Allerdings war ich nun zu weit gekommen, um umzukehren. Ich drehte mich zu Yeosang und reichte ihm das Sicherungsseil.

„Ich gehe zuerst und wenn ich drüben bin und eine geeignete Stelle zum Stehen gefunden habe, kannst du nachkommen."

„Alles klar." Yeosang schien langsam aber sicher an meine verrückten Pläne gewöhnt zu sein, denn ohne mit der Wimper zu zucken hatte er mir zugestimmt und prüfte nochmal das Seil. „Es kann losgehen."

Ich atmete nochmal durch und drehte mich dann zur Seite, um mich direkt an der Wand entlangzuhangeln. Außerdem bemühte ich mich, nur auf meine Füße zu sehen, denn wenn ich hier auf einen losen Stein trat oder abrutschte, wars das. Allerdings schien meine Sorge unbegründet, denn ich kam unversehrt auf dem kleinen Plateau an und trat in den Durchgang zum Grabkomplex, um mich an der Wand abzustützen und dann Yeosang zuzurufen.

„Du kannst rüberkommen."

Auch mein bester Freund nahm die kleine Hürde spielend leicht und wir konnten das Seil wieder im Rucksack verstauen und dafür unsere Stirnlampen einschalten, da das helle Tageslicht nur wenige Meter des recht breiten Ganges beleuchtete.

Jedes Mal aufs Neue überkam mich ein Moment der Ehrfurcht, wenn ich einen dieser Grabschächte betrat und diesmal war die Ehrfurcht verbunden mit dem Gefühl auf der richtigen Spur zu sein und kurz davor zu stehen, etwas wirklich Wichtiges zu finden.

Langsam trat ich weiter in den Gang hinein und blickte mich um. Die Wände waren hier noch recht glatt behauen und meine Lampe huschte flüchtig über einige Risse und Scharten, da wo die Zeit ihren Zahn angesetzt hatte. Auch etwa zehn Meter weiter konnte ich keinen Grund dafür erkennen, warum unser Professor meinte, dies wäre eine Sackgasse und man könne keinesfalls an die Grabkammer gelangen. Ich konnte gute zwanzig Meter nach vorn in den Stollen sehen, doch erkannte dabei nichts Auffälliges. Also atmete ich noch einmal tief durch und schritt dann in die Dunkelheit.

Aber nachdem wir gute vierzig Meter zurückgelegt hatten, lagen die ersten Geröllhaufen auf dem Boden und auch der ganze Schacht wirkte weniger vertrauenserweckend, da die Wände von klaffenden Spalten durchzogen wurden.

„Verdammt... das könnte echt gefährlich werden", murmelte mein Kumpel und überprüfte nochmal seine Ausrüstung. Dann jedoch folgte er mir schweigend und äußerte keine weiteren Bedenken, während ich nach möglichen Gefahren oder gar Fallen Ausschau hielt. Gerade war meine größte Sorge tatsächlich eine Verschüttung oder das Auslösen eines Steinhagels.

Bald schon endete die Suche jedoch vor einem restlos verschütteten Gang, der wie aus dem Nichts vor mir auftauchte. Innerlich fluchte ich leise und blickte mich ungläubig um. Wir waren auf unserem Weg hierher nicht an einer einzigen Weggabelung vorbeigekommen, was untypisch für solche Grabstätten war. Meistens gab es mehrere Wege, die abzweigten, um den Suchenden in die Irre zu führen und seine Orientierung zu verwirren. Und noch etwas war seltsam.

„Ist dir aufgefallen, dass der Weg nicht wie üblich in die Tiefe führt? Der Gang ist vollkommen gerade."

Yeosang brummte zustimmend und trat dann neben mich. „Aber was machen wir jetzt? Ist das doch nicht der richtige Gang?"

Verunsichert zuckte ich die Schultern, allerdings riet mir mein Instinkt, dass ich hier weitersuchen sollte und das Gefühl wurde stärker, als ich mich an der Wand entlangtastete. Yeosangs Worte hallten noch in meinen Ohren nach und auf einmal kam mir eine Idee.

„Hilf mir bitte mal, die Wände abzusuchen. Du hast recht, vielleicht ist das nicht der richtige Gang... und er ist versteckt."

Mit gerunzelter Stirn folgte mein Kumpel der Anweisung und nahm sich die gegenüberliegende Wand vor.

„Such nach großen Vertiefungen, die aber zu gerade sind, um von der Natur geschaffen zu sein. Es muss zum Schema der behauenen Felswände passen."

Ich fasste neuen Mut und untersuchte jede breitere Spalte und jeden Unebenheit, die mir verdächtig vorkam, doch da war nichts. Meine Fingerspitzen fühlten sich schon leicht wund an, doch ich tastete immer weiter über den schartigen Stein, denn ich war mir sicher, dass ich irgendwo fündig werden würde.

„Hier! Ich hab was!" Ich zuckte zusammen und lief dann so schnell ich konnte zu Yeosang, der vor der Wand kniete und seine Fingerspitzen in einen schmalen Spalt klemmte. Ich versuchte, ihm zu helfen und mit anzufassen, doch die Felsplatte war wohl so dick, dass wir es mit bloßen Händen nicht schaffen würden, sie zu bewegen. Ich setzte meinen Rucksack ab und kramte den Meißel hervor, den ich genau für solche Zwecke mitgenommen hatte.

Mit all meiner Kraft trieb ich ihn in den Spalt und setzte ihn dann als eine Art Hebel ein. Diesmal gelang es uns tatsächlich, den Spalt zu vergrößern und als wir einen Abstand von circa fünf Zentimetern geschaffen hatten, sackte die Steinplatte, die offenbar den richtigen Durchgang versteckt hielt, wie von selbst nach hinten weg.

Ich jubelte und hüpfte kurz aufgeregt auf und ab. Inzwischen verstand ich den Enthusiasmus des Professors und teilte ihn in diesem Augenblick voll und ganz. Mit aufgeregt klopfendem Herzen starrte ich auf den freigelegten Schacht, der vor uns sanft abfiel und immer tiefer in den Fels zu führen schien.

Zielstrebig griff ich nach meiner abgelegten Ausrüstung und trat zuerst in den Gang. Nach einigen Metern besann ich mich und achtete wieder verstärkt auf die Wände und den Boden.

„Wir müssen vorsichtig sein. Hier könnte es Fallen geben", murmelte ich.

Yeosang seufzte hörbar und dennoch folgten mir seine Schritte rasch. „Wie sollte es auch anders sein... eine einfache Grabsuche wäre ja auch zu unspektakulär."

So wagten wir uns Meter für Meter voran und ich befürchtete beinahe, dass der Schacht ewig weiter in die Tiefe führen würde, als er sich plötzlich auch noch teilte und das dummerweise nicht nur einmal, sondern gleich in drei Gänge.

„Na toll... und welchen nehmen wir jetzt?" Leider war ich ebenso ratlos wie mein Freund, also blieb ich stehen und sah mir alle drei Gänge genau an. Dann plötzlich erweckte ein kleines Detail meine Aufmerksamkeit. Der Mittelgang schien im Gegensatz zu den zwei äußeren wieder leicht anzusteigen und sofort dachte ich an das Rätsel.

„Auge in Auge mit dem Fennek, wir suchen also das gegenüberliegende Grab und an der Seite des Stiers... der Stier liegt demnach in der Mitte, was Sinn ergibt, da er zwei Hörner hat, also zwei abzweigende Gänge zu beiden Seiten." Yeosang sah mich gleichwohl fasziniert wie verstört an und schnaubte dann leise. „Aller klar Sherlock, und welchen der beiden äußeren Gänge nehmen wir jetzt?"

„Mhm~ ich würde den nehmen, der links liegt. Das mysteriöse Grab wird zuerst genannt, dann der Stier und daraufhin der Fennek, außerdem war die Schrift auf der Rolle ebenfalls von links nach rechts zu lesen." Ich sah prüfend zum linken Gang. „Ich bin für diesen Gang."

„Alles klar, dann auf geht's", stimmte Yeosang zu und warf noch einen prüfenden Blick auf die anderen beiden Gänge. „Wie erklärst du dir eigentlich dieses Gemeinschaftsgrab, Ji? Ich meine, das hier sieht aus, als wäre es ein Grabkomplex für eine gesamte Familie oder irgendwas anderes steckt dahinter."

Dann schien ihm noch etwas einzufallen. „Und wenn das der richtige Weg zum Grab von Bang Chan ist, dann ist dieser eingestürzte Tunnel da draußen nur~" „Eine Ablenkung. Ja, das denke ich auch." Ich drehte mich kurz zu ihm. „Es sollte hier keiner forschen... und das hat auch keiner. Alle haben sie ganz brav den Gang dort oben untersucht und entweder befindet sich an dessen Ende ein weiteres Grab, welches womöglich einfach als Tarnung dient oder er endet im Nichts."


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Hey ihr Lieben, ich hoffe, das vorweihnachtliche Chaos hat euch nicht eingeholt und ihr fiebert immer noch voller Freude euren Geschenken entgegen. Ich suche in den letzten Tagen vielmehr meine Motivation für die bevorstehenden Feiertage, aber vielleicht kommt sie ja von selbst zurück. 😄

I love you Stay. 💖

God-king of Egypt | MinsungWhere stories live. Discover now