Kapitel 1: Schicksalhafte Begegnung oder doch nur Zufall?

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»Chris, Chris... Chris«, rief mich eine sanfte Stimme leise, welche mir vertraut kam. Ich öffnete meine Augen, um nachzusehen wer da ist. In der Dunkelheit ganz umhüllt von tiefer Schwärze, hebt sich ein von der Finsternis eingerahmtes weißes Bild ab.

„So wie jede Nacht ihre Sterne hat, hat jede Finsternis sein Licht, in jeder Düsternis schimmert die Hoffnung."

Mein Verstand will die Existenz des Tors zum Himmel nicht mehr abstreiten. »Kommt mich etwa der Engel holen, weil ich gestorben bin?«, strömten diese Wörter vor Freude aus mir raus. Doch der Engel verhöhnte mich. »Ach Chris du träumst wohl noch«, und verbann mit nur einer Handbewegung die Finsternis um mich. Die Welt nahm wieder ihre Farbe an und die Situation wurde für mich beschämend als ich mein unordentliches Zimmer wiedererkenne. »Du sag mal, was machst du auf dem Boden Chris«, fragte meine Schwester Marie von der Tür aus. Da ich keine logische Antwort wusste oder ihr nicht beichten wollte in meinem Traum vermutlich gestolpert zu sein, schwieg ich wie ein Grab. Nach einigen Sekunden Stille kontere ich sehr geschickt mit einer Gegenfrage »Sag du mir lieber was dieser engelsgleiche Aufzug soll?« Geschmeichelt führt Marie mir mit einer eleganten Drehung ihr knielanges, schneeweißes Kleid vor und rückt anschließend die Träger ihrer Fachingsflügel wieder an ihren richtigen Platz. An meinem langen gähnen wusste sie das ich den Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden habe. Kopfschüttelnd richtet sie ihren Zeigefinger auf ein rot eingekreistes Datum in meinem hängenden Wandkalender. Wie Schuppen vor den Augen ist es mir wieder eingefallen, der Tag meiner Konfirmation. Zu diesem Anlass wird der freiwilligen Kinderschor „Die Stimmen der Engel", zu dem auch meine kleine Schwester gehört, für die Konfirmanden singen. »Nun gut, ich denke du hast dich wieder daran erinnert Bruder«, sagte sie seufzend und verließ mit einem zufriedenen Lächeln mein Zimmer. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass sie wirklich die letzte Treppenstufe zum Erdgeschoss erreicht hat, riss ich die Gardinenvorhänge auf. Blau und Weiß und Weiß und Blau stehen die Wolken zerteilt zur Schau. Über meinem Fenster streicht der Vogelflug und das Bedürfnis aus meinem Traum, noch einmal den Himmel sehen zu dürfen, hat sich befriedigt. Mein knurrender Magen gibt mir das Signal meiner Schwester in die Küche zu folgen. Es dauerte eine Weile bis ich meine im Zimmer zerstreuten Sachen beisammen hatte. Meine Jeans, mein dunkelroter Pullover und meine einst weißen Socken- alles sitzt da wo es sein sollte.

Meine ungeduldige kleine Schwester klopfte solange mit dem Gabelstiel auf dem Tisch bis Mama ihr ihre gewünschten Spiegeleier servierte. Ich gab mich nur mit einer Scheibe Toast zufrieden. Während ich auf der Randkruste rumknabberte bemerkte ich neben Maries Teller die Tageszeitung, die mein Vater jeden Morgen liest bevor er zu seiner Arbeit fährt. Mein Blick verharrte auf der Schlagzeile des heutigen Titelblatts „Buschbrände in Australien – Heimische Tiere in Lebensgefahr" und erinnerte mich an etwas bestimmtes. In meinem Traum war ich, sowie die hilflosen Koalas von Flammen umzingelt und bin auf der Flucht vor dem tödlichen Rauch gestorben. An genaueres kann ich mich nicht mehr erinnern. Wie ein tauber vernahm ich keine Geräusche und konnte deshalb meine Mutter nicht hören. Jedoch bin ich durch Maries schmerzhafte aber effektive Dresche auf den Kopf, aus der Trance erwacht. »Man, hast du nicht Mama zugehört!«, pöbelt mich meine Schwester energisch an. Dafür habe ich mich natürlich anschließend entschuldigt. Daraufhin wiederholte sich meine Mutter zum dritten Mal »In einer halben Stunde fahren wir los Christian.« »Muss ich denn unbedingt jedes Mal dabei sein und warum kannst du mich nicht nur Chris nennen«, nörgelte ich genervt zurück. Ganz typisch mein Vater muss er immer das letzte Wort in der Familie haben und stoßt mit einem Kommentar zu uns an den Tisch. »Aber was hast du nur, Christian ist doch ein schöner Name.« Offenbar versteht er nicht das ich nicht mit den geistlichen Spinnern in ein und dieselbe Schublade gesteckt werden will. Der männliche Vorname Christian bedeutet nämlich übersetzt „der Anhänger Christi" und „der Christ". Aber noch viel weniger möchte ich heute in die Kirche gehen. Während andere Kinder mit ihren Eltern an Feiertagen und am Wochenende in den Freizeitpark gehen, grillen und spaß haben können, muss ich mir ausnahmslos jeden Sonntag eineinhalb Stunden ohrenbetäubende Orgelmusik und die predigten meines Vaters, welcher Pastor einer mittelständischen Gemeinde ist, anhören. Ich schmollte vor mich hin, bis mein Vater endlich nachgegeben hatte. Nach einem geschlagenen seufzenden hat er mir die Erlaubnis gegeben nächsten Sonntag zuhause bleiben zu dürfen. Mit diesen Worten zauberte er mir ein Lächeln aufs Gesicht und verließ erfolgreich die kleine Tafelrunde. Kaum ließ ich die Zeit aus den Augen, war es auch schon so weit. »Chris komm, wir müssen los«, rief Marie vom Flur aus und begab sich anschließend mit meiner Mutter ins Auto. Ich steckte mein Handy in die Hosentasche und flitzte geschwind die Treppenstufen hinunter, wo mein Vater ungeduldig auf mich wartete. Vor dem runden Wandspiegel, der im Flur hängt, machte er seine Kastanien braunen, glatten Haare, welche ich von ihm geerbt habe, in seiner Pastorenkleidung zurecht. Im Gottesdienst ist es für den Pastor Pflicht einen mantellangen, schwarzen Talar und das zugehörige weiße Beffchen als Rundkragen, auch wenn dieser meiner Meinung geschmacklos ist, zu tragen. Für weitere Kritik an seiner Arbeitsuniform blieb keine Zeit. Ich zog mich ebenfalls an und verließ mit meinem Vater das Haus. Während mein Vater zum zweiten Mal den Ablaufplan für den heutigen Gottesdienst im Auto durchgeht, genieße ich die an mir vorbeizeihenden Weiden und Wälder unserer kleinen Landstadt, die erst seit einem halben Jahr meine neue Heimat ist. Bevor wir vor sechs Monaten hier her gezogen sind, lebte ich mit meiner Familie in einem Hochhaus mitten im Herzen der Großstadt Berlin. Obwohl es in der Stadt weder an Lärm noch an Luftverschmutzung mangelt, wäre ich dort gerne geblieben. Denn das Leben dort war ganz nach meinem Geschmack. Des Öfteren streifte ich mit meinen Kumpels aus der Schule durch die Straßen und hing mit ihnen bis spät in die Nacht auf dem Halfpipe Gelände ab. Doch diese Zeit musste ich jetzt hinter mir lassen. Zwar befindet sich jetzt vor meiner Haustür statt einer menschenbelebten Einkaufsstraße die Natur, doch dafür bin ich von meinen Freunden getrennt und musste außerdem die Schule wechseln, in der ich mich noch nicht zurechtgefunden habe. Ich muss wohl nicht explizit betonnen wie schwer es als Schulwechsler in einer fremden Klasse, geschweige denn einer neuen Umgebung, ist Freunde zu finden. Und das alles habe ich meinem Vater zu verdanken, der die Stelle als Pastor einer unbekannten Gemeinde auf dem Land angenommen hat obwohl er der Leiter der bedeutendsten Kirche der Großstadt ist. Mit der Zustimmung meiner Mutter sind wir seinetwegen hier umgezogen damit er einen kürzeren Arbeitsweg hat. Er bräuchte nämlich von der Stadt bis zum Dorf einen halben Tag, vorausgesetzt er steht nicht im Stau. Jetzt aber beträgt die Fahrzeit von unserem Haus bis zur Kirche nur eine halbe Stunde, was der ausschlaggebende Grund für den Umzug war. Schließlich gibt es auch hier, seiner Meinung nach, genügend Lebensmittelgeschäfte und Kinder in meinem Alter mit denen ich mich anfreunden könne. Aber er will nicht verstehen das ich gegen das Landleben immer war und bis heute bin. Aber das meine Meinung nicht zählt bin ich gewohnt. Denn genauso werde ich dazu gezwungen jeden Sonntag in den Gottesdienst gehen zu müssen obwohl ich meinen Eltern abermals versucht habe zu erklären, dass ich ein Atheist bin. Ich freue mich schon auf meinen 18. Geburtstag, auch wenn dieser noch einige Jahre hin ist. Sobald ich nämlich volljährig bin kann mir niemand mehr, selbst meine Eltern, etwas verbieten oder zu etwas zwingen. Dann bin ich frei und kann selbst mein Leben bestimmen. Ich habe bereits geplant in die Großstadt zurück zu ziehen. Dort würde ich mir eine schlichte Wohnung suchen. Außerdem bräuchte ich einen Job, um mich finanziell über Wasser zu halten. Aber darüber kann ich mir auch später Gedanken machen. »Wir sind gleich in der Kirche Kinder« teilte uns meine Mutter euphorisch mit als würden wir zu einem Freizeitpark fahren. Wäre dem so, hätte ich an dieser Stelle vor Freude gejubelt. Doch dem ist nicht so. Genauer gesagt erreichen wir gleich die evangelisch und katholische Gemeinde St. Mellington, die meines Wissens auch den Namen „Kirche der roten Asche" trägt. Warum sie von den Dorfbewohnern so genannt wird, ist mir seit dem ersten Tag in unserer neuen Heimat schleierhaft. Vielleicht ist dieser Ort verflucht, was der Grund sein könnte warum kein heimischer Pastor diese Stelle annehmen wollte. Als ich die alten Hasen des Dorfes eines Tages danach fragte, meinten sie nur das diese Bezeichnung keinen besonderen Grund habe und ich dieser Sache nicht weiter nachgehen solle. Und auch als ich Onkel Google nach dem Namen der Kirche befragte spuckte er nur die Homepage der idyllischen Landstadt aus, also hakte ich nicht weiter nach und ließ das Thema begraben. Nach nur knapp einer halben Stunde Autofahrt haben wir unser Ziel erreicht. Kaum standen wir eingeparkt, stieg mein Vater hastig aus dem Auto aus und verabschiedete sich von uns. Als neuer Leiter und Pastor dieser Gemeinde hat er dafür Sorge zu tragen, alle nötigen Vorbereitungen zu kontrollieren und die für den Gottesdienst benötigten Bücher an die Besucher zu verteilen. Wir drei zurückgelassenen mussten, wie die anderen Besucher, vor dem Eingang der evangelisch und katholischen Kirche St. Mellington warten bis alle hier Anwesenden reingelassen werden dürfen. Wie ein Schwarm Fische drängelten sich die Besucher durch den engen Pass nachdem die Eingangstür geöffnet wurde. Meine Mutter hielt Marie und mich an der Hand, damit wir nicht in der Menschenmenge versinken. Heute kamen die Pastoren und Pastorinnen besonders stark ins Schwitzen die Bücher an jeden zu vergeben. Denn heute ist für die Christen ein bedeutender Feiertag. Es ist Karfreitag, der Todestag Jesus Christi. Für alle die nicht mit dem Kapitel in der Bibel vertraut sind, hier eine kurze Erläuterung. Nachdem Jesus in der Nacht verhaftet wurde, brachte man ihn zum Hohenpriester Kajaphas zum Verhör. Die Hohenpriester und der Hohe Rat suchten nach Zeugen, um mit ihren Aussagen das Todesurteil gegen Jesus zu bewirken. Viele machten Falschaussagen, die aber nicht für eine Verurteilung reichten. Da fragte der Hohepriester Jesus, ob er der Messias, der Sohn Gottes sei, und Jesus antwortete: »Ich bin es.« Damit hatte sich Jesus in den Augen des Hohen Rats und der Hohenpriester der Gotteslästerung schuldig gemacht und sie forderten dafür seine Verurteilung zum Tode. Meiner Meinung nach hätte er in der Notsituation lügen können. Vielleicht wäre er dann vom Tod verschont geblieben. Doch leider war er ein viel zu aufrichtiger Mensch um Lügen zu können. Daraufhin folgte die qualvolle Kreuzigung Jesus Christi. Er wurde an seinen Händen und Füßen ans Kreuz genagelt und öffentlich zur Schau gestellt. Und an dieser Stelle bin ich der Evolution sehr dankbar, dass es eine für alle Menschen ungefährlichere Unterhaltung gibt. Nämlich den Fernseher. Während ich in Gedanken in der Bibel herumgewälzt habe, bin ich automatisch meiner Mutter zu einer freien Sitzbank gefolgt und ließ mich auf dem kalten, brettharten Platz nieder. Genau nach Zeitplan schreitet mein Vater, Pastor Cranéll, zum Altar um den Gottesdienst zu eröffnen. Gerne hätte ich während den predigten meines alten Herrn auf meinem Handy rumgespielt, konnte ab dies nicht riskieren da meine Mutter mich auf ihrem Radar hatte. Alternativ begutachtete ich aus Langeweile den Saal, obwohl ich diesen bereits bis aufs kleinste Staubkorn auswendig kannte. Doch an diesem Tag hatte die Kirche eine andere Atmosphäre als sonst. Mir fehlt auf, dass bei diesem schlichten Gottesdienst die Kirche völlig schmucklos ist. Auf dem Altar stehen weder Kerzen noch Blumen, das ewige Licht ist erloschen und bis zur Osternacht bleiben Orgel und Glocken stumm. Mancherorts treten an die Stelle von Kirchenglocken und Altarschellen Ratschen oder Klappern. Es war ein reiner Wortgottesdienst, der Kreuzverehrung und der Kommunionfeier. Alles wirkte trostlos. Als Höhepunkt der Wort-Gottes-Feier wird aus dem Johannesevangelium vorgelesen. Wenn mir jemand in einer Quiz- Show die eine Millionen Frage stellen würde worum es in diesem vorgelesen Kapitel am Karfreitag ging, wäre ich mit aller Sicherheit mit leeren Händen nachhause gegangen.

Just about a Leave faraway (Deutsch)Where stories live. Discover now