„Verdichtet? Bin ich ein Reimschema, oder was? Du redest ja echt komisch daher."

„Ach, Mensch, dicht eben. Konzentriert, eindringlich ... vor allem, wenn du dieses eine enganliegende Top anhast. Meiner Meinung nach kann es schon sein, dass er nur wegen dir kommt ... Warum fragst du ihn nicht einfach? Du bist doch sonst eher von der direkten Art."

„Bei ihm ist das etwas anderes", murmelte Joella. „Er ist älter als ich. Außerdem ... was, wenn er keinen Gedanken an mich verschwendet und ich dann komplett blöd dastehe? Was, wenn er sich gar nichts aus mir macht ..." Sie brach ab.

„Ich weiß. Es ist manchmal verdammt kompliziert, wenn man verliebt ist."

„Hm", machte Joella.

Sie schwiegen.

Dann hauchte Joella: „Wie steht es eigentlich zwischen dir und Lian? Magst du ihn noch?"

„Hm", machte Kira.
*

Es war genau ein Tag vor der Sommersonnwende. Um ungestört zu sein, waren die zwei Mädchen am Nachmittag nach Kiras Training bis zum Wiesenhang gelaufen, der ein paar hundert Meter von der Scheune entfernt lag und von dem man eine schöne Sicht aufs Tal hatte.

Sie saßen im Gras, unterhielten sich und ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Unter ihnen fiel der mit Reben bepflanzte Hang ins Tal ab, die Luft flimmerte. Es war friedlich.

„Hach, es ist doch schön hier oben", sagte Joella.

Sie sahen hinunter zur Stadt, wo sich das Band der Mosel durch die Altstadt schlängelte und sich die wie aus Legosteinen gebauten Gebäude um die Spitzen des Doms St. Peter und der Konstantinbasilika platzierten. Auf der linken Moseltalseite war in der Ferne die Mariensäule zu sehen. Sie stand da, wie um der Stadt ihren Segen zusprechen. Dahinter erhoben sich sanft geschwungenen Hügelrücken mit Dörfern und Städten.

Plötzlich hielt Kira inne und kniff die Augen zusammen. „Da fliegen Vögel", sagte sie knapp und ließ ihren Blick nicht von dem vogelschwarmähnlichen Fleck am Himmel.

„Vielleicht sind es Tauben oder so ..."", begann Joella.

Aber Kira war schon aufgesprungen. „Das sind keine Tauben. Sie scheinen in unsere Richtung zu fliegen. Los, komm!"

Als man die schwarzen, schnittigen Körper und die kräftigen Schnäbel andeutungsweise erkennen konnte, hatten Kira und Joella schon die Beine in die Hand genommen und rasten auf dem Weg zurück.

Sie rannten über das Feld und über die Wiese auf den einzigen Baum zu, der dort stand, eine hohe Buche, deren Zweige dunkelgrün und dicht bis fast auf den Boden hinunterhingen.

Die Angst hatte sich ihrer bemächtigt. Sie rannten.

Als sie den Baum erreichten und sich keuchend unter seinen Ästen verschanzten, sammelten sich die Krähen hoch oben über ihnen am Himmel, kreischend.

„Wie Geier, die ihre Beute erspähen!", flüsterte Joella verzweifelt, während sie sich nach einem besseren Versteck umsah.

Kira brach mit klopfendem Herzen einen dicken Ast vom Baum ab. „Sie sind zu weit weg, als dass ich sie abschießen könnte", murmelte sie. „Aber sollen sie nur kommen, dann können sie etwas erleben!"

Sie zuckten beide zusammen, als über ihnen in der Baumkrone ein Flattern von Flügeln zu hören war und rissen die Köpfe nach oben. Eine einzelne Krähe war dort gelandet. Kira handelte ohne zu Zögern. Sie ließ den Ast, den sie in der Hand hatte fallen, trat aus dem Schatten des Baumes hervor, fixierte die Krähe oben in den Zweigen und gab einen einzelnen gezielten Schuss ab.

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now