Kapitel 5

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„Noch ist er Referendar", grinste Mia, die meine Alles-Ist-Aussichtslos-Umschwünge gewohnt war. „Und mal ganz ehrlich: Wäre er ein 24 jähriger Bauarbeiter würde dich das doch auch nicht jucken. Er ist ein Mensch, verdammt, Beruf hin oder her."

Ergeben seufzte ich. Blieb nur zu hoffen, dass Micha diese Schüler-Lehrer-Sperre ebenfalls nicht juckte, und vor allem, dass er sich nicht für jemand anderes entschied. Oder nicht schon jemand anderes hatte.

Da wir kaum Hausaufgaben aufhatten, machte ich einen ausgedehnten Spaziergang durch den Wald bevor ich mit Mia zu Kampfsport lief.

Das Gebäude war von außen grau und unscheinbar, nur ein großes Banner verriet, dass sich noch etwas in der alten Sporthalle befand.

Die Umkleidekabinen waren sauber und ordentlich, ganz anders, als die in der Schulsporthalle, und vor allem bekam man hier keine Atemnot durch Deoüberdosierung.

Schnell hatten wir uns unsere weißen Kampfanzüge angezogen und hüpften barfuß die Treppe zur Halle hinab. Mit den weiten Klamotten wirkten wir wie zwei fehlplatzierte Schneemänner, aber immerhin sahen die anderen nicht besser aus.

In kleinen Grüppchen plaudernd standen etwa fünf Leute in der mit Matten ausgelegten Halle. Heute waren wir wohl eine verhältnismäßig kleine Gruppe, und mal wieder waren Mia und ich die einzigen Mädchen.

Den ein oder anderen kannte ich, aber da ich donnerstags normalerweise nicht ins Training ging, fand ich auch ein paar unbekannte Gesichter.

Hinter uns kamen noch zwei Jungs hinein, die auch gestern im Training gewesen waren. Lächelnd begrüßten wir uns auf Kampfsport-Manier: Beide hielten die Hand hoch, schlugen ein und stießen dann die Fäuste zusammen.

Für Außenstehende musste das wirken wie die Obermacker-Begrüßung schlechthin, aber hier war das ganz normal.

Der Höflichkeit halber gingen wir herum und begrüßten einen nach dem anderen, auch den Trainer, der sich gerade mit einem Fortgeschrittenen unterhielt. Die, die man schon länger kannte, wurden kurz umarmt, andere wurden nur flüchtig angelächelt.

Wir hatten uns gerade zu einer Gruppe gestellt, um mitzuplaudern, als auf einmal eine durchaus vertraute Person die Halle betrat.

Mein Herz machte einen Satz, Mia wischte das unverschämte Grinsen von ihrem Gesicht, bevor jemand es bemerken konnte, und der Trainer sagte lächelnd: „Sieh an, unser neues Mitglied. Warst du nicht gestern und vorgestern auch schon hier?"

„So schnell werdet ihr mich nicht mehr los", lächelte Micha und begrüßte einen nach dem anderen fröhlich. Alle schienen ihn bereits zu kennen, obwohl er diese Woche das erste Mal hier war, und empfingen ihn freudestrahlend.

Micha war hier ein Kampfsportschüler wie jeder andere auch, aber wohin er auch ging, alle schienen ihn zu mögen. Wie sollte ich da nur herausstechen?

„Na ihr zwei? Wie geht's?", fragte Micha uns, während er mit Mia die Faust zusammenstieß.

„Ganz gut", antwortete ich. „... bevor du gekommen bist."

Ups. Das entsprach zwar der Wahrheit, da ich gerade drohte, an einem Herzkollaps zu sterben, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob Micha die Ironie gehört hatte. Wenn er jetzt beleidigt war, konnte ich mein Vorhaben endgültig abhaken.

Man, konnte ich nicht einfach mal im rechten Moment die Klappe halten?

Frech grinsend, um die Situation aufzulockern, wich ich zurück.

Einen Moment starrte Micha mich an, dann kam er spielerisch drohend auf mich zu.

„Lauf doch nicht weg ohne mich angegrüßt zu haben", sagte Micha mit einem lauernden Unterton. „Solche unhöflichen Manieren wollen wir uns doch gar nicht erst angewöhnen."

KämpferherzenWhere stories live. Discover now