Kapitel 1 - One is the loneliest number

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der alles auf mindestens zwei ausgelegt ist.

Genauer gesagt auf ein Paar.

Ab einem Paar ist man ein Ganzes. Alles darunter ist Mangelware.

Ausschuss. Einfach nicht genug.

Käse oder Wurstwaren gibt es nur im handlichen Familienpack, von dem man ganz locker eine ganze Fußballmannschaft durch den unnachgiebigen sibirischen Winter bringen könnte.

Um nicht zu der massiven Verschwendung von Lebensmitteln beizutragen, bleibt mir als Single nur der Weg zur Frischetheke. Wo der Käse mal eben doppelt so teuer ist wie der industriell abgepackte.

Ich meine ,ganz ehrlich, ist das Wachs um den Käse vorher vergoldet worden? Oder wurde die Kuh jeden Tag von ihrem Landwirt massiert und mit schwarzem Kaviar gefüttert? Wurde die italienische Salami vom Cinta Senese Schwein vom Papst persönlich gesegnet? Oder wie genau kommt dieser massive Preisunterschied zusammen?
Liegt es daran, dass mir eine mies gelaunte Mittvierzigerin die Mortadella Scheiben sortiert und mit einem Gesichtsausdruck, als hätte ihr "Wunschkind" ihr heute morgen in die Crocs gereihert, lieblos aufeinanderklatscht, so schlecht in Papier faltet, dass es jeder Vierjährige mit motorischer Fehlentwicklung besser könnte, diese abwiegt, um mich dann lustlos zu fragen, ob das alles wäre?

Werfen wir einen Blick in die Restaurants, denn da geht es weiter mit unserer Glückszahl, der zwei.

Ausnahmslos jeder freistehende Tisch ist mit zwei Gedecken versehen.

Immer. Es gibt keine Ausnahme in der westlichen Hemisphäre.

Bei der Reservierung beginnt es. Schon mal für eine Person reserviert? Da gibt es immer diese äußerst unangenehmen Fragen.

"Nur für Sie?"
Ja. Ich weiß, es ist seltsam, dass ich alleine bin, aber ja nur für mich.

Und dann, wenn man an seinem Tisch sitzt, wird es meistens noch besser. "Soll ich Ihnen schon mal die Karte bringen oder warten Sie noch auf jemanden?".
Nö, ich bin alleine. Ich weiß, ist kaum vorstellbar. Und das als Frau mit Anfang dreißig.

Heiliger Jesus und Maria.
Schaut mich alle an. Ich bin es, die Übriggebliebene. Ich bin genau die schräge Tante, über die meine Mutter sich immer lustig gemacht hat. Ich bin Tante Inez.

Und da wären wir auch schon bei meiner Familie.

Mein Bruder hatte nämlich schon alle Meilensteine im Leben erreicht. Er hatte quasi das System gedribbelt und die Hauptquest beendet.

Erfolgreich im Beruf? Check.

Wunderschöne Frau, die den Charme eines brasilianischen Models versprüht und auch die gleiche Beinlänge wie Gisele Bündchen hat? Check.

Und weil sie noch ein Zahnpastalächeln hat und eine verdammt coole Sau ist, sogar Doppelcheck.

Kinder? Oh ja.
Damit hatte er meine Mutter verdammt glücklich gemacht. Sie ist eine Bilderbuchoma. Und während der kleine Pedro-Pascal (ja, er heißt wirklich so) stramm auf sein zweites Lebensjahr zumarschierte, der Windelphase entwuchs und mit jedem weiteren Tag näher an die Trotzphase kam, wuchs in Gisele 2.0's Bauch gerade das nächste kleine Wunder heran.

Dieses Mal ein Mädchen.

Hach, wie herrlich. Was eine Traumfamilie.

So wie man es sich wünscht. Zuerst der Junge, dann das Mädchen. Wie bei meinem Bruder und mir.

Und während Ez, ganz weit vorne im Geschwisterranking führte, hinkte ich wie ein angeschossenes Murmeltier hinterher.

Das uns nur drei Lebensjahre trennen, machte es nicht besser. Und dass ich eine Frau bin, machte alles sogar noch schlimmer.

Unendlich weit - so wie der Himmel [PAUSIERT]Where stories live. Discover now