesen zu dürfen. Außerdem nutze ich natürlich auch die Offline-Funktion auf meinen vielen Reisen. Da ist eine Interaktion mit dem Autor gar nicht vorgesehen.

Ja, ich fühlte mich sehr angegriffen. Auch von den Autoren, die sich gewählt ausdrückten und probierten möglichst diplomatisch ihren Unmut über die stillen Leser zu vermitteln. Am Ende war die Botschaft ja die gleiche: Der Stille Leser ist ein Schmarotzer.

Nach einer langen Diskussion mit mir selbst, kam ich zu dem Entschluss, dass ich nicht falsch gemacht habe. Ich möchte die Handlung nicht kommentieren. Ich möchte mir nicht zum Ende eines Kapitels kein Kompliment aus den Fingern saugen müssen. Egal wie einfach das ist. Und ich möchte auch nicht jedes Kapitel mit einem Stern würdigen, um den Autor bei Laune zu halten. Nicht jedes Kapitel verdient einen Stern.

Ich konsumiere die Geschichten nicht umsonst. Auch als ich noch kein Abo hatte, zahlte ich mit meiner Zeit, in der ich die nervige Werbung ertragen musste.

Ihr schenkt eure Geschichten dieser Plattform, liebe Autoren. Das ist das Geschäftskonzept. Ihr akzeptiert diese Bedingungen mit vollem Bewusstsein. Niemand schuldet euch etwas."

Writer's PlaceWhere stories live. Discover now