Kapitel 3: Der Wunsch einer Seele

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»Ich heiße Wolfgang. Wie ich weiter heiße weiß ich nicht, auch nicht wie ich gestorben bin oder sonst etwas über mich. Aber es gibt etwas was ich tun will bevor ich von dieser Welt loslasse. Es ist leider wahr das einmal Verstorbene nie wieder ihr Leben zurückgewinnen können. Für sie ist die Vergangenheit unbedeutend, die Gegenwart das Ende ihres Lebens und eine Zukunft haben sie nicht mehr. Doch es gibt etwas was ich den Menschen hinterlassen möchte, die noch im Heute leben und ein Morgen haben. Und genau dafür hat mir jemand ein Jahr gegeben. Sobald meine Frist abgelaufen ist, holt er mich an jenem Tag, Christi Himmelfahrt, ab. Ich wünsche mir nichts Sehnlicheres als vor einem Publikum, auf meiner Geige zu spielen. Ich habe zwar keine Erinnerungen an mein früheres Dasein, aber die brauche ich nicht um zu wissen wie es sich anfühlt gelebt zu haben. Ich will nichts Unmögliches verlangen wie mein einst genommenes Leben zurück zu bekommen. Ich wünsche mir nur die Möglichkeit die Herzen der Menschen zu erreichen. Ich möchte in meinem Spiel zum Ausdruck bringen, dass das Leben nicht nur aus schönen Erinnerungen besteht, sondern auch mit Leid, Trauer, Wut und Frust verwogen ist. Die einzelnen Etappen des Lebens sind wie eine Achterbahnfahrt mit höhen und Tiefen. Wir alle beginnen bei null, lernen erstmal sitzen, dann krabbeln und schließlich laufen. Doch das reicht nicht. Jeder möchte mehr erreichen je älter man wird. Später erlernt der sprießende Spross eine Sportart, auf einem Instrument zu spielen oder seiner Kreativität in jeglicher Form Ausdruck zu verleihen. Es gibt unendlich viele Wege, die der Mensch bestreiten kann, sowie unendlich viele Hindernisse die auf ihn warten. Denn unsere Welt ist das Spielbrett, unser Körper die Spielfigur und unsere Seele der Wille vorwärts zu gehen. Einfach ausgedrückt möchte ich das Leben, welsches jeder wertschätzen sollte egal wie ungerecht jener sein Los findet, mit Tönen beschreiben. Deshalb brauche ich deine Hilfe.« Seine Worte trafen mich mitten ins Herz. Wie kann ich da nur nein sagen. Wenn ich ihm nicht helfe bin ich noch weniger Mensch als die körperlose Seele vor mir. Seinen edlen Beweggrund habe ich zwar verstanden, aber müsste er gerade jetzt nicht massenhaft Zeit haben seinen letzten Willen zu erfüllen, warum also die Frist? Wolfgang erklärte mir das Geister im Diesseits nicht lange existieren dürfen, sonst löst sich ihre Seele auf oder sie geistert als Dämonen ähnliches Wesen ohne menschliches Bewusstsein in der Welt der Lebenden herum. Deswegen kann er nicht noch länger als einen Monat bleiben. Es ist wie ein Verfallsdatum wie lange sein Aufenthalt noch gesund ist. Durch die Buntglasfenster schienen immer weniger Lichtstrahlen hindurch und auch meine Uhr sagte mir das es spät geworden ist. »Ich fasse mich kurz bevor ich gehe um meinen Bus zu erwischen. Ich verspreche dir Wolfgang, dass ich dir deinen Wunsch erfüllen werde. Da der Pastor mein Vater ist ließe es sich einrichten, ein Geigenkonzert im Gottesdienst einzuplanen wenn der Ort für dich in Ordnung ist. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, also werde ich alles schnell in die Wege leiten. Wir sehen uns diesen Sonntag.« Gerade als mein erster Schritt auf den Boden nachdraußen aufkam ergriff er meine Hand. Zwar können wir uns nicht berühren, aber eine gewisse Kälte die er ausstrahlt, spürte ich an meinen Fingern als er mir immer näher kam. Ewas scheint ihm noch auf der Zunge zu brennen. »Ich möchte das meine Eltern mich auch spielen hören«, platze es aus im raus. Ich sah darin kein Problem und fragte ihn nach deren Adresse, ohne darüber nachzudenken was er mir eben erzählt hat. Mir viel wieder ein, dass er keine Erinnerung an sein Leben hat, deshalb würde er nicht mal das Gesicht seiner Mutter und Vater wiederkennen, selbst wenn sie vor ihm stünden. Diesen Wunsch zu erfüllen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wo und wie sollte ich damit anfangen die Eltern eines verstorbenen Kindes ohne Anhaltspunkte ausfindig zu machen? Während ich schon die weiße Fahne geschwungen habe, redete er mir wieder schlecht ins Gewissen ein. Er sah nur nach oben und sprach »Irgendwo auf dieser Welt hat jeder wenigstens einen Menschen, dem man was bedeutet und dessen Tod man trauert. Ich weiß nur das ich Eltern habe, denen ich sagen möchte das ich sie liebe, ihnen dankbar für alles bin und ihnen die Tränen aus ihren traurigen Gesichtern wischen möchte. Sie sollen hören das es mir gut geht.« Und damit hatte mich Wolfgang stramm an der Leine. »Also für einen Toden hast du ganz schön anspruchsvolle Wünsche«, wies ich ihn darauf hin. Ich versprach ihm dennoch auch diesen Wunsch zu erfüllen, auch wenn ich keinen Plan habe wie. Er war darüber so glücklich, sodass er sich die Freudentränen zurückhalten musste. Ich lächelte ihn nur an und ließ ihn in der Kirche allein zurück. Gegen neun Uhr war ich wieder zuhause.

Auf mich wartete Daheim nicht nur das liebevoll zubereitete Abendessen meiner Mutter, sondern mein Vater höchstpersönlich am Esstisch. Anstatt mich anständig zu begrüßen, verlangte er von mir sofort den Schlüssel. Ohne Anstalten zu machen, händigte ich ihm dem Schlüssel aus. Und das war für ihn nicht genug. Er fragte mich aus, ob ich das gefunden habe was ich verloren habe. Ich nickte so eifrig, dass ich mir dabei hätte mein Genick brechen können. Da ich nicht weiter wie ein Schwerverbrecher von dem Pastor, Schrägstrich geborener Detektiv, ausgefragt werden wollte, entführte ich meinen Teller aufs Zimmer. Die Ruhe gab mir Zeit über Wolfgangs Worte nachzudenken. Je länger ich mich mit ihm unterhalte, desto weniger verstehe ich ihn und was gerade passiert. Auch wenn es für mich immer noch schwer zu glauben ist das er ein Geist ist, möchte ich ihn voll und ganz dabei unterstützen seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Meine erste Hürde wird sein, meinen Vater davon zu überzeugen einen toten Jungen in seiner Kirche spielen zu lassen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist das ihn niemand beachten und hören wird. Das mein neu gewonnener Freund ein Geist ist verschweige ich lieber, um einigermaßen glaubwürdig zu klingen. Eher wird der schwierige Teil sein Wolfgangs Familie ausfindig zu machen. »Hätte ich bloß wenigstens eine Folge „Vermisst" geschaut. Dann wüsste ich wenigstens wie ich jemanden, der vermisst wird, zu suchen«, ging mir durch den Kopf. Doch erst einmal brauche ich einen gesunden Menschenschlaf. Ich sehe es jetzt schon kommen, dass der morgige Tag anstrengend sein wird.

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⏰ Last updated: Aug 06, 2023 ⏰

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Just about a Leave faraway (Deutsch)Where stories live. Discover now