𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟕

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Die Pearl glitt beinahe lautlos über die ruhige See. Das letzte Sonnenlicht liess das Wasser magisch leuchten und die sanften Wellen schlugen ans Schiff. Leichter Wind durchfuhr Wills Haare und die Situation hätte nicht schöner sein können.

Perfekte Abende gab es öfters, wenn man sein Leben auf hoher See verbrachte.

Aber leider gab es auch einige unperfekte, und die waren meistens so gravierend, dass die Piraten um ihr Überleben kämpfen mussten. Unberechenbar und erbarmungslos konnte das Wasser auf sie hinabbrechen, konnte ihre Kleidung durchweichen, die Öllampen auslöschen und einige der alten Männer von Bord reissen.

Ein Sturm, wie man es nur von Filmen und Büchern kannte.

Will kannte sie besser als jeder andere. Denn er wusste, dass es nicht nur Stürme hier draussen gab. Sein Herz war der Beweis dafür. Gewaltige Stürme, die in seinem Innern tobten, die ihm den letzten Atem zu rauben schienen. Stürme, die drohten, nie zu enden und noch mehr Wellen zu verursachen.

Er sass auf dem Boden der Pearl und starrte gedankenverloren in den Sonnenuntergang. Tag für Tag steckte er hier fest auf diesem Schiff. Er fühlte sich eingeengt und brauchte unbedingt Abwechslung.

Die Dinge auf hoher See liefen alles andere als gerade. Elizabeth tat so, als wäre Will Luft. Sie war immer da gewesen und hatte ihm geholfen, wenn es ihm schlecht ging. Zu sehen, wie ihre meerblauen Augen nicht einmal mehr seine Richtung einschlugen, tat weh.

Der Pirat holte tief Luft und seufzte. Er musste die Situation ertragen. Er hatte keine andere Wahl. Aber jetzt würde er erst mal hier sitzen bleiben. Trübsal blasen.

Dann plötzlich - Schritte näherten sich. Die Holzdielen knarzten und kurz darauf setzte sich ein müde aussehender Captain Jack Sparrow zu Will. Eine Weile lang sagte er nichts und trank stumm einen Schluck aus seiner Rumflasche. Dann stellte er diese zwischen ihn und Will und begann am Flaschenhals zu drehen. Nach einer weiteren Ewigkeit bot er ihm die Flasche an.

«Willst du?» Leicht grinsend drückte Jack die Flasche an Wills Oberschenkel. Der junge Turner drehte sich zu ihm um und erwiderte das Grinsen.

«Aye, danke, Jack» Er griff sich die Flasche und für einen kurzen Augenblick streiften seine Finger die von Jack. Da war es wieder. Das Knistern. Das Kribbeln. Das Gefühl.

Schnell zog er die Flasche zu sich und trank einige Schlucke. Das Zeug brannte zwar in seiner Kehle, half aber, sich nur auf Jack zu fokussieren und Elizabeth für einen Moment zu vergessen.

«Alles klar, Turner?» Will spürte Jacks Blick und merkte, dass er die Frage wirklich ernst meinte. Auf seine Art. Jack sorgte sich um ihn. Aber was sollte Will denn jetzt tun? Er konnte doch mit ihm nicht darüber reden.

«Aye», sagte er deshalb nur.

Was für eine Lüge. Vermutlich roch man sie von 50 Metern Entfernung. Jack wusste, dass Will ihn anlog.

«Nein ist es nicht», erwiderte Jack und seine Augen inspizierten das Gesicht des Jüngeren misstrauisch. Will schüttelte den Kopf und lachte kurz auf.

«Sehe ich so schlimm aus?», fragte er und drehte seinen Kopf zu Jack.

«Noch viel schlimmer», erwiderte der Captain grinsend.

«Du lügst, Jack»

«Nein»

«Doch»

«Aye, das tue ich»

Jack nickte ergeben und sein Gesichtsausdruck wurde plötzlich ernster. Will sah alles andere als schlimm aus. Seine dunklen Haare fielen ihm bis zu den Schultern. Wenn der Wind durch sie wehte, konnte man sie nach hinten flattern sehen. So, dass sie das kleine Muttermal an Wills Hals enthüllten. Raue Haut führte bis zum Kinn, wo ein kleiner Bart wuchs. Langsam ging es nach oben, die kurzen Barthaare leiteten bis zu seinen schmal geschwungenen Lippen.

Jack schluckte. Seine Augen glitten über Wills Mund weiter zu seinem Schnurrbart. Er bog sich leicht nach unten und verlieh Will sein unglaubliches Charisma. Auf Fremde wirkte er ernst. Doch für Jack waren die kurzen Härchen ein weiteres Merkmal dafür, dass Will unberechenbar einzigartig war. Und sein Humor würde der Captain von über zwei Meilen riechen können.

Zwei stechende Augen, die das Gegenüber fesseln konnten, blickten stürmisch in Jacks. Sie verliehen dem Charaktergesicht Tiefe und Ausdruck. Die strengen Augenbrauen sorgten dafür, dass es schwer war, sich wieder von Wills Blick zu lösen.

Jacks Finger strichen Wills Strähnen hinter sein Ohr und fuhren dann den Knochen entlang bis zum Mund. Wie in Zeitlupe strich er mit dem Daumen über Wills Unterlippe. Während sein Blick an ihnen hing, kam er Will immer näher und konnte an nichts anderes mehr denken, als sein Gegenüber zu küssen.

Es schien, als würde die Luft zwischen ihnen brennen. Heisser Atem streifte Jacks Lippen und dann –

«Gibst du mir mal den Rum?» Will hatte sich weggedreht.

Jack merkte, dass er die Luft angehalten hatte und atmete tief ein. Wortlos und ohne sein Gegenüber anzuschauen, drückte er dem Jüngeren die Flasche in die Hand. Kurz überlegte er, ob er verschwinden sollte, blieb aber dann sitzen.

Wieso hatte Will nicht einfach die letzten Zentimeter überbrücken können? Was wäre schon dabei gewesen? Niemand hätte es erfahren. Ein kleiner Kuss, mehr nicht.

Die beiden Piraten sassen schweigend nebeneinander und versuchten für sich, das Geschehene zu ordnen. Keiner wagte zu sprechen, bis Will sich schliesslich ein Herz fasste.

«Jack?»

«Aye»

«Darf ich dich was fragen?»

«Aye»

Zögerlich setzte Will zu einem Satz an.

«Wieso kann ich nicht einfach so sein wie du? Ein Pirat, der sein Leben einfach so nimmt, wie es ist und jeden Tag auf ein neues Abenteuer wartet. Ein Pirat, der gefasst ist auf alles und den nichts aus der Bahn werfen kann. Ein Pirat, der einfach immer die richtigen Sprüche auf Lager hat und dem es... nie schlecht geht?»

Will hatte schnell gesprochen und rang nach Luft. Das Holz knarzte, als er sich wieder ein wenig zu Jack umdrehte. Dieser hatte seinen Kopf in die Hände gestützt.

«So sein wie ich?» Der Captain blickte mit leeren Augen zu Will auf.

«Du willst wirklich so sein wie ich?» Gedankenverloren trank er einen Schluck und blickte dann in den Horizont. Zum ersten Mal wusste Captain Jack Sparrow nicht, was er sagen sollte. 

Stürmisch wie die See II Pirates of the CaribbeanWhere stories live. Discover now