IV. Geburtstag an Bord

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Erics Schiff setzte pünktlich vom Hafen ab. Ich war im Endeffekt die einzige Frau auf dem Schiff und konnte mir schon vorher ausmalen, dass das eine ziemlich einsame Fahrt werden würde. Das Partytier war schon immer Eric und nicht ich. Also werde ich mich wahrscheinlich die ganze Zeit auf dem Schiff selbst unterhalten, während mein Bruder sich an seinem 21. Geburtstag schön feiern ließ. Vielleicht würde ich noch ab und an Besuch von Grimsby bekommen und mein Bruder würde auch irgendwann einfallen, dass er mich ja ebenfalls auf das Schiff eingeladen hatte, aber der Rest der Crew wird sich von der Prinzessin fern halten. Ich frag' mich, ob das etwas mit Erics oder Grimsbys Anwesenheit zu tun hat.

Na ja, auf jeden Fall hatte sich meine Vermutung bestätigt. Da hätte ich auch im Schloss bei Mutter und bei Arielle bleiben können. Aber Eric hatte mich so nett gebeten, dass ich für seinen 21. kaum nein sagen konnte.

Während Eric also an seinem Geburtstag mit der ganzen Mannschaft feierte, stand ich an der Reling des Schiffes und sah mir das Feuerwerk an. Ich war so auf den Himmel fokussiert, dass ich einen gewissen Rotschopf gar nicht sah, als er in ein Rettungsboot kletterte, dass direkt vor mir an der Seite des Schiffes hing.

Als ich dann allerdings wieder auf das Wasser blicken wollte, sprang mir seine glitzernde Schwanzflosse ins Auge. Schockiert sah ich zu ihm herunter. Er winkte nur schüchtern. Schnell schaute ich einmal um mich herum, um sicherzustellen, dass keiner in der Nähe war, bevor ich wieder zu ihm sah. "Was machst du hier?", flüsterte ich gerade so laut, dass er mich über die Musik hörte. "Ich hab die Lichter gesehen", meinte er und deutete in die Höhe. Ich rollte nur lächelnd mit den Augen. "Das ist Feuerwerk. Wir zünden kleine Raketen an und die explodieren dann in der Luft. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert." Er nickte, während das Feuerwerk sich in seinen Augen spiegelte.

Nachdem er eine Weile die Lichter am Himmel betrachtet hatte, lugte er vorsichtig über den Schiffsrand und sah durch die Löcher der Reling auf das Schiff. Ich drehte mich um und folgte seinem Blick. Eric tanzte gerade laut singend auf dem Schiffsdeck. "Ist das dein Bruder?" "Jap, das ist Eric."

Mein Bruder wurde gerade von der Mannschaft hochgehoben, als Grimsby dazwischen funkte. "Und das ist Grimsby." Ganz leise hörte ich Arielle verständnisvoll summen.

Eric protestierte sofort gegen Grimsby, während sie beide in meine Richtung traten. "Pass auf, dass sie dich nicht sehen", meinte ich kurz bevor die beiden in Hörweite kamen. Zur Kontrolle sah ich nochmal kurz über meine Schulter. Arielle hatte sich wieder zurück ins Boot gelegt und sollte, solange niemand an die Reling trat, nicht gesehen werden.

"Ach komm schon, Grimsby. Warum soll ich mich nicht ein bisschen amüsieren? So wie alle anderen." "Ihr, Sire, seid nicht wie alle anderen. Allmählich wird es Zeit, dass ihr von der Besatzung Abstand nehmt, so wie eure Schwester es tut." "Aber ich bin einer von ihnen." Mein Bruder wollte gerade wieder zurückgehen, als Grimsby ihn wieder aufhielt. "Und damit anfangt, euch wie ein zukünftiger König zu verhalten." Erics freudigen Gesichtszüge verschwanden und er sah ausdruckslos zu Grimsby. "Du meinst, ich soll so sein, wie mein Vater war? Abgeschnitten vom Rest der Welt."

Eric trat näher zu mir, während er mir ein kleines Lächeln schenkte. "Ach Eric, Ihr wisst, was ich meine. Als ihr vor 18 Jahren zu uns kamt, nahmen der König und die Königin euch beide auf und behandelten euch wie ihresgleichen. Nun, da ihr volljährig seid, habt ihr Verantwortung zu Hause zu übernehmen. Euer Vater würde es von euch erwarten."

Wenn Grimsby von unserem Vater sprach, meinte er den König. Unsere leiblichen Eltern sind tot. Eric hätte sich zwar theoretisch an sie erinnern können, denn er war drei, als das Schiffsunglück passierte, doch er war noch so jung, dass kein einziger Gedanke mehr an unsere Eltern zurückgeblieben war. Ich hingegen war noch ein Baby, kein Jahr alt, als das Unglück geschah, wenn er sich nicht erinnern konnte, tat ich es sicher auch nicht.

"Ja, eingesperrt in diesem Schloss, abgeschottet und voller Angst. Ich kann das nicht." "Ich glaube, ein bisschen Angst könnte hilfreich sein." Das habe ich bis jetzt auch noch nicht gehört.

"Grimsby, du hörst mir nicht zu. Ich will eine andere Art von Anführer sein. Das ist der einzige Grund für diese Reisen, erkennst du das nicht? Wir müssen uns der Welt da draußen öffnen, nur so kann unsere Insel wachsen." Und schon stand Eric an der Reling. Zum Glück sah er nur in die Ferne und keinen Meter nach unten. Da lag nämlich ein Teil einer ganz neuen Welt. Arielle drückte sich noch etwas weiter an den Schiffsrand und sah erst zu mir und dann zu Eric.

"Eric, bedenkt das Risiko." "Ich kanns nicht beschreiben, Grims. Es liegt mir im Blut. Selbst jetzt, da spüre ich, dass etwas da draußen ist und mich ruft." Ja, Bruderherz. Keinen Meter unter dir. Allerdings war ich froh, dass er nicht hinuntersah, denn um den Schock will ich mich nicht kümmern. Außerdem sind wir auf einem Schiff mit einem Haufen Leuten, die gerne Meerwesen jagen. Es war schon gut, dass Eric nicht nach unten sah.

Plötzlich knisterten Blitze in der Ferne und ein starker Regen setzte ein, bevor es immer schlimmer wurde. "Ein Sturm zieht auf! Alle Mann an Deck!"

Panisch rannten die Männer auf dem Deck und erledigten alles, was zu tun war. Ich konnte nichts tun. Ich wusste nicht mal, mit der Hälfte der Begriffe etwas anzufangen, mit denen Eric um sich warf.

"Was ist los?", hörte ich Arielle fragen. "Sagen wir, Stürme und Schiffe sind nicht die besten Freunde." "Wird es dir gut gehen?" In dem Moment spülte eine große Welle aufs Schiff und drückte uns alle zu Boden. Schnell stand ich wieder auf und versuchte nicht auszurutschen, während ich mir die hohen Schuhe von den Füßen riss. "Alles in Ordnung?", fragte Arielle, als ich mich wieder an der Reling festkrallte. "Ja, nass bin ich gewohnt."

Dieselbe Frage dröhnte auch nochmal von Eric über das Deck, bevor ich schnell zustimmte. Er rannte währenddessen zum Steuer, das nun ohne Steuermann war, nachdem Grimsby vom Wasser weggedrückt wurde. Allerdings konnte er es nicht mehr schnell genug umlenken und wir krachten mit voller Wucht in einen spitzen Felsvorsprung. Im Seitenwinkel sah ich Arielle vom Rettungsboot springen, während wir alle nach hinten fielen.

Plötzlich fielen einige der Laternen, die auf dem Schiff hingen, herunter und entzündeten das Holz schneller, als ich blinzeln konnte. Mit dem Schiff kamen wir definitiv nicht mehr nach Hause.

"Verlasst das Schiff!"

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Schnell stieg ich über die Reling, holte tief Luft und sprang in das unruhige Gewässer. Die anderen schwammen nach und nach zu den zwei Rettungsbooten, die einige Meter weiter im Wasser treiben. Nur Eric war noch auf dem Schiff. Er half gerade Max, dem Hund vom Hof, über die Reling, als Arielle neben mir auftauchte. Er schien fasziniert vom Feuer. Eric wollte gerade über die Reling springen, als das Schiff kippte und er über das Deck auf der anderen Seite durch das Holz brach und ins Wasser fiel.

Die Männer auf den Rettungsbooten riefen nach ihm, doch nichts war zu hören, außer dem Regen, der stürmischen See und dem Knistern des Feuers. "Hilf ihm, bitte", meinte ich nur die Arielle, bevor er in den Tiefen verschwand. Ich hörte meine Namen und schwamm dann zu den Männern in den Rettungsbooten. Sie halfen mir auf das Boot, und wir saßen alle wie auf heißen Kohlen, während das Schiff langsam sank. In der Hoffnung, irgendwo Eric zu erkennen. Doch keiner von uns konnte ihn sehen.

Während die anderen zu Gott beteten, dass er noch lebte, hoffte ich auf einen ganz speziellen Meermann, der meinen Bruder rettete.

Abgetaucht (m. Arielle - Arielle, die Meerjungfrau)Where stories live. Discover now