II. Scharade

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Das nächste Treffen mit dem jungen Meermann ließ gar nicht lange auf sich warten. Keine Woche später, bei meinem nächsten Tauchgang, traf ich ihn außerhalb der Höhle an, als er gerade zwischen den Korallen lag. Er hatte die Augen geschlossen und tat wahrscheinlich das Äquivalent zum Sonnen an der Oberfläche. Oder er schlief.

Bei unserer letzten Begegnung hatte ich ihn durch den Schock gar nicht richtig wahrgenommen. Zumindest war das meine einzige Erklärung dafür, dass ich nicht realisiert hatte, wie attraktiv der Junge überhaupt war. Seine Schuppen glänzten im gespiegelten Sonnenlicht und das zufriedene Lächeln auf seinem Gesicht, versetzte mich in eine innere Ruhe, die ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht verstanden hatte.

Während ich ihn so schamlos beobachtete, entfiel mir, dass er die Augen geöffnet hatte. Doch als sich sein Lächeln in ein breites Grinsen verwandelte und er in schnellen Zügen zu mir schwamm, wurde mir warm, auch wenn ich im eiskalten Wasser schwamm. Ich war froh, dass er nichts davon kommentierte.

"Emily!" Ich winkte ihm mit einem Lächeln auf den Lippen zu als Antwort. "Das ist so ein Zufall, dass du gerade da bist. Ich muss dich nämlich was fragen." Aus einer kleinen Tasche aus Seetang, die er sich um den Bauch gebunden hatte, holte er eine Teetasse heraus. Eine kleine Ecke war schon herausgebrochen. "Was ist das? Wozu braucht man das? Scuttle meinte, dass das als Hut genommen wird, aber ich bin mir irgendwie nicht sicher." Er stellte sich die Tasse kopfüber auf den Kopf und sah mich fragend an. "Das sieht doch doof aus."

Mit einem Lächeln schüttelte ich leicht den Kopf und nahm die Tasse, bevor ich sie richtig herum vor mich hielt und so tat, als würde ich daraus trinken. Ich war mir nicht sicher, ob er es verstanden hatte. Tranken Meerwesen überhaupt? Keine Ahnung.

Er nickte allerdings trotzdem. "Das sieht sinnvoller aus, als es als Hut aufzusetzen. Wo Scuttle das nur herhat?", murmelte er den letzten Teil. Keine Ahnung, wer Scuttle war, aber auf jeden Fall hat er oder sie eine blühende Fantasie. Ich zuckte nur mit den Schultern, bevor ich an die Oberfläche deutete. Arielle nickte, bevor er wieder meinen Arm nahm und an die Oberfläche schwamm.

Nachdem ich Luft geholt hatte, erklärte ich es ihm kurz in Worten. "Das ist eine Tasse. Wir trinken daraus. Wasser, Tee und sowas." "Tasse", murmelte er, als würde er das Wort austesten, bevor er mit den Schultern zuckte. "Und was ist Tee?" Ich überlegte kurz, wie ich es ihm erklärte. "Sozusagen Wasser mit Geschmack. Manche Tees helfen einem, wenn man krank ist, andere schmecken einfach nur gut." Er nickte verständnisvoll. Anscheinend hatte er das Konzept des Trinkens schon verstanden.

Seine Augen leuchteten plötzlich auf, bevor er mir einen Finger entgegenhielt. "Warte hier. Ich will dich noch was fragen. Ich bin auch ganz schnell." Als ich zum Nicken ansetzte, war er schon unter Wasser und hinterließ nur eine kleine Welle.

Er hielt sich aber an seine Versprechen. Keine Minuten musste ich warten, da tauchte er schon wieder auf. Aus seiner Tasche holte er nun eine geschlossene Taschenuhr heraus. Er ließ sie vor meinem Gesicht baumeln und fragte dann wieder, wofür das ist. Ich nahm sie ihm vorsichtig aus der Hand und öffnete die Kappe. Er starrte erstaunt auf jede meiner Bewegungen. "Es geht auf?", hörte ich ihn flüstern.

"Das ist eine Taschenuhr. Sie zeigt an, wie spät es ist. Die schwarzen Zeiger hier zeigen dann auf die Zahlen am Rand und dann kann man die Zeit ablesen. Normalerweise bewegen sich die Zeiger auch, aber durch das Wasser funktioniert sie nicht mehr." Er legte den Kopf schief und sah mich weiter fragend an. "Warum braucht ihr eine ... Taschenuhr, um die Zeit zu sagen? Ihr seht doch, ob es Tag oder Nacht ist?" Ich lächelte ihn sanft an. Irgendwie machte es mir Spaß, ihm diese Sache zu erklären.

"Das stimmt, aber damit können wir sehen, wie lange es noch dauert, bis es Nacht oder Tag wird." Arielle nickte und summte zustimmend, bevor er mir die Uhr abnahm und mir einen Schlüssel entgegenhielt.

"Davon hab ich sogar noch mehr gefunden, als ich Taschenuhren gefunden habe." Wie er die Worte aussprach, die ich ihm gerade erst gesagt hatte, klang irgendwie süß. "Das ist ein Schlüssel. Wir nehmen den, um Türen auf- und zuzuschließen. Wenn eine Tür zugeschlossen ist, kommt man nicht herein ohne den Schlüssel oder Gewalt." Er betrachtete den Schlüssel genauer. "Und unterschiedliche ... Schlüssel schließen verschiedene Türen auf, richtig? Deshalb sehen die Schlüssel unterschiedlich aus." Ich nickte. "Deshalb bekomme ich manche Türen auf den Schiffen nicht auf. Ich muss die erst aufschließen. Das macht Sinn. Ich dachte schon, die sind kaputt." Ich lächelte ihn nur an, während er noch ein wenig weiter über verschlossene Türen ohne Schlüssel sprach.

Das Spiel ging noch eine ganze Weile. Er holte irgendwas und ich erklärte ihm, was es war oder ich schwamm gleich mit ihm runter und wir spielten sozusagen eine teilweise sehr anstrengende Runde Scharade. Ich meine, wie erkläre ich bitte einen Kronleuchter, ohne ein Wort zu sagen? Am Ende sind wir wieder an die Oberfläche und ich habe es ihm so erklärt. Das war wesentlich einfacher.

Als die Dämmerung nahte, verabschiedeten wir uns und ich schwamm zurück zum Strand. Von Grimsby, sozusagen Erics und meinem Aufpasser, bekam ich zwar ein lächelndes Kopfschütteln, als er mich klatschnass bei Anbruch der Nacht ins Schloss tapsen sah, aber zum Glück hielt er mir das nicht nach, solange es mir gut ging.

Ich hoffte, dass ich Arielle bald wieder sah.


Abgetaucht (m. Arielle - Arielle, die Meerjungfrau)Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ