Mathe. Denk an Mathe. Denk an Mathe, denk ...

Verdammt, so ging das einfach nicht! Wenn ich wollte, dass Michas Bemühungen nicht völlig umsonst waren, musste ich mich mal am Riemen reißen.

Tief einatmen, tief ausatmen. Konzentrieren.

Langsam hob ich meinen Stift und begann mit Mathe.

Es dauerte einen Moment, bis ich aus den Zahlen und Buchstaben auf dem Aufgabenblatt schlau wurde, aber dann sah ich wieder Michas Zahlengebilde vor mir. Erinnerte mich, wie einleuchtend alles gewesen war.

Auch wenn ich sicher keine fünfzehn Punkte schreiben würde – die Chancen standen gut, diese Arbeit nicht völlig in den Sand zu setzen.

„So, die Zeit ist um. Alle Arbeiten zu mir", verkündete mein Lehrer. Seine Worte trafen mich zwar nicht völlig unvorbereitet, trotzdem machte sich Panik in mir breit.

„Einen Moment noch", murmelte ich, während ich hektisch die Gleichung auf mein Blatt kritzelte.

„Lena, abgeben!", wiederholte mein Lehrer, während die letzten Verbliebenen ihre Arbeiten nach vorne brachten.

„Hab's gleich", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. So schnell, dass mein Handgelenk zu schmerzen begann, schrieb ich die letzten Zahlen, als der Schatten meines Lehrers über mir auftauchte. Gerade noch rechtzeitig gelang es mir, das Ergebnis von meinem Taschenrechner abzuschreiben und den Füller hochzureißen, bevor mir das Blatt unter der Nase weggezogen wurde.

Es war, als erwache ich aus einer Trance. Leicht neben der Spur packte ich mein Mäppchen ein, was doppelt so lange dauerte, wie sonst. Den Taschenrechner ließ ich achtlos in den Ranzen plumpsen, schwang mir das Teil über die Schulter und kollidierte beim Aufstehen mit Micha, der gerade an mir vorbeilaufen wollte.

„Vorsicht, junge Dame", kommentierte mein Lehrer, aber  Micha grinste nur auf mich herab, offensichtlich nicht im Klaren darüber, welche Wirkung das zusammen mit seiner Nähe auf mich hatte.

„Und, ist die Arbeit gut gelaufen?", fragte er mich.

„Denke schon", brachte ich hervor.

„Das werden wir noch sehen", sagte mein Lehrer ungerührt. „Und jetzt raus in die Pause, junge Dame."

Das musste er mir nicht zweimal sagen. In Nullkommanichts war ich aus dem Klassenraum geflohen und zu Mia geeilt.

„Wie war Mathe?", fragte meine Freundin in einem Tonfall, der verriet, dass sie meine Antwort fürchtete. Aber im Gegensatz zu den letzten Malen stand ich nicht kurz vor einem Heulanfall, sondern war mit den Gedanken bereits ganz woanders.

„Ach, es war ok. Aber lass uns was wegen Micha überlegen", wisperte ich und zog Mia kurzerhand vom Schulhof.

Erst in einer verwinkelten, leeren Seitengasse traute ich mich wieder, in normaler Lautstärke zu reden.

„Wie soll ich denn jetzt in Jiu-Jutsu mit ihm umgehen?", fragte ich mit aufgerissenen Augen.

„So wie vorher auch?", schlug Mia vor, die durchaus amüsiert über mein verzweifeltes Verhalten schien.

„Aber er ist ein Mathelehrer!", jammerte ich.

„Das könnte deiner Note ganz guttun", grinste Mia und wich einem spielerischen Hieb aus.

„Na gut." Nachdenklich legte ich den Kopf schief. „Trotzdem brauche ich einen Plan, damit Micha mich nicht für ein langweiliges kleines Mädchen hält, das obendrein noch eine lausige Kämpferin ist."

„Vielleicht steht er ja auf machtlos unterlegene Mädchen", gab Mia zu bedenken.

„Super", knurrte ich. „Dann hat er ja neunzig Prozent der Mädchen zur Auswahl. Man, Mia, ich muss einzigartig sein!"

„Aber du bist einzigartig."

„Du weißt, was ich meine."

„Schon." Einen Moment dachte Mia nach, dann schüttelte sie seufzend den Kopf. „Andere Mädchen schaffen es doch auch irgendwie, einen Freund zu bekommen, ohne komplizierte Pläne auszuhecken. Rede mit ihm. Und immer schön lächeln, dann wirst du schon sehen, ob er Interesse an dir hat oder nicht."

„Wenn das so einfach wäre", meinte ich. Ich war ja echt nicht schlecht darin, ein Pläuschchen zu halten, aber sobald ich einen Kerl auch nur halbwegs interessant fand, gingen mir die Gesprächsthemen schneller aus als mir lieb war.

„Nimm mal deinen Mumm zusammen, Lena", riet meine Freundin mir. „Gestern Abend hattest du einen Start, davon träumen die meisten Mädchen nur. Also mach was draus."

„Gehen wir heute Abend ins Training und üben Befreiungstechniken, damit ich mich beim nächsten Kampf nicht so dumm anstelle?", bat ich mit tellergroßen Hündchenaugen, wohl wissend, dass Mia zwar gerne in Kampfsport ging, aber eigentlich einmal die Woche als ausreichend empfand.

Seufzend sah sie mich an.

„Na gut. Aber gegen Micha hast du trotzdem keine Chance, und ich bezweifle, dass ihn das stört."

„Schon klar. Aber wenn ich mich wenigstens halbwegs wehren kann, ist der Kampf nicht so langweilig für ihn", wandte ich ein.

„Es gibt auch Kerle, denen es furchtbar viel Spaß macht, ihre Überlegenheit zu demonstrieren", grinste Mia. Einen Moment lang starrte ich sie an, unsicher, was ich tun oder sagen sollte, aber dann stahl sich auch auf mein Gesicht ein breites Grinsen.

Kichernd schlenderten wir zum Schulhof zurück, beide in unsere eigenen Gedanken versunken.

„Irgendwie verstehe ich dich nicht", sagte Mia Kopf schüttelnd, als ich mit einem gehetzten Schulterblick den Schulhof verließ. „Da hast du das Glück, Micha nicht nur einmal die Woche in Jiu-Jutsu zu sehen, sondern ihm jeden Tag in der Schule zu begegnen, und du führst dich auf, als seien die vereinten Streitmächte der Hölle hinter dir her."

„Er ist Mathelehrer", röchelte ich. „Da kann ich ihn mir doch gleich abschminken."

„Nur weil du schlecht in Mathe bist ...", begann Mia, aber ich unterbrach sie mit einem finsteren Blick.

„Er ist ein Lehrer!", fluchte ich. „Und ich leider noch eine Schülerin. Got it?"

KämpferherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt